Bosse übers Träumen
Bosse im Interview
Von den zahlreichen Arten von Träumen- von Rauschträumen bis hin zu sozialen Visionen, gibt es eine besondere Art von Träumerei, über die wir gerne mehr erfahren wollten: die Träume von Bosse. Wir hatten das Vergnügen, ein Gespräch mit dem deutschen Sänger Bosse zu führen, in dem er über seinen kreativen Schaffensprozess für sein bevorstehendes Album „Übers Träumen“, seine Sicht auf die politische Verantwortung als Künstler und seine inspirierenden Quellen für seine Songtexte sprach. Im November beginnt Bosse seine Europatour, die ihn am 9.12.2023 nach Wien führt. Ein wahrgewordener Traum, könnte man meinen.
Dein neues Album „Übers Träumen“ erscheint am 27.10. Mich hat der Titel von deinem Album sehr neugierig gemacht. Wie spiegelt sich denn diese Thematik in deinem neuen Album wider und welchen Einfluss nahm „Träumen“ in deinem kreativen Schaffensprozess?
Bosse: Mir ist eigentlich sehr, sehr früh klar geworden, dass ich gerne übers Träumen singen möchte und das als roter Faden für mein neues Album sehe.
Gab es einen ausschlaggebenden Moment oder Inspiration für diese Entscheidung?
Ich habe angefangen, den ersten Song „Schlaf bei mir ein“ zu schreiben. Ich saß nachts am Klavier und hatte viele Gedanken im Kopf, wie den Krieg in der Ukraine und die anhaltenden Auswirkungen von Corona auf unseren Alltag. Das Leben kann stressig und frustrierend sein, aber in manchen Momenten begegnen sich zwei Menschen auf der Straße, erschöpft bis zum Umfallen, aber können dennoch Trost und Unterstützung in dieser Verbindung finden. Ich befand mich in einem kreativen Flow, der mich in eine Art Traumwelt entführte, weit weg von der Realität für einen Moment. Plötzlich konnte ich etwas in die Unendlichkeit schicken und es davonfliegen lassen. Das war eine völlig neue Erfahrung für mich. Daraufhin begann ich, mich intensiver mit dem Thema „Träumen“ auseinanderzusetzen und erkannte, dass es unzählige Arten von Träumen gibt: Fieberträume, Rauschträume, Tagträume, gesellschaftliche Träume, persönliche Träume und vieles mehr. Ich finde dieses Thema unglaublich faszinierend, riesengroß und äußerst präsent.
Wie nützt du denn „Träumen“ für dich persönlich?
Während des Schreibens bin ich erst wirklich draufgekommen, wie ich „Träume/Träumen“ individuell nutze, wenn man das so sagen kann. Insbesondere Tagträume oder die Fähigkeit, in Gedanken zu versinken, wo nur der Geist gegenwärtig ist, können einem, die Energie geben, die man für den manchmal harten und frustrierenden Alltag benötigt.
Du hast bereits angesprochen, dass unsere Gesellschaft derzeit vor zahlreichen Herausforderungen steht und viele Menschen persönliche Krisen durchleben. Denkst du, dass sich deine Hörer:innen durch dein Album in eine unbeschwerte Welt hineinflüchten können? Sprichst du auch politische Themen und Krisen an?
Die meisten Songs in meinem Album haben tatsächlich eine ausgeprägte Dualität. Sie behandeln häufig zwei miteinander verschmelzende Welten. Eine davon ist der „Exit“, was im Grunde genommen der eigene Verstand, die eigenen Wünsche oder auch die persönliche Traumwelt darstellt. Die andere Welt dreht sich hingegen um gesellschaftliche Themen, Kritik und den alltäglichen Realitäten. Ein gutes Beispiel für diese Verschmelzung der beiden Welten findet sich in dem Song „Salzwasser“, den ich gemeinsam mit Alligatoah aufgenommen habe. In diesem Song geht es um die Flucht vor der Hitze der Stadt aufgrund der Klimakrise. Dabei flüchtet man gedanklich ans Meer, wo man vielleicht mit einem Hummer herumtollt, mit Haien tanzt und ins Wasser springt. (lacht) Es ist eine Art intakte Welt, die in Kontrast zur Realität steht.
Von was träumt Bosse denn derzeit?
Gesellschaftlich gefühlt von 1000 Sachen, im Moment aber wünsche ich mir sehr, dass es in Kunst, Musik und auch in der Filmbranche mehr weibliche Perspektiven geben würde. Mehr der weibliche Blick, um Klischees einfach kaputt zu hacken. Was meine eigenen Träume angeht, muss ich ehrlich sagen, dass ich gerade im Moment glücklich bin. Jeden Morgen wache ich auf und denke, vielleicht hält dieses Gefühl noch eine Weile an. (lacht)
Sind die visuellen Darstellungen und Inspirationen in deinem Musikvideo „Ein Traum“, aus einem tatsächlichen Traum entstanden, den du hattest.
Zumindest „echt“, weil wir alle Masken, Hintergründe usw. selbst gemacht haben. (lacht) Aber nein, die Inspiration kam nicht aus einem Traum. Ich habe mit zwei engen Freunden zusammengearbeitet, die Erfahrung im Drehen von Musikvideos haben. Wir haben versucht, verschiedene Welten miteinander zu verbinden und alle möglichen Requisiten und Elemente ins Musikvideo integriert. Am Ende haben wir alles wild zusammengeschnitten.
Bleiben wir gleich bei dem Song. Die Strophe „War wunderbar und hört deshalb nie auf, wunderbares Upside Down (ich will nochmal), ein Wirrwarr sind die Gedanken, als hätte ich ganz Holland leer geraucht“. Hat mich sehr gefesselt. Gibt es eine Geschichte dazu?
Es gibt so viele Geschichten dahinter. (lacht). Als jünger ich war, war dieses Gefühl am stärksten. Aber ich erinnere mich immer noch gut daran: Man fährt von jemanden nach Hause und man hat das Gefühl, dass man sich vielleicht nie wieder sehen wird, weil alles so lose ist, aber gleichzeitig spürt man, dass etwas von dieser Erinnerung bleiben wird. Man schwebt einen halben Meter über dem Boden, fühlt sich nicht richtig down- to- earth. In diesem Moment eben einfach, als hätte man die Niederlande offenbar leer geraucht. (lacht)
Das Thema „Träumen“ kann sehr intim sein, war dein Schreibprozess bei diesem Album dementsprechend anders als bei den vorherigen?
Bei mir ist es immer so, dass ich von Anfang an allein arbeite und die Songs zu 100 % selbst schreibe. Die Zusammenarbeit mit Musikerinnen und Musikern sowie Produzentinnen und Produzenten kommt erst später im Prozess, aber dann ist es immer eine wunderbare Erfahrung. Was ich vor allem brauche, ist Ruhe. Es spielt keine Rolle, wo ich mich befinde. Ich benötige lediglich einen Raum, ein Klavier, eine Gitarre, ein weißes Blatt Papier und eine Idee. Das ist immer so, egal bei welchem Album, wird sich wahrscheinlich auch nie ändern.
Woher nimmst du denn deine Ideen für Songtexte?
Mein kreativer Prozess ist in zwei Phasen aufgeteilt, würde ich sagen. Nachdem die Phase des musikalischen Fokus und des Promotens vorbei ist, beginne ich damit, wieder Dinge aus meiner Umgebung zu filtern und aufzusaugen. Ich lese, verbringe Zeit in Cafés und informiere mich. Ich beobachte Menschen und verbringe Wochen am Klavier, um mich inspirieren zu lassen. Während dieser Zeit kommen Gedanken und Ideen ganz automatisch. Ich denke, es gibt so viele Dinge, über die man singen sollte – sowohl über all das Schlechte als auch über all das Gute in der Welt.
Siehst du es als deine Verantwortung und als einen integralen Bestandteil deiner Kunst, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren und Stellung zu beziehen? Sowohl durch deine Texte als auch durch verschiedene Aktionen wie beispielsweise deinen Auftritt am weltweiten Klimastreik am 15.09.2023?
Das ist eine gute Frage. Ich habe volles Verständnis für Künstler und Künstlerinnen, die sich bewusst dafür entscheiden, keine öffentlichen politischen Positionen zu beziehen. In meinem Fall wurde ich von klein auf in einem politischen Umfeld sozialisiert und aufgezogen. Während meiner Karriere wurde mir schnell bewusst, dass meine Hörerinnen und Hörer ebenfalls ein Interesse daran haben, sich zu engagieren. Daher habe ich mich dann unter anderem dazu entschlossen, mich aktiv einzubringen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich allein die Welt nicht verändern kann, aber ich glaube fest daran, dass wir im Kleinen tatsächlich einen Unterschied machen können. Ich suche ständig nach eigenen Ideen und Organisationen, die ich unterstützen kann, und wie ich meinen Teil beitragen kann, um mich zu engagieren.
Löst diese selbst und fremd zugeschriebene Verantwortung auch manchmal Druck in dir aus?
Nein, eigentlich nicht. Der einzige Druck, den ich verspüre, ist, wenn ich in einem von Nazis besetzten Dorf spiele und versuche, die beiden einzigen nicht-Nazi-Bewohner:innen zu unterstützen. Daraufhin bekomme ich oft Anfeindungen und Anzeigen. Das bedeutet, dass ich manchmal einen Shitstorm von rechts bekomme, aber das empfinde ich nicht als Druck, denn man sollte solche Angriffe nicht allzu ernst nehmen. Manchmal kann man darüber lachen, aber es kann auch wirklich frustrierend sein.
Im November beginnt deine Tour, auf was freust du dich?
Ich bin seit vielen Jahren regelmäßig auf Tour, und es ist interessant, wie sich die meisten Dinge trotzdem nicht grundlegend ändern. Ob wir nun mit einem kleinen Sprinter oder einem riesigen Bus unterwegs sind, das grundlegende Gefühl ist immer dasselbe. Es ist eine Mischung aus Urlaub und Arbeit und das schätze ich sehr. Die Anstrengungen verblassen oft in den Hintergrund, weil die Konzertabende mit den Fans und der Crew so erfüllend sind. Darauf freue ich mich total, einfach auf eine schöne Zeit.
Danke dir Bosse für das interessante Gespräch! Wir freuen uns alle sehr, dich am 9.12.2023 in Wien zu sehen.
Ich mich auch!