Gute JRPG-Kost, aber nicht überragend
Octopath Traveler II
Retro zieht – das weiß natürlich auch Square Enix und bringt mit Octopath Traveler II den nächsten Leckerbissen im JRPG-Gewand der alten Tage. Warum die Mischung aus Altem und Neuem für uns gut funktioniert und warum Octopath Traveler II am Ende doch eine Enttäuschung ist, verrät unser Test.
Ladies, Gentlemen und alle dazwischen: Es darf wieder gegrindet werden! Octopath Traveler II schickt euch mit einer klassischen Heldentruppe, die im Verlauf des Spiels immer weiter anwächst, in den Kampf gegen allerlei Ungetüme und Bösewichte mit fiesen Hintergedanken und Allmachtsfantasien. In rundenbasierten Kämpfen haut, schießt und zaubert ihr haufenweise Gegner kaputt, ganz so wie wir es seit den Tagen des ersten Final Fantasy kennen.
Da es heutzutage nicht mehr ganz reicht, das Standardprogramm unverändert abzuspielen, hat Octopath ein paar clevere Feinheiten eingebaut. Die auffälligste davon sind die Boost Points, von der eure Charaktere pro Runde einen sammeln. Die könnt ihr dann sofort verbraten, um entweder öfter oder stärker zuzuhauen, oder ihr sammelt die Punkte über ein paar Runden und lasst dann so richtig mächtig was los. Außerdem haben sämtliche Gegner Schwachpunkte, einer verträgt vielleicht keine Dolche oder ein anderer mag Elektrozauber so gar nicht. Nutzt ihr die Schwachpunkte richtig aus, könnt ihr die Fieslinge kurz bewegungsunfähig machen und dann kräftiger zuschlagen. Dieses Wechselspiel aus diesen taktischen Kniffen ist angenehm fordernd, nie unfair und sorgt einfach für eine Fetzengaudi. Das Kampfsystem ist eindeutig eine der ganz großen Stärken von Octopath Traveler II.
Die andere ist die Präsentation. Octopath Traveler II setzt weiter auf den Mix aus 2D und 3D, der schon dem Vorgänger seinen ganz eigenen Look verliehen hat. Seit dem ersten Teil sind fünf Jahre ins Land gezogen und die Entwickler haben die Zeit nicht ungenutzt gelassen: Selten ist uns ein schöneres und atmosphärischeres JRPG untergekommen. Die Mischung aus den Grafikstilen funktioniert prächtig, und in Verbindung mit dem grandiosen Soundtrack zieht euch die Welt schnell in ihren Bann. Hier haben Square Enix und Aquire alles richtig gemacht. Wenn ihr bis hierher gelesen habt, werdet ihr euch vielleicht wundern: Warum schreiben wir dann in der Einleitung trotzdem von einer Enttäuschung?
Für die Story eines durchschnittlich großen JRPGs braucht man vor allem eines: Zeit. Plot Twists, mehr Charaktere als in Game of Thrones mit noch abgefahreneren Namen und viel, viel Gequatsche gehören bei dieser Sorte Spiel zum guten Ton. Octopath Traveler hat trotzdem versucht, das Ganze noch zu verachtfachen und acht verschiedene Storys und Hauptcharaktere in einem Spiel zusammen zu führen. Das hat über weite Strecken ok funktioniert, aber mehr als Einzelhäppchen denn als großes Ganzes, weil das Spiel es nie wirklich geschafft hat, die acht Einzelstränge befriedigend zu verbinden. Der Nachfolger Octopath Traveler II versucht zwar, diese Falle zu umgehen, und tappt aber doch voll hinein. Vom Samurai über den Priester bis hin zur Diebin wider Willen sind die Charaktere eine Mischung aus „das klingt spannend“ und „hier wird kein Klischee ausgelassen“. Jede*r von ihnen erlebt die eigene Geschichte, die sie durch die Welt führt. Im Vergleich zum ersten Teil passiert zwar mehr an Interaktionen zwischen den acht einzelnen Protagonist*innen, aber von einer befriedigenden Story, die die einzelnen Stränge letzten Endes gut verbindet, können wir hier wirklich nicht sprechen. So spannend das Konzept von acht Storys, die ein großes Ganzes ergeben, auf dem Papier klingt – gut umgesetzt ist es immer noch nicht.
Und dann leidet Octopath Traveler II an zu viel Ballast, die das Spiel unnötig verzögern. Großes Stichwort Zufallskämpfe: Warum müssen wir uns in einem Spiel aus dem Jahr 2023 immer noch mit diesem Relikt aus der Vergangenheit rumschlagen? Vor allem, weil das Gameplay null davon hat. Ihr werdet an manchen Stellen so oder so etwas grinden müssen. Ansonsten werden nicht alle Charaktere, die ihr gerne in der Party hättet, auf dem richtigen Level sein. Wenn wir die Gegner in der Spielwelt sehen und ihnen ausweichen bzw. sie gezielt ansteuern könnten, wäre das einfach spaßiger, als zwei Schritte zu machen und wieder in einem Überraschungskampf zu hängen.
Jeder von euren Charakteren hat außerdem eine Zusatzfähigkeit, die ihr an NPCs in der offenen Welt einsetzen könnt. Stehlen, Aushorchen, „komm mal mit“-sagen und so weiter. Und meine Güte, was haben wir Zeit verplempert mit diesen Fähigkeiten! Octopath Traveler II ist genretypisch sowieso schon ein Brocken von einem Spiel, wenn ihr dann noch durch die Welt stolpert und jeden NPC einzeln wahlweise beklaut oder ihm eins auf die Nuss gebt, dann plant schon mal ein paar Stunden zusätzlich ein. An solchen Stellen wäre weniger einfach mehr gewesen.
Octopath Traveler II ist also für Genrefans sicher kein Fehlgriff, allein mit den Kämpfen und der Präsentation werdet ihr viel Spaß haben, wenn ihr gern rundenbasiert unterwegs seid, Level grindet und viel, viel Text lesen möchtet. Inzwischen gibt es aber Genrevertreter wie Chained Echoes, die Spiele wie Octopath Traveler II locker überholen, einfach weil sie es besser schaffen, einem angestaubten Genre wieder Leben einzuhauchen.
— Martin HammerlDas Gute
Wunderschöne Grafik
Sehr stimmiger Soundtrack
Erstklassiges Kampfsystem
Das Schlechte
Storys von schwankender Qualität, wachsen nicht richtig zusammen
Elendige Zufallskämpfe!!!
Zu viel Ballast, der nichts zum Spielspaß beiträgt