Die 1-Minute-Regel
Lylit im Interview
Die Göttin der Morgenröte lässt es sich nach ihrer EP „Aurora” im Frühjahr 2019 und den Songs für Conchita Wursts neues Album nicht nehmen, mit ihrem Debütalbum „Inward Outward” Ende November gleich noch einen draufzusetzen. Wir haben Lylit getroffen und sie zu diesem enorm produktivem Jahr, der 1-Minute-Regel und ihrer Work-Life-Balance befragt.
Deine EP „Aurora“ stand für einen Neubeginn. Inwiefern führst du den auf „Inward Outward“ fort?
Obwohl ich schon so viel geschrieben habe, ist es eigentlich mein Debütalbum. Im Grunde führe ich es so fort, dass ich mit „Inward Outward” wieder ein bisschen eine neue Richtung einschlage. Es ist etwas weicher und sanfter. Dieser Neubeginn hört also noch nicht auf.
Jedoch ist es jetzt angeblich Zeit, die Richtung zu ändern. Wie hat sich die seit „Aurora“ verändert?
Ich habe das Album in der Toskana geschrieben. Wir haben ein Haus gemietet, oben auf einem Berg. Da gab es keinen Handyempfang, kein Internet, nichts. Das war totaler Social Detox, was am Anfang gar nicht so einfach war, weil man so busy im Kopf ist. Durch diese Umgebung und den Platz hat sich die Musik automatisch eine Spur verändert. Nicht das grundsätzliche Feeling, aber die Lieder sind einfach etwas ruhiger geworden. Bei „Aurora” musste so viel raus, da hat sich so vieles angestaut über die ganze Zeit. Jetzt merke ich, dadurch dass alles so gut gelaufen ist, bin ich einfach etwas ruhiger geworden. Ich habe jetzt mehr zu den eigentlichen Themen in mir greifen können als vorher, wo ich noch die Rebellin rauslassen musste.
„Call Me Bad“ ist dennoch eine ordentliche Ansage. Was umfasst dieses „bad” alles?
Im Grunde geht es bei dem Song um den Freiheitsgedanken und darum, dass man nicht abhängig ist von einer Obrigkeit. Als Frau ist es oft schwer, dass man tatsächlich seinen Weg macht, ohne dass einen jemand „bad” schimpft … egal ob im Sinne von „zickig”, „egoistisch” oder in welcher Form auch immer diese sexistischen Haltungen daherkommen. Irgendwann habe ich mir einfach gedacht: „If you wanna call me bad, call me bad”. Irgendwann muss einem das wurscht werden.
Also eine feministische Message?
Auf jeden Fall. In diesem Songsgehts auch um mein Ex-Label und darum, dass ich da keine Macht gehabt habe. Das wird von den Labelbossen richtig zelebriert, wenn man ein kleiner Artist ist – vor allem wenn man eine Frau ist.
„I do what feels right and if you want to call me bad, call me bad …“ Wie viel Kraft schöpfst du eventuell auch aus diesem „Ich-machs-anders”, aus dieser Emanzipation vom Diktat des Marktes?
Ich war noch nie jemand, der mit der Masse mitgelaufen ist. Ich finde es einfach inspirierend, wenn man so frei wie möglich kreativ sein kann. Man könnte sich auch totale Zwänge auferlegen und sich selbst vorschreiben, dass der Refrain beispielsweise schon nach 20 Sekunden kommen muss, sonst schalten die Leute weg. Wenn ich mit meiner Geschichte weitermachen will, dann muss es etwas Nachhaltiges sein und dann kann es auch Musik sein, für die man etwas tiefer eintauchen muss, um sie zu mögen. Dann bleibt man auch länger dabei. Das ist mir lieber als diese Schnellschüsse. Das war noch nie meins – auch nicht bei den Musikern, die ich höre. Ich mag einfach Songs, die ich 30 Mal hören kann und ich entdecke noch immer neue Elemente dabei.
Stichwort: „Try Try“. Wann hast du das letzte Mal etwas Neues ausprobiert?
Eigentlich ist mein Beruf damit verbunden, dass man oft seine Comfort-Zone verlassen muss. Ich bin da schon experimentierfreudig, obwohl ich auch ein „Kontrollo“ bin. Experimentierfreudig, aber in einem geschützten Rahmen.
„Everybody looks for the right way …” Gibt es den right way überhaupt?
Den eigenen, ja.
Hast du den für dich musikalisch schon gefunden?
Das würde ich mir jetzt nicht anmaßen, aber ich habe bestimmt einen Teil des right ways schon gefunden. Ich musste mich oft in einer schwierigen Situation damit auseinandersetzen, wie ich trotzdem glücklich sein kann, auch wenn die Umstände gerade überhaupt nicht glücklich machen. Da findet man dann seinen Weg durch. Generell muss man auch sich selbst kennenlernen, sonst kann man diesen Weg nicht finden. Parts davon habe ich schon entkleidet und andere haben sich mir noch nicht erschlossen.
In „Wanting More” heißt es „I never take a rain check …” Worauf beziehst du das? Mehr auf dich selbst oder mehr auf das Zwischemenschliche?
Beides. Ich glaube total an die Kraft des Moments – wenn man zu lange wartet, ist etwas weg. Ich habe irgendwann angefangen, mich an die 1-Minute-Regel zu halten. Alles was man in einer Minute erledigen kann, soll man sofort machen. Daran halte ich mich. Im Privaten ist es genauso. Wenn man eine Chance verpasst, dann kommt die so schnell auch nicht wieder. Manche Türen öffnen sich nur in gewissen Momenten. Wenn ich nicht sofort handle, bin ich wieder in meinem Kopf und das macht alles komplizierter. Das Bauchgefühl ist wichtig!
Du arbeitest in deiner Musik auch viel mit Brüchen und Instrumental-Parts. Was soll das beim Hörer im Idealfall auslösen?
Ich glaube fest an ein Grundgefühl in einem Song. Bei mir entsteht alles aus einem Fluss heraus. Ich mache fast nie etwas Konzeptionelles. Ich versuche, zu schauen, was braucht das Lied. Immer wenn ich Space brauche, gibt es einen Instrumental-Part, damit sich das streckt. Ich habe immer sehr viel Text und viele Wörter, manchmal braucht es einfach einen Platz zum Atmen. Wofür ich wirklich stehe und was mir wirklich wichtig ist, ist, dass das ein organischer Prozess ist – ohne viel Kopf. Ich bin ein sehr reflektierter Mensch, der sehr viel denkt. Musik ist das einzige Outlet, wo ich darauf achte, dass ich nur in der rechten Gehirnhälfte bin, nur bei den Bildern und Gefühlen. Aber das private Ich ist anders drauf.
Im letzten Interview mit VOLUME meintest du, es wäre dir jetzt besonders wichtig, die Musik zu 100% zu fühlen. Welche Emotionen hast du genau auf „Inward Outward“ verarbeitet?
Rebellion ist immer noch drinnen, das merkt man an den Songformen. Es geht nicht mit dem Üblichen einher. Man merkt die Nachdenklichkeit, das Sitzen, einfach nur Sinnieren und die Stille der Toskana. Das hat mich extrem beeinflusst, weil der Tag ist auf einmal enorm lang, wenn man nicht abgelenkt ist. Ich bin generell ein Mensch, der sehr gerne fühlt und wir haben darauf geachtet, dass immer alles im Moment passiert. Wir haben die Vocals auch immer sofort aufgenommen und nicht wie sonst üblich erst am Schluss der Produktion und so perfekt wie möglich. Die Stimmung eines Songs kriegt man am besten eingefangen, wenn sie ganz frisch ist, bevor sich der Kopf dazu schaltet. Das heißt, es gibt keine leitende Emotion, außer die die in diesem Moment da war.
Eine EP im März und jetzt gleich im selben Jahr das Album. Dann auch noch nebenher Kompositions-Projekte, wie das Wurst Album. Woher nimmst du die viele Energie und Inspiration für diesen großen Output?
Das weiß ich selbst nicht. Die Energie ist auch jetzt weg und die Batterien leer. (lacht) Ich habe in den letzten 1 1/2 Jahren so viel geschrieben. Vielleicht schreib ich nächstes Jahr einfach nix. Das wir aber sicher nicht passieren. (lacht) Viel schreiben zu müssen, war am Anfang zwar schwierig, aber wenn man dann drinnen ist und nichts anderes macht, ist es total schön. Das ganze Ich fokussiert sich auf das Kreative. Ich habe auch versucht, die Projekte nacheinander anzugehen und das zu trennen. Das ständige Tun hat die Inspiration automatisch am Leben gehalten. Je länger ich nicht schreibe, desto schwerer ist es für mich, auch wieder reinzukommen.
Wie viel Freizeit bleibt dir dabei noch?
Es war wirklich rar. Ohne Übertreibung. Wenn es nur das Schreiben oder Musikmachen wäre … aber man muss sich auch noch um die ganze Planung kümmern. Es gibt so viele Nebenaspekte, wie E-Mails, organisieren, Videos planen. An meiner Work-Life-Balance muss ich noch arbeiten. Meistens schaff ich nicht einmal einen freien Tag in der Woche.
Wie verbringst du die seltenen, freien Tage?
Mit Freunden. Außerdem koche ich für mein Leben gern. Ich lade Leute ein, koche den ganzen Tag und am Abend gibt es ein großes, gemeinsames Essen – das mag ich am liebsten. Da komme ich richtig runter. Ansonst mache ich auch noch gerne Yoga.
Deine Musik lässt sich nicht in den Alltagslärm integrieren. Wie und in welcher Situation sollte man Lylits Songs am besten konsumieren?
Jetzt, wo es wieder kühler wird, kommt meine Zeit. Da funktioniert die Musik gut. Das Schönste ist wahrscheinlich mit Kopfhörern, schön laut, auf einer Couch mit einem Tee und einer Decke. Das ist der Idealzustand. Man muss sich darauf einlassen und Zeit haben.
Wie bereits erwähnt, hast du auch die Songs für Conchita Wursts neuem Album geschrieben. Worin liegt für dich der Unterschied darin, Songs für andere Künstler oder für dich selbst zu schreiben?
Im kreativen Prozess gibt es keinen Unterschied. Da geht es rein um die Inspiration. Wenn man für sich selbst schreibt, muss man selber auch entscheiden, ob man es gut findet oder nicht. Sonst kann ich es eben abgeben. Die letzte Entscheidung liegt nicht bei mir und das finde ich irgendwie leichter. Denn selbst ist man oft der härteste Kritiker und es fällt einem schwer, eine Entscheidung zu treffen.
Hat es schon einmal einen Song gegeben, den du für jemand anderen geschrieben hast, den du aber dann lieber für dich behalten wolltest?
So ähnlich. (lacht) Ich habe einen Song für Conchita geschrieben, von dem ich dachte, das wäre DER Song für ihn. Er probiert ihn, singt ihn ein und meint dann zu mir: „Eva, ich glaube, das ist dein Song.” Jetzt ist es einer meiner liebsten Songs von mir. Er ist zwar noch nicht am neuen Album, aber er wird noch kommen.