60% kacke & 40% geil
Rakede im Interview
Es geht uns doch gut. Sehr, sehr gut. Sehr gut! Moment! Wirklich? Oder verbirgt sich dahinter nicht etwa doch ein kleiner, fieser Selbstbetrug? Ja, befinden Rakede, feiern die Beschissenheit der Dinge und halten dem oberflächlichen Hedonismus mit ihrem neuen Album grinsend den Spiegel vor. Grund genug sich mit Julian a.k.a. Triebwerk I im Interview Erfolgsstreben, Prioritäten und böse Geister genauer anzuschauen.
Laut eurem Albumtitel geht es euch gut. Sehr, sehr gut. Sehr gut. Das klingt nach triefendem Sarkasmus?
Ich kann mich gerade nicht beschweren. (lacht) Doch der Albumtitel ist als zweischneidiges Schwert zu interpretieren, weil eine Person, die das sagt, ja oft nicht so fühlt und es sich bei der Aussage eher um Selbstbetrug handelt. Das fanden wir deswegen ganz gut, da es natürlich einerseits positivistisch ist und man andererseits den Braten schon riecht. Das Album ist auch ein bisschen so – gleichzeitig gut und schlecht.
Warum eignet sich auch im neuen Album Humor besser als Ernsthaftigkeit, um eure Kunde zu verbreiten?
Nun, Humor muss nicht zwingend besser sein. Manchmal ist es wahrscheinlich besser, Dinge geradeaus zu sagen. Die Frage ist nur, ob das dann auch unterhaltsam klingt. Ich finde, wer es sehr gut hinkriegt, ist zum Beispiel Felix von Kraftklub, der manchmal extrem direkt sagt, was ihn stört und dabei noch lustig sein kann. Ich habe bis jetzt noch keinen Weg gefunden, es anders als mit Humor zu machen. Irgendwie hört sich bei mir ‚ernst‘ immer seltsam an und die eigene Sprache, also in unserem Fall Deutsch, ist da sehr unverzeihlich. Wenn ich jetzt zum Beispiel einen Jan Delay-Song singen müsste, käme einem der Text vielleicht auf einmal beschissen vor, obwohl er gar nicht schlecht geschrieben ist. Wer weiß?
Der Song ‚Mein schönster Tag in deinem Leben‘ beschäftigt sich mit dem Hinterfragen von Prioritäten im Leben. Wer sollte das Lied unbedingt hören?
So einige Leute! Das Problem ist, dass man meistens ‚preaching to the choir‘ betreibt. Menschen, die unsere Musik hören, sind meistens eher halblinks eingestellte, weltoffene Persönlichkeiten und keine, die reines Streben nach Erfolg als Schlüssel zum Glück sehen. Insofern fürchte ich, dass Leute, denen ich solche Sachen gerne wirklich sagen möchte, sich nicht angesprochen fühlen, wenn sie die Lieder hören. Um es plakativ zu beantworten: Man könnte es Donald Trump vorspielen oder Johannes B. Kerner, der damals Bushido in seine Show eingeladen hat – mit dem einzigen Argument, dass der viele Platten verkauft. Ich fand die Musik damals kacke und ich fand auch, dass das Musikalische eher das Kriterium sein sollte, ob man jemanden einlädt oder nicht. Sonst bejubeln wir jemanden nur deshalb, weil so und so viele Idioten seine Platte auch gekauft haben. Was unser Song kritisch behandelt, ist mit Sicherheit die Erfolgsgeilheit als ultimativen Maßstab, ob etwas gut ist oder nicht und alles andere wird ignoriert. Das ist übrigens auch bei Labels so.
Wonach lohnt es sich dann zu streben, wenn nicht nach Erfolg?
Das ist die große Frage. Es gibt ja auch viele Rapper, die nichts anderes wollen und damit tatsächlich gute Musik machen – auch wenn ich Kanye West jetzt nichts unterstellen will. Der ist zum Beispiel eine Kunstfigur – egal, was man von seiner exzentrischen Art hält. Im Leben strebt man wahrscheinlich nach Glück, Wertschätzung und dass einem jemand auf die Schulter klopft. Wenn du als Politiker sagen würdest, dass wir im Jahr 2017 nur ein nur leichtes Wirtschaftswachstum hatten und du damit zufrieden bist, würde man dir den Vogel zeigen. Es nervt mich, dass das Streben nach Glück und Zufriedenheit eher als etwas für Esoteriker abgestempelt wird. Kein Politiker würde bei einem Gesetzerlass sagen: ‚damit werden wir glücklichere Leute.‘ Alles dreht sich nur um Wachstum und messbare Ergebnisse. Man darf ja auch mal sagen, dass man der geilste Typ ist und alles wegblastert (lacht).
Apropos … was ist das Schmeichelhafteste, das du bis jetzt über das Album gehört hast?
Ich habe von jemandem, dessen persönliche Meinung mich sehr interessiert, Gutes gehört – und zwar von Curse. Das hat mich sehr gefreut! Man verliert den Bezug dazu, ob etwas von außen als ‚gut‘ wahrgenommen wird, wenn man sich intensiv mit einer Sache beschäftigt und sowas gibt einem dann etwas mehr Vertrauen.
Uns gefällt es auch.
Juhu! Man nimmt das immer anders wahr. Man will als Künstler etwas Witziges schreiben und es erscheint einem albern. Man möchte deep und traurig klingen und es hört sich weinerlich an. Wenn man aggressiv rüberkommen möchte, findet man sich selbst rechthaberisch. Das ‚bisschen zu viel‘ lauert an jeder Ecke und es gibt viele Wege, sich selbst scheiße zu finden. (lacht) Ich zum Beispiel finde mich zu 60% zu kacke und zu 40% zu geil – aber ich bin ja eher der Selbstzweifler. (lacht)
Wieviel Julian steckt im Album?
Vor allem dieses Mal ziemlich viel. Affe (Daniel Karelly a.k.a. Affe Maria) und ich schreiben normalerweise alles, aber diesmal wollten wir das Rappen ein kleines bisschen zurückschrauben und mehr singen. Es ergab sich dann so, dass vieles von mir kam, weil ich schon ein paar Akkorde und Melodien im Kopf hatte. Ich kam ich entweder mit einer Idee an und Affe bastelte mit dran rum oder wir gingen klassisch an die Sache ran und hatten zuerst einen coolen Beat und ich überlegte dann den Text dazu. Es ist ein Triebwerk I-ähnliches Album geworden. Mal sehen, ob das etwas Gutes bedeutet.
‚Wenn niemand da ist, tanz ich mit den Geistern, die ich seh.‘ – welche Geister sind da gemeint?
Beispielsweise dass man sich selbst kacke findet, nie zufrieden ist und sich erst an sich selbst gewöhnen muss. Für mich heißt das, dass ich mit den Meisen, die ich habe, zufrieden bin. Jeder hat irgendwo eine Meise, hoffentlich. Es gibt auch Leute, die akzeptieren sie nie. Was auch immer deine Meise ist – die kann damit auch gemeint sein. (lacht) Wir können beide gemeint sein.
Wie viel Angst muss man vor Blicken in die Zukunft haben?
Den Spruch, ‚die Jugend von heute ist so verkorkst‘, kennt wohl jeder und jede Generation ertappt sich dabei, so zu denken. Aber diesmal … nun ja, ich denke schon, dass die aktuellen ein paar wegweisende Jahre sein werden. Ich finde, dass man eigentlich keine Angst haben, sondern nur die Augen und Ohren offenhalten muss. Man sollte vor allem immer schauen, was einen die Geschichte lehrt. Nicht nur völkergeschichtlich, sondern man sollte auch aus der eigenen Erfahrung lernen, um sich aus Kreisen und Routinen, in denen man sich dreht und die einem nicht gut tun, wieder zu befreien. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass das Smartphone in unserer Hand Satan ist, sondern dass wir dadurch riesige Chancen haben, weil wir immer einen riesigen Schatz an Wissen mit uns rumtragen. Natürlich muss man aufmerksam bleiben, aber nicht paranoid. Ich muss da jetzt unfassbarerweise Merkel zitieren (lacht), die zum Thema Flüchtlingskrise gesagt hat: ‚Wir wissen gerade nicht, wo es langgeht, aber wir wissen, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist.‘ Da musste ich ausnahmsweise einmal zustimmen!
Schöne Schlussworte! Vielen Dank!