Mind – Body – Soul
The Chant
Weihnachten kommt in großen Schritten auf uns zu und bei der hohen Anzahl von Menschen, die in Österreich an übernatürliche Aspekte glauben stehen die Chancen gut, dass sich der eine oder andere von euch beim Weihnachtsessen mit seiner Tarotkarten-legenden Tante über Chakren, Kraftorte und Heilsteine unterhalten muss. Für all jene, die sich mit diesem Thema lieber innerhalb fiktionaler Welten beschäftigen legt das Indie-Studio Brass Token nun sein Horror/Action Adventure Erstlingswerk „The Chant“ vor, das mit psychologischen Horror-Elementen, interessantem Gegnerdesign und umfassender Lore lockt.
Glory Island
Unsere Hauptfigur, Jess, eine Bioanalytikerin, steht der Idee eines spirituellen Retreat-Urlaubs unter der Führung von Guru Tyler auf der geheimnisvollen Insel Glory Island anfangs eher skeptisch gegenüber. Geplagt von Schuldgefühlen über den Tod ihrer Schwester, folgt sie jedoch der Einladung ihrer entfremdeten Freundin aus Jugendtagen Kim.
Die Insel, die früher eine geheimnisvolle Sekte beherbergte, ist überwachsen, die wenigen Gebäude stark renovierungsbedürftig, Elektrizität gibt es nur spärlich – der perfekte Ort also, um sich in völliger Abgeschiedenheit auf sich selbst zu besinnen.
Kaum auf der Insel angekommen lernt Jess bald die anderen Bewohner kennen: allesamt ebenfalls geplagte Seelen, die mit Schuld, Trauma, Verlust und internalisierten Minderwertigkeitsgefühlen zu kämpfen haben und sich von Guru Tyler und seinen spirituellen Ritualen Heilung der inneren Wunden erhoffen. Ganz in der Tradition der Sekte, der früher auf der Insel hauste, tragen alle Mitglieder schlichte, weiße Kleidung und keine Schuhe.
Schon am ersten Abend beschließt Guru Tyler das Ritual „The Chant“ gemeinsam mit seinen Schäfchen durchzuführen. Ob es der Pilz-Tee ist, den die Inselbewohner davor trinken oder das Ritual selbst bleibt unklar – doch der Chant wird just von Kim unterbrochen, als diese eine Panikattacke erleidet und flieht. Durch die Unterbrechung des Rituals öffnet sich ein Riss zu einer anderen Dimension – dem Gloom! Überlaufen von Monstern jeglicher Art, und ausgestattet mit ätherischen Ölen und Kräutern, muss Jess nun einen Weg finden, alle Mitglieder der Gruppe wieder zusammenzuführen
Salbei + Ranke = Waffe
Ihr macht euch also nun auf die Suche nach den anderen Mitgliedern, wobei es gilt kleinere Rätsel zu lösen, versperrte Türen zu öffnen und euch dabei nicht von den Gegnern (im wörtlichen und übertragenen Sinne) wahnsinnig machen zu lassen. Die Rätsel selbst sind nett gemacht, wenn auch nicht allzu anspruchsvoll. Gespielt wird im Single-Player, third-person Modus.
Während ihr die Insel erkundet, ist es wichtig auf die Gesundheit von Jess zu achten, die in drei verschiedene Health-Bars aufgeteilt ist: mentale, körperliche und spirituelle Gesundheit. Gegner attackieren dabei nicht nur eure körperliche, sondern auch die mentale Gesundheit – nehmt ihr zu viel Schaden, erleidet ihr eine Panikattacke und könnt nur noch fliehen, um euch an einem sicheren Ort zu erholen.
Eure Spiritualität könnt ihr benutzen, um durch Meditation eure mentale Gesundheit zu heilen, aber auch um Gegner zu attackieren – allerdings ist Vorsicht geboten da diese Attacken viel von eurer spirituellen Gesundheit verbrauchen.
Zur Verfügung stehen euch außerdem die natürlichen Ressourcen der Insel – das sind Kräuter wie Salbei, aus denen ihr euch Fackeln bastelt oder Lavendel, der euch heilen kann. Verschiedene Kristalle, die ebenfalls auf der Insel zu finden sind, verleihen Jess weitere magische Kräfte, mit denen sie Gegner aktiv abwehren kann. Andere Ressourcen wie Öle oder Salz können taktisch verwendet werden, um Gegner einzusperren oder anzuzünden (Supernatural-Fans wissen, wie das funktioniert).
Bei euren Erkundungen findet ihr durch Dokumente, Filmaufnahmen und Skizzen auch mehr über die Geschichte der Insel selbst heraus. Das Einsammeln und Lesen all dieser nimmt einen Großteil der Spielzeit ein, zeichnet aber recht geschickt ein detailliertes Bild über frühere Bewohner und deren traumatischen Geschichten. Das bringt allerdings auch ein großes Manko mit sich: immer wieder wird die aktuelle Spielhandlung unterbrochen, um Platz für all die Lore zu schaffen – wer seine Spiele lieber dynamisch und nahtlos mag, wird hier also keine große Freude haben.
Die Kämpfe mit übernatürlichen Gegnern sind aufgrund der wenigen Ressourcen, die euch zur Verfügung stehen, recht schlicht gehalten: außer auszuweichen oder mit euren Fackeln und Ölen draufzuhauen ist nicht viel zu tun. Dennoch war hier mein Frustlevel ausgesprochen hoch: das Spiel erklärt euch beispielsweise nicht, warum ihr diese oder jene Fähigkeit gerade nicht einsetzen könnt. In Dokumenten finden sich zwar Hinweise darauf, welche eurer limitierten Waffen am besten gegen welche Gegner funktionieren sollten, aber da die Ressourcen extrem begrenzt sind, bleibt euch meist nichts anderes übrig, als mit dem, was ihr gerade in der Hand habt, zuzuschlagen. It’s not very effective.
Weiters habt ihr die Möglichkeit auch während Kämpfen Waffen oder eure Fähigkeiten auszuwechseln, das Menü ist aber recht unübersichtlich gehalten. Auch hier hatte ich wieder das Problem, dass das Spiel einfach zu wenig erklärt und man vieles einfach ausprobieren muss, um herauszufinden, welche Kräuter welche Wirkung haben und dabei notgedrungen manches verschwendet wird.
Uncanny
Optisch ist The Chant eine interessante Mischung aus wunderschön gestalteten Hintergründen und unterdurchschnittlichem Charakterdesign: Die Figuren bewegen sich immer etwas stockig, die Gesichtsausdrücke passen nie so recht mit dem zusammen, was der Dialog ausdrückt – wir befinden uns noch nicht ganz im Uncanny Valley, aber weit weg sind wir auch nicht.
Weit mehr Energie wurde da schon ins Design der Gegner gelegt: Von übergroßen Blumen, die euch Wege versperren, über animalische Gegner und deren Absonderungen bis hin zu (leichtem) Body-Horror findet sich hier einiges Schauerliches – wobei das größte Horrorelement jedoch die Atmosphäre, sowie die Traumata von Jess sind. Persönlich fühlte ich mich an Jeff Vandermeers „Annihilation“ erinnert.
Dass dieser Indie-Titel grafisch nicht mit Triple-A Titeln mithalten kann, ist absolut verständlich, trotzdem wäre die eine oder andere Überarbeitung oder Anpassung gut gewesen, alles in allem bietet The Chant visuell aber durchaus etwas an.
Fazit
Auch wenn ich mit Vorfreude an The Chant herangegangen bin, muss ich sagen, dass ich es als durchwachsenes Spiel empfinde.
Ein stärkerer Fokus auf die Haupthandlung und Hauptcharaktere, anstatt auf die Geschichte der Insel, hätte dem Spiel sicherlich gutgetan. Manche Features wirken auf mich schlichtweg nicht ausgereift: das Kampfsystem ist ein wenig zu eintönig, das Craft-System ein wenig zu kompliziert doch was ich persönlich am meisten vermisst habe, war eine Map.
Fans klassischer Horror-Elemente kommen hier nicht unbedingt auf ihre Kosten – das Augenmerk liegt eher auf der unheimlichen Atmosphäre, sowie dem psychologischen Horror, den die Hauptfigur Jess durchläuft – wobei zweiteres oft zu wenig Wirkung entfalten kann, da der Charakter nicht stimmig geschrieben ist. Jess hat Angst vor Fliegen, Wasser, Dunkelheit – warum sie sich dann auf eine von Wasser umgebene, von Insekten gefüllte Insel ohne Elektrizität aufmacht, um dort ihr Trauma aufzuarbeiten werde ich nie nachvollziehen können. Ihre anfängliche Skepsis gegenüber Spiritualität kommt nie wieder vor, eine wirkliche Reaktion auf andere Dimensionen und die dämonischen Gegner aber auch nicht. Auch die anderen Charaktere sind oft zu oberflächlich gezeichnet.
The Chant ist sicherlich kein bahnbrechendes Meisterwerk und fühlt sich hier und da ein wenig ungeschliffen an, trotzdem bietet es kurzweilige Unterhaltung mit schauriger Atmosphäre!
— Doris EdlingerDas Gute
+ Gegnerdesign ist 1+
+ Atmosphäre
+ Setting und Hintergründe sind hübsch
+ Psychologische Horrorelemente
Das Schlechte
- Crafting- & Kampfsystem sperrig
- Charaktere haben keine Tiefe
- Gebt mir eine Map!!!