Far Cry Primal - Ungebändigte Urinstinkte
In den letzten Jahren haben sich die Game Designer verschiedenster Entwickler-Teams mannigfaltige Konzepte einfallen lassen, die auf einem Spektrum von originell bis eigenartig unterschiedliche Plätze einnahmen. Den Vogel abgeschossen hat jedoch der neue Vertreter der Far Cry Serie Far Cry Primal. Das exotische Setting in tropischen Ländern ist UbiSoft Montreal wohl zu langweilig geworden, woraufhin sie kurzerhand entschieden das bewährte Far Cry Rezept in die mitteleuropäische Steinzeit zu verlagern.
Takkar Hunger!
Man schlüpft zu Beginn des Spieles in die Rolle des Angehörigen des Wenja-Stammes Takkar und wird sofort ins kalte Wasser gestoßen. In den ersten Minuten des Spieles lernt man Mammuts (die zähesten Bestien des Spieles) zu jagen, um die Grundfunktionen kennenzulernen. Weitere wichtige Funktionen des Action-Titels erlernt man im Laufe des Spiels, wobei alles erfolgreich subtil abläuft und man nicht das Gefühl hat, ständig mit langen Tutorial-Sequenzen belästigt zu werden. Die Story lehrt den Spieler, dass die Wenja von den zwei feindlichen Stämmen Udam, welche die Wenja herablassend Sanftblüter nennen, und Izila nahezu vollständig aus dem Land Oros vertieben wurden. Takkar muss talentierte Wenja finden, allesamt Spezialisten in den Gebieten der Jagd, Handwerkskunst und weiteren Disziplinen, und sie davon überzeugen sich seinem Dorf anzuschließen, um die kannibalischen Udam und die an die mittel- und südamerikanischen Hochkulturen angelehnten Izila zurüchzuschlagen.
Sanftblut auf der Jagd
Wie in Far Cry 3 und 4 muss der Protagonist – in unserem Fall Takkar – jagen und Rohstoffe abbauen, um Felle, Steine und Hölzer, welche für Upgrades des archaischen Waffenarsenals notwendig sind zu sammeln. Zwar ist die wenig interessante Story die treibende Kraft, die den Spieler von einer Quest zur nächsten führt, doch der meiste Spaß liegt eindeutig im Grinden von Ressourcen und dem selbstständigen Erobern von feindlichen Außenposten, um weitere Schnellreise-Ziele freizuschalten. Anders ausgedrückt: Far Cry Primal spielt sich identisch wie die letzten zwei Vertreter der Shooter-Serie, bloß dass die Story und die Bösewichte komplett ersetzbar sind.
Lebendige Steinzeit
Nicht nur politisch bewegt sich das Land Oros in Far Cry Primal, denn neben Patroullien der Udam und Izila ist auch die Fauna aktiv. So kommt es nicht selten vor, dass man in der Ferne Feinde beim Kampf gegen Wollnashörner und Säbelzahntiger sieht. Dieser Aspekt ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, da man oft genug auch im Kampf gegen die feindlichen Stämme plötzlich von hinten von einem Bären oder jedmöglich anderem Ungetier angefallen wird. Umso besser gelungen sind jedoch alle anderen Funktionen des Titels: Wilde Bestien können beim Erkunden der Welt getroffen und gezähmt werden, um sie schließlich in die Schlacht reiten zu können. Mit der domestizierten Eule, lassen sich unauffällig feindliche Lager erkunden und Gegner aus der Luft ausschalten. Zusammen lassen diese neuen Funktionen fantastische taktische Möglichkeiten und Spielweisen zu.
Wissenschaftlicher Flop, unterhaltungstechnisch top!
In der Annahme, dass kein Konsument erwartet eine wirklich korrekte Darstellung des Mesolithikums zu erhalten, lässt sich sagen, dass die Umsetzung des Settings sehr gut gelungen ist. Zwar ist es zweifelhaft, dass im Gebiet des heutigen Österreich und Slovenien einst Jagure, tropische Äffchen und Leoparden heimisch waren – vom Aneinandergrenzen drei komplett verschiedener Zonobiome ganz zu schweigen – doch darüber lässt sich hinwegsehen, da die Vertiefung in das Spiel durch die sonst beeindruckend konsistente Welt sehr gut möglich ist. Komplett für sich gewonnen hat mich das Spiel, als die ersten Worte der eigens kreierten Sprache für den Steinzeit-Shooter gesprochen wurden. „Meine Fresse, sie haben es wirklich durchgezogen…“, ging mir durch den Kopf, denn mit so viel Aufwand und Detailliebe, hätte ich nicht gerechnet. Auch graphisch lässt sich dem Spiel nichts vorwerfen und weitere Bonuspunkte erhält Far Cry Primal durch Referenzen zu historischen Artefakten wie die Venus von Willendorf. Die Umsetzung des Settings ist wohl der stärkste Punkt von Far Cry Primal und facht die Lust Oros zu erkunden noch weiter an.
Far Cry Primal – Ja oder Nein?
Luzide Parodie des Prequel-Wahns der jetzigen Ära oder nicht, Far Cry Primal funktioniert wunderbar. Es nimmt das erprobte Konzept von Far Cry 3 und 4 und baut es in einem „frischen“ Setting aus. Zwar fühlt es sich durch die fehlenden Gewehre eher mehr wie ein steinzeitliches The Elder Scrolls an, doch gleichzeitig ist es nahezu komplett bugfrei und bietet mehr Interaktion mit der Welt. Wer also an den vergangenen zwei Teilen der Serie Spaß hatte oder schon immer mal das Erlebnis der post-2010er Far Cry Spiele kennenlernen wollte, sollte sich diesen Titel unbedingt gönnen. Nicht empfehlen würde ich das Spiel nur jenen Leuten, die mit den vergangenen Vertretern in Rook Island und Kyrat absolut nichts anfangen konnten. Ich persönlich hatte mit dem Titel eine Menge Spaß und vertreibe mir bis zum Erscheinen der DLCs die Zeit mit erkunden und Ressourcen grinden.
— Aryan Havrest