Ärger als alles
Wanda im Interview
Ein Sturm zieht auf, es blitzt und donnert als würde die Welt untergehen. Wir sitzen mit Marco Michael Wanda in einem Wintergarten auf einer Dachterrasse im 17. Wiener Gemeindebezirk. Während sich im Hintergrund apokalyptische Szenarien abspielen, erzählt uns der Sänger der Senkrechtstarter Wanda bei Kaffee und Zigarette(n), wie er trotz des Erfolgs am Boden bleibt, warum er überhaupt Musiker geworden ist und wieso lieb sein eigentlich so schwer ist.
In unserem letzten Interview hast du gemeint: ‚Wir sind kurz davor, eine gute Band zu sein.! Ist euch das mittlerweile gelungen?
Nach ca. 280 Shows in den letzten zweieinhalb Jahren sind wir zumindest eine bessere Band geworden. (lacht) Wirklich gute Bands sind Künstler wie The Doors. Wobei ich das Gefühl habe, dass wir auf der Bühne entweder die beste oder schlechteste Band sind. Wir spielen die Lieder selten gleich, lassen viel Spielraum für Improvisation, da können schonmal Dinge schief gehen. Aber dieses ’schauenwas passiert‘ finde ich sehr spannend. Wenn das funktioniert und gut rüberkommt, sind wir eine sehr gute Band.
Was macht eine gute Band aus?
Dass die Mitglieder nicht bezugslos zueinander auf der Bühne stehen und man ihre Freundschaft fühlt. Die bloße Erscheinung soll eine Geschichte erzählen und im günstigsten Fall sieht man ihnen die Mühen der vergangenen Jahre an.
Trifft auch gut auf euch zu…
Ich glaube, ich habe auch ein bisschen uns beschrieben. (lacht)
Wie hat sich dein Leben seit ‚Amore‘ verändert?
Natürlich hat der Erfolg mein Leben umgekrempelt, aber ich habe immer versucht, dass er mich nicht verändert – dass ich der selbe glückliche oder unglückliche Mensch bleibe und das nicht von meiner Karriere abhängig mache.
Wie gelingt es, bei eurem Erfolg am Boden zu bleiben?
Indem man eben nicht diese Dinge tut,
die man tun könnte. Nicht auf besondere Partys geht oder sich einbildet, dass man irgendwo dabei sein muss. Mein Umfeld hat sich kaum geändert. Ich habe treue Freundschaften – zwar nicht viele, aber die wenigen sind stark. Ich verbringe viel Zeit mit meiner Familie und habe das Glück, dass meine Bandkollegen über die Jahre meine besten Freunde geworden sind. Wenn du im Erfolg die Absolution suchst, hast du sowieso schon verloren.
Die Songs auf eurem neuen Album ‚Niente‘ wirken etwas persönlicher als auf den beiden Vorgängern. Absicht oder einfach passiert?
‚Niente‘ beschreibt etwas Inneres und ist ein Versuch, mit wenigen Worten zu reflektieren. Ich habe das Gefühl, mehr zu mir selbst gefunden zu haben. Wobei ich gleichzeitig auch ein bisschen Verstecken spiele und nicht viel von mir preisgebe. Ich teile gerne das Bisschen, das ich als kleiner Mensch gelernt habe – wie viel ich dabei über mich verrate, weiß ich eigentlich gar nicht.
Ist weniger mehr?
Ich bin der Überzeugung, dass Reduktion immer noch den stärksten Effekt auf den Zuhörer hat.
Wie schreibt Marco Wanda eigentlich seine Songs?
Mich begleitet das Liederschreiben seit zwanzig Jahren. Obwohl es ein emotionaler Prozess ist, sehe ich es gerne als Handwerk. Würde ich es von psychischen Impulsen abhängig machen, hätte ich die Angst, ich könnte die Gabe irgendwann verlieren. Dann wäre ich erledigt. Der Tag, an dem ich keine Musik mehr schreiben kann, ist mein Ende. Deswegen gehe ich sehr behutsam damit um und arbeite mich nicht zu Tode.
Bei dem ein oder anderen Song hat man das Gefühl, du blickst etwas wehmütig auf deine Kindertage – ganz ohne Förmlichkeit – zurück. War früher doch alles besser?
Für mich ist das Thema Kindheit auf der Platte Platzhalter für etwas Vergangenes. Aber ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen 30 Lebensjahren immer noch die emotionale Reife eines Kindes habe. (lacht)
Fühlst du dich nicht erwachsen?
Natürlich. Mit 30 gehe ich nicht mehr als junger Mann durch, schon gar nicht nach diesen wilden und verrückten Jahren. Ich bin alt geworden und das spüre ich auch. Ich muss aber zum Beispiel nicht die Verantwortung eines Vaters tragen – das stelle ich mir dann noch einmal als einen ganz anderen Kick vor. Durch die Wirren unserer Zeit wird uns aber auch viel Verantwortung genommen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine Generation sind, die man als durch und durch wach bezeichnen kann. Ich glaube, es gab Zeiten, in denen man viel früher erwachsen werden musste – durch Kriege zum Beispiel.
Also spielt Verantwortung eine große Rolle?
Ja, Verantwortung für sich und die Gesellschaft. Wir leben zwar im Neoliberalismus und dürfen sehr viel, aber dass man uns wirklich braucht, spüre ich nicht. Ich denke, ich habe diesen Beruf überhaupt nur ergriffen, damit ich irgendeine sinnvolle Aufgabe in dieser Gesellschaft erfülle. Die eines Dichters, der Menschen zusammenführt und sie so sein lässt, wie sie wollen.
Was ist deine schönste Kindheitserinnerungin 0043?
Mit dem Fahrrad im Waldviertel von einem Dorf ins nächste fahren, weil es dort ein Schwimmbad gibt – mit ein paar Freunden in einer Art Gang. (lacht) Ich war immer in Gruppen unterwegs, gar nicht als Anführer, eher als Vizechef, der eigentlich das Sagen hat und die Mutproben definiert. Da haben wir uns nackt in Brennnesseln gewälzt und so einen Blödsinn. (lacht) Die schönsten Erinnerungen sind aber an Menschen gebunden. Ich glaube, ich war wie ein Hund und habe immer die Nähe von anderen gebraucht. Wobei ich auch oft alleine im Wald gesessen bin und philosophiert habe. Mich hat schon mit acht Jahren die Endlichkeit beeindruckt und gleichzeitig geärgert.
Stichwort Endlichkeit – was soll einmal auf deinem Grabstein stehen?
Spannende Frage. Da zähle ich auf meine raffinierten, intelligenten Freunde, die das hoffentlich übernehmen. Es ist vielleicht schöner, wenn das von jemand anderem kommt und gar nicht von einem selbst.
Würdest du dich über eine Textzeile aus einem deiner Songs freuen?
Eher über eine von den Beatles – vielleicht ‚Try to see it my way‘.
Warum ist lieb sein eigentlich so schwer?
Weil es die volle Kunst ist, oder? Für mich zumindest. Ich muss mich anstrengen, einfühlsam zu sein.
Bist du ein lieber Mensch?
Wahrscheinlich schon. Ich kann nicht wirklich beleidigend oder aggressiv sein – und wenn, dann ist das gesund und liegt an den italienischen Genen. (lacht) Nein, ich glaube, ich bin ganz nett.
Ihr habt euch die letzten Jahre den Arsch abgespielt – ist man es irgendwann leid, auf die Bühne zu gehen?
Nein, es ist immer eine Freude und das größte Gefühl von Freiheit, dass ich mir vorstellen kann. Es ist ärger als Liebe, ärger als Sex, ärger als alles.
In der Stadthalle hast du dich mit den Worten: ‚Vielen Dank für die letzten zwei Jahre. Und danke für die nächsten 20. Oida!‘ verabschiedet. Wo siehst du Wanda in 20 Jahren?
Hoffentlich gesund, weil es doch ein sehr kräftezehrender Beruf ist, und mit derselben Lebenslust wie heute. Wenn uns die Leute wollen, bleiben wir sehr gerne noch 20 Jahre.
Wir hätten niente dagegen und freuen uns auf eure nächste Tour durch 0043!