Aus dem Bauch heraus
Gerard im Interview
Mit seiner eloquenten Mischung aus experimentellem, globalen Beat-Untergrund und zeitgenössischer, innovativer Popmusik beweist Gerard auf seinen dritten Langspieler erneut, was österreichischer Hip-Hop alles kann und darf – solang er Substanz hat. Und an der fehlt es auf ‚AAA‘ in keinem einzigen Song. Was seine „Gerard-Musik“ ausmacht, wie man sich gekonnt zwischen Gesellschaftskritik und Eskapismus bewegt und wieso das Bauchgefühl für ihn eines der wichtigsten Barometer im Business ist, hat uns der Oberösterreicher im Interview erklärt.
Dein neues Album heißt ‚AAA‘ – steht die Abkürzung für ‚Access All Areas‘?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es stehen ein paar Bedeutungen im Raum, wie z.B. ‚Alles auf Anfang‘ – da wir in einer sehr schnelllebigen Zeit leben und praktisch jede Sekunde wieder alles von null beginnt, es somit keine wirkliche Sicherheit mehr gibt. Daher sollte man meiner Meinung nach sehr risikoreich leben. Aber mit Access All Areas hast du auch recht: Zur Albumbox bekommt man nämlich einen Backstage-Pass, auf dem meine Handynummer steht. Es wird zusätzlich eine Whatsapp-Gruppe geben, in der ich dann ab und an durchgeben werde, wo man mich treffen kann – Partys, Eis essen etc. Da in der heutigen Zeit fast keiner mehr physische Tonträger kauft, muss man sich eben etwas einfallen lassen…
Natürlich! Kommen bei dir zuerst die Texte, dann die Beats?
Grundsätzlich sammle ich zuerst Ideen oder Bilder. Ich setze mich dann mit einem Produzenten zusammen. Währenddessen komme ich entweder auf ganz neue Ideen oder die Bilder verfestigen sich. Das geht meistens ganz schnell, da bei mir sehr viel aus dem Bauch heraus passiert. Das Schwierigste ist dann meist nur, herauszufinden, worum der Song gehen soll.
Worauf legst du bei deinen Texten besonderen Wert?
Da meine Texte immer von persönlichen Dingen und Erfahrungen handeln, sind sie für mich so eine Art Tage- oder Fotobuch. Grob gesagt ist das dahinterstehende Konzept einfach die Tatsache, dass es sich für mich richtig anfühlen muss. Lustigerweise passt am Ende meist alles zusammen, sodass ich gar nicht groß darauf achten muss, ob die Texte in einem gewissen konzeptionellen Rahmen bleiben.
Was macht das neue Genre ‚Gerard-Musik‘ aus?
Ich will immer überraschen! Ich will immer einen neuen Sound, nie zweimal das gleiche Album. Ich kümmere mich nicht darum, was gerade ‚in‘ ist, will aber auch keinen bewussten Gegenpol dazu schaffen. Ich will mein Ding machen und denke, dass es im deutschsprachigen Hip-Hop derzeit nichts Vergleichbares gibt.
Du machst experimentellen Hip-Hop salonfähig, indem du zusätzlich auf große Refrains setzt. Darf Rap das mittlerweile?
Ich will die Musik nicht unnötig kompliziert machen. Es ist nicht mein Anspruch, den Sound unhörbar zu machen. Ich bin selber ein großer Pop-Fan, aber mir ist dabei wichtig, Pop mit Substanz zu schaffen. Das ist auf Deutsch sehr schwierig, da man schnell Gefahr läuft, nach Schlager zu klingen. Daher ist es ein schmaler Grat, die Refrains eingängig zu gestalten, aber der Musik durch die Produktion, die Texte oder das Konzept Substanz zu verpassen.
Die deutsche Hip-Hop Szene hat sich in den letzten Jahren stärker politisiert. Wie politisch sollte Hip-Hop sein? Vor allem bei ‚Jetpacks‘ wirst du auch gesellschaftskritisch…
Musik darf so politisch sein, wie der jeweilige Künstler politisch sein möchte. Ich habe persönlich nur ein Problem damit, wenn es zu plakativ, zu einfach wird – wenn man also schon fast von Ballermann-Humor sprechen kann. Man sollte die Kritik schon etwas verpacken und nicht zu offensichtlich mit dem Zeigefinger deuten. Ich versuche daher auch, meine Anliegen eher zwischen den Zeilen zu formulieren. Ich halte auch nichts davon Parolen wie „Nazis raus!“, weil das selbstverständlich sein sollte bzw. auch in meinen Fankreisen selbstverständlich ist. Wenn eine Rechtsrock Band à la Freiwild so etwas machen würde, wäre das, meiner Meinung, nach sinnvoller.
In ‚Play/Skip‘ hingegen beschreibst du Musik eher als Eskapismus-Möglichkeit … sozusagen die zweite Seite derselben Medaille?
Ja, so könnte man es sehen. Der Song soll aber auch beschreiben, dass Gemütsstimmungen von dir selber abhängig sind. Mit dem Älterwerden kommt auch die Selbstreflexion: ‚Warum fühle ich mich gerade so?‘ Man merkt eben, dass es oft Kleinigkeiten sind, die einem den Tag versauen. Wenn man nicht aufpasst, kommt man schnell in ein Rad aus Negativität. Es ist aber auch möglich, diese Gefühle zu skippen, wenn man weiß, warum man gerade so empfindet. Dazu kann auch die richtige Musik beitragen. Ich will daher auch motivierende Musik machen.
Welche Motivation steckt hinter der Gründung deines eigenen Labels?
Als immer schon eher selbstständiger Künstler habe ich in den letzten Jahren beobachtet, dass die Infrastruktur der Musikindustrie einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Früher war ein Label viel wichtiger, da du Budget für Studios oder
Videos gebraucht hast. Diese ganzen Dinge kosten mittlerweile nur noch wenig, vor allem wenn du es als Künstler schaffst, eine Crew um dich herum aufzubauen. Es gibt aber immer noch Dinge, die du vielleicht – vor allem am Anfang – nicht selber kannst oder solltest. Da ist es schon wichtig, jemanden zu haben, der sich im Geschäft auskennt und über ein Netzwerk verfügt. Unser Label ‚Futuresfuture‘ sehen wir daher auch nicht als Label im klassischen Sinne, sondern eher als Coaching. Wir wollen junge Künstler bei Entscheidungen beraten, da in der Karriere vor allem die kleinen Entscheidungen wichtig sind. Ich habe viele Kollegen gerade an den, auf den ersten Blick, kleinen Dingen scheitern sehen, wie Vertragslaufzeiten etc. Bei uns ist das alles fairer und transparenter.
Super Sache! Nach welchen Kriterien signst du Acts?
Schwer zu sagen, aber wir sind jedenfalls nicht nur auf deutschsprachigen Hip-Hop spezialisiert. Mit mir haben wir drei Künstler dieser Art. Es ist vor allem sehr organisch gewachsen. Wir haben nicht im klassischen Sinne gescoutet, sondern viel ist auch durch Mundpropaganda entstanden. Außerdem war es immer Musik, von der ich sofort begeistert war. Immer nach dem Bauchgefühl!
Das ist die richtige Devise! Vielen Dank!