"Damit haben wir rein gar nichts erledigt"
Interview mit Nicolas Robert Lang
Vom Kontrabass zum Kontra im Kaff – Nicolas Robert Lang verlässt seine Bubble gern länger, als die durchschnittliche Dauer von Austropop-Songs es verlangt. Das beweist unter anderem sein aktuelles Soloprojekt „fortschritt – rückschritt – gleichschritt“. Zwischen Orchestergraben und Bühne bleibt dem in Wien lebenden Musiker, Dichter und Aktivisten genug Raum, um mit Musik und Lyrik gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen – und dabei noch humorvolle Selbstkritik einfließen zu lassen. Ist diese permanente innere Unzufriedenheit nicht manchmal die schönste Muse? Wir reflektieren gemeinsam.
Wie hat es dich in die freie Szene verschlagen?
Ich habe ja klassischen Kontrabass fertig studiert und bin immer noch ein großer Fan der Klassik. Während meines Studiums habe ich aber gemerkt, dass mich die freie Szene immer mehr reizt. Damit macht man es sich nicht zwingend leichter, aber es ist eine Herausforderung, die ich liebe. Während meines Studiums und meines Engagements beim Landestheater Linz hatte ich gar nicht so wirklich Zeit, über meine Zukunft nachzudenken und hab das auch genossen. Jetzt als freischaffender Musiker habe ich diese Freiheit gefunden – und gleichzeitig die Verantwortung dahinter erkannt.
Diese Verantwortung lebst du jetzt musikalisch aus?
Als ich 2021 mit dem Auftreten begonnen hab, waren das vor allem persönliche, selbstreflektierende Songs. Dann begann ich, mich zu fragen: Was gibt mir eigentlich die Berechtigung, auf einer Bühne zu stehen? Was gibt irgendwem diese Berechtigung? Man kann selbstverständlich auch rein Inhalte für Unterhaltung oder nur traurige Liebeslieder schreiben – sowas mag ich auch – ich selbst hab nur gemerkt, ich will gewisse Themen ansprechen. Damit sind meine ersten politischen Lieder „Gschicht’n aus der Sakristei“, dann “Rimini” über die Flüchtlingsthematik entstanden. Da kommt mein Anspruch, etwas mitzugeben, schon etwas mehr raus.
Dich scheint sehr früh das Interesse an Politik und Ungleichheit gepackt zu haben. Gab es da ein prägendes Ereignis?
Meine erste politische Erinnerung ist der Tod von Jörg Haider – über den ich tatsächlich jetzt gerade ein Buch lese. Ich war damals acht Jahre alt und kann bis heute nicht fassen, welchen Einfluss dieser Mensch hatte. Ich bin wahrlich kein Fan, aber diese Faszination hat mich nie losgelassen, wie man merkt.
In meinem Elternhaus wurde Politik außerdem früh gelebt. Meine Eltern haben mir immer vermittelt, dass wir sehr privilegiert sind. Dass es eigentlich unfair ist, dass wir mehr als einmal im Jahr in den Urlaub fahren können und andere gar nicht. So etwas prägt und schafft Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten. Meine Schwestern sind ebenfalls politisch aktiv, auch von ihnen habe ich viel lernen können – da bin ich ihnen sehr dankbar.
Was hast du zum Beispiel gelernt?
Heute weiß ich, wir haben nicht nur die Verantwortung, uns unserer Rolle in der Gesellschaft bewusst zu sein, sondern aktiv gegen die Ungleichheit zu arbeiten. Als weißer, hetero cis Mann bin ich mir bewusst, dass ich automatisch das ultimative Arschloch bin, einfach, weil meine Position gesellschaftspolitisch derart privilegiert ist. Es geht mir dabei nicht darum, im Selbstmitleid zu versinken, so eine Reaktion halte ich gar nicht aus. Vielmehr ist es meine Aufgabe zu reflektieren, welchen Beitrag ich leisten kann.
„Je mehr Privilegien ich habe, desto stärker ist meine Verantwortung, gegen die Rolle dieses Arschlochs anzukämpfen.“
Die Themen, über die ich singe und schreibe, betreffen mich vielleicht nicht direkt, aber es ist entscheidend, dass ich mich damit auseinandersetze. Je mehr Privilegien ich habe, desto stärker ist meine Verantwortung, gegen die Rolle dieses Arschlochs anzukämpfen. Inspiriert vom Videogespräch von Robert Pfaller und Milo Rau im Rahmen der „City of Change“, kann ich hier ein Zitat anbringen, warum sich nicht nur Betroffene mit bestimmten Thematiken auseinandersetzen sollten. „Politisierung entsteht nicht nur dadurch, dass man sich dagegen wehrt, Opfer zu werden; sondern sie entsteht auch dadurch, dass man sich wehrt, Täter zu werden.“ Solidarität muss für alle gelten – oder für niemanden.
Du hast eine Band, mit der du auf Tour warst – und nebenbei stehst du auch solo auf der Bühne?
Genau, mit meinem Solo-Programm „Hurra, wir sterben! …oder Georg Kreisler, Bürgerschreck“ und mein aktuelles Solo-Programm heißt fortschritt – rückschritt – gleichschritt. Ich kann mich sehr daran erfreuen, verschiedene Formate zu erkunden. Als klassischer Kontrabassist arbeite ich auch projektweise in Orchestern, zuletzt beim Tonkünstler Orchester Niederösterreich und am Landestheater Linz.
Bei deinem Solo-Auftritt im Literaturhaus Graz hast du eine Mischung aus Musik und Lyrik verwendet, um kritische Botschaften ans Publikum zu bringen. Die Mischung machts?
fortschritt – rückschritt – gleichschritt ist eine Sammlung von Liedern, Gedichten und Texten, die Fragen über technischen Fortschritt bei gleichzeitig menschlichem Rückschritt beleuchtet. Ich wollte hier bewusst tiefer gehen, weil ich gemerkt habe, dass ich mit dreiminütigen Austropop-Songs inhaltlich hart an meine Grenzen stoße. Deshalb sind meine letzten Shows bewusst textlastiger geworden. Es war zuerst ein Experiment, weil es sich nicht einfach kategorisieren lässt – es ist kein Theater, keine Lesung, kein reines Musik-Konzert sondern etwas dazwischen. Ich nenne es mittlerweile „künstlerische Auseinandersetzung mit politischen Themen“. Und ich muss sagen, es funktioniert gut. Das Publikum reagiert positiv, und es fühlt sich an, als hätte dieses Experiment nach außen hin Erfolg.
Und für dich persönlich?
Ich habe bei und nach meinen Shows schon gemerkt, wie emotional belastend das alles für mich ist. Ich weiß eh, genau das ist es, was Kunst ausmacht – sie soll bewegen und zum Nachdenken anregen. Das macht es auch, zumindest bei mir und natürlich kann sowas auch inspirieren. Aber kommt das, was ich sagen will, was mich so aufreibt und antreibt, auch nach außen durch? Am Ende der Show möchte ich die Botschaft mitgeben: „Damit haben wir rein gar nichts erledigt. Ich spreche nur Dinge aus, die wir eh schon wissen.“
Das Publikum ist wahrscheinlich eher aus der eigenen Bubble?
Ja, deswegen habe ich mehrheitlich positive Rückmeldungen zu erwarten – was voll schön ist, ich finde aber teilweise schon etwas seltsam, ist, wenn Menschen zu mir sagen: „Oh, du bist so mutig, dass du sowas aussprichst.“ Da stimmt etwas grundlegend nicht. Im Vergleich zu beispielsweise den Frauen im Iran, die bei ihren Protesten ihr Leben riskieren – wenn sie einfach nur ihre Haare zeigen – bin ich nicht mutig. Ich stehe lediglich auf einer Bühne im sicheren Rahmen meiner eigenen Bubble.
„…ich möchte nicht nur meine weichgezeichnete Perspektive wahrnehmen.“
Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass jemandem meine Musik nicht gefällt – und meine Güte, das ist doch völlig normal. Deshalb arbeite ich daran, die Barriere zu durchbrechen und auch mit Menschen zu diskutieren, die politisch eine andere Haltung haben. Natürlich macht das nicht immer Spaß, aber oft ist es bereichernd und spannend. Und ich möchte nicht nur meine weichgezeichnete Perspektive wahrnehmen, sondern auch andere. Und ja, natürlich gibt es Personen, mit denen kann gar nicht diskutieren, aber ich bemühe mich, stets respektvoll zu bleiben.
Also lieber schwere Themen, dafür das Gefühl, was zu tun?
Ist mir persönlich lieber. Eine große Frage in diesem Land ist ja: Wäre ich damals im Widerstand gewesen? Ich stelle hier gerne die Gegenfrage: Sind Sie es heute? Viele Menschen sind bequem geworden und erkennen nicht die Ernsthaftigkeit, mit der unsere Demokratie täglich bedroht wird. Aktuell bedroht ist. Wir müssen innerhalb unseres Handlungsspielraums auch wirklich handeln. Ich versuche das auf meine Weise, durch meine Musik. Ehrlich gesagt, könnte ich gar nicht anders. Wenn ich eine lustige Indie-Band hätte, wäre ich persönlich nicht zufrieden (nichts gegen Indie-Bands).
Nicolas, wie geht’s weiter?
Aktuell freu ich mich auf ein klassisches Konzert zum Thema Feminismus, das sich ausschließlich Werken von Komponistinnen widmet. Die Veranstalterin und Pianistin, Laura Pfeffer, hat mich eingeladen, einen Text beizusteuern – aus der Perspektive eines Mannes zum Thema Feminismus. Das empfinde ich als eine große und wichtige Aufgabe. Es geht darum zu zeigen, dass Feminismus nicht nur ein ‚Frauenthema‘ ist. Wir Männer müssen uns ebenso engagieren und deutlich machen: Das hier ist auch unser Kampf. Es geht um Verhaltensänderungen und Denkmuster, die wir alle gemeinsam bearbeiten müssen.
Außerdem bin ich motiviert, wieder mehr zu schreiben. Mit Freund*innen habe ich das literarische Projekt „Anstiftungsrat“ ins Leben gerufen, um Menschen zu motivieren, Sprache als politische Kunstform zu nutzen. Für den Herbst plane ich etwas mit meiner Band und werde weiterhin klassische Musik machen.
Ich nehme an, auch außerhalb der eigenen Bubble?
Auf jeden Fall. Ich plane, mit meiner Musik gezielt aufs Land zu gehen. Solche Themen müssen auch außerhalb von Städten diskutiert werden und wir dürfen nicht denken, dass politisches Engagement nur etwas für linke Studis in Wien ist. Es gibt auch auf dem Land Menschen, die nach Alternativen suchen, und es ist wichtig, dass wir sie erreichen.
„Es gibt auch auf dem Land Menschen, die nach Alternativen suchen, und es ist wichtig, dass wir sie erreichen.“
Und ja – wir erreichen sie am effizientesten durch Vereinsstrukturen wie Blasmusik oder Feuerwehr. Aktuell arbeite ich an einem spannenden Projekt für ein Festival in Pinzgau. Es geht um eine Blaskapelle und ein Frauenhaus – auf den ersten Blick eine vielleicht ungewöhnliche Konstellation, aber ich bin überzeugt, dass wir da Gemeinsamkeiten finden werden. Wahrscheinlich mehr als gedacht.
Ganz bestimmt – ich pitch dich in meiner Kärntner Heimat.