Alles Tango! - Gotan Project im Interview
Mit ihrem Debutalbum ‚La Revancha Del Tango‘ hat das Trio Gotan Project im Jahr 2001 für leidenschaftliches Aufhören in der Weltmusikszene gesorgt. Die unverschämt heiße Mischung aus elektronischen Beats und klassischem Tango hat auch bis heute nichts an Charme und Temperament eingebüßt. Im November kommen Philippe Cohen Solal, Eduardo Makaroff und Christoph H. Müller mit ihrem aktuellen Album ‚Tange 3.0‘ nach Österreich. Vorab haben wir Monsieur Müller auf das Interviewparkett gebeten.
Los geht’s auf dem Interviewparkett: Kannst du dich an den allerersten Tangotanz in deinem Leben erinnern?
Da gibt’s ein Problem.
Welches denn?
Ich tanze keinen Tango. Klar bekommen wir wegen unserem sehr speziellen Sound häufiger Fragen aus dieser Tanzrichtung gestellt. Aber das Gotan Project hat primär die Musikaufgabe, Menschen zum Tanzen zu bringen.
Klingt nach einer einstudierten Standardansage.
Vielmehr mehr nach ehrlichem Respekt: Tango ist einer der schwierigsten Tänze überhaupt und für viele Menschen so etwas wie eine Droge. Mir fehlt einfach die Zeit, es so zu lernen und zu beherrschen, dass es nicht total bescheuert aussieht. Ich überlasse das Parkett und den Tango lieber meinen Tänzerfreunden.
Welches Feedback bekommt ihr als Gotan Project speziell aus dem Tanzlager auf eure Modernisierung dieser lateinamerikanischen Musikrichtung, Stichwort „Electrotango“?
Als wir 1999 angefangen haben, war die Szene musikalisch noch sehr traditionell orientiert. Vor allem in den Milongas, so heißen die Tanzlokale, in denen Tango getanzt wird. Das hat sich aber mittlerweile generationsbedingt verändert. Gerade junge Tänzer sind dankbar dafür, dass sie sich jetzt, auch dank unserem Sound, zu modernen Tangorhythmen bewegen können.
Ihr drei seid Europäer, lebt und arbeitet in Paris. Wie wichtig sind Reisen nach Argentinien, dem Herkunftsland eures Sounds, für die Inspiration und Weiterentwicklung des Gotan Projects?
Paris gilt nach Buenos Aires als zweite Hauptstadt des Tangos. Hier wohnen sehr viele argentinische Exilmusiker, mit denen wir zusammenarbeiten. Das Gute und Besondere daran: Auch wenn sie mittlerweile in Frankreich leben bzw. leben müssen, haben alle immer noch diese eigene, stolze Verbindung zu ihrem Heimatland. Für uns als Gotan Project waren weniger die Reisen nach Argentinien oder Aufnahmen vor Ort wichtig, sondern eher das Gefühl, dass unsere Musik dort stimmig und passend klingt. Das haben wir auch erfolgreich geschafft, denn in Argentinien werden wir schon seit längerem als argentinische Band angesehen – auch wenn unsere persönlichen Ursprünge in Europa liegen.
Auch euer aktuelles Album „Tango 3.0“ habt ihr wieder in Paris aufgenommen – welche Kernaussage steckt in diesem Titel?
Der Albumtitel ist unsere eigene Weiterentwicklung des Modeworts „Web 2.0“ und soll reflektieren, dass wir über hundert Jahre alten Tango in die Zukunft führen. Zum Beispiel die von uns verwendeten Bläserelemente, die in dieser Musikverbindung traditionell nicht vorgesehen sind. Wir haben uns musikalisch definitiv wieder mehr Freiheiten herausgenommen. Keiner weiß heute, was 3.0 zukünftig einmal bedeuten wird. Für uns hat die Ziffer 3 aber schon jetzt eine wichtige Bedeutung gehabt. Gotan Project ist im Kern ein Trio und „Tango 3.0“ ist unser drittes gemeinsames Studioalbum.
Wie lässt sich dieser „Tango 3.0“ von Gotan Project auf die Bühne bringen?
Wir erlauben uns auf der Bühne musikalisch weiter zu gehen als auf den Alben. Da kann es schon passieren, dass sich ein klassisches Tangostück langsam aber bestimmt in härtere Elektronik verwandelt. Prinzipiell findet live dieser Dialog zwischen Klassik und Moderne wesentlich intensiver statt. Dazu kommt unser Anspruch an die optische Aufbereitung und den Genuss fürs Auge. Visuals aus dem Clubbereich sind zu wenig, unsere Videoinstallationen kommen eher aus dem zeitgenössischen Kunstbereich. Die Visualisierungen sollen nicht dazu da sein, unsere Musik zu illustrieren, sondern eine zusätzliche poetische Ebene in bewegten Bildern bieten.
Welchem Künstler vertraut ihr euch an, wenn es um den visuellen Eindruck geht?
Prisca Lobjoy, unserer langjährigen Weggefährtin, die auch für die Albencover verantwortlich ist. Sie bereichert unsere Musik mit ihrer eigenen Kunstsprache, ohne sie dabei zu übertönen.
Von der Kunst zur Literatur: Euer Song „Rayuela“, zu Deutsch „Himmel und Hölle“, ist eine Hommage an den berühmten argentinischen Schriftsteller Julio Cortázar – wo ist da die genaue Verbindung zum Gotan Project?
Wie es der Zufall will: Julio Cortázar hat seine letzten Lebensjahre in dem Pariser Haus verbracht, wo wir jetzt unser Studio drin stehen haben. Am Hauseingang ist eine Gedenktafel angebracht. Cortázar war einer der wichtigsten Literaten aus Argentinien und hat besonders mit seinem Buch „Rayuela“ in den sechziger Jahren für Aufsehen gesorgt. Es geht um eine Liebesgeschichte in Paris, die auf zwei Arten gelesen werden kann: entweder linear, Kapitel für Kapitel, oder aber in individuellen Kapitelsprüngen – dieser experimentelle Ansatz war damals revolutionär. In unserem Song ist ein kleiner Ausschnitt aus seinem Buch zu hören, zusätzlich haben wir Cortázar ein paar bewundernde Zeilen gewidmet.
Zum Ende noch: Das ganze Interview hat sich zwischen Buenos Aires und Paris bewegt – auf was freust du dich persönlich, wenn du nach Österreich kommst?
Ich spüre bei jedem Besuch, welchen hohen Stellenwert Musik für viele Menschen in Österreich besitzt. Das ist sehr schön. Aber noch schöner: ein leckeres Schnitzel mit einem guten Bier.
Der Mann hat Geschmack. Prost Mahlzeit und bis im November in der Alpenrepublik!