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Teilnahmeschluss: 06. November 2013
- Thees Uhlmann & Band
Drei Landstriche, die viel gemeinsam haben: Viel Platz. Viel Zeit. Viel Verheißung auf ein größeres, wilderes und vielleicht auch besseres Leben, das hinter dem Horizont wartet. Hier kann man seine Stimme trainieren, mit der man sich Gehör verschafft. Und hier kann man unbeeindruckt von Trends und Szene-Spielregeln seinen Weg finden.
Es ist sicher kein Zufall, dass viele bedeutende Rockmusiker fern der Metropolen lebten, als sie sich und ihren Sound fanden. Kleiner Ort und großes Herz – Ende der Siebziger wurde dafür der Begriff Heartland Rock geprägt. Das hatte zunächst einen geografischen Bezug: Heartland bezeichnet die küstenfernen, kleinstädtisch geprägten Gegenden in der Mitte der USA. Doch es schwang noch viel mehr mit: Eine gewisse Hemdsärmeligkeit. Ein soziales Bewusstsein in Text und Tat. Und nicht zuletzt eine musikalische Offenheit, die Rock mit Blues und Soul verband, sich bei Country und Americana bediente. Einerseits sehr karg und introspektiv, anderseits gerne auch mal das volle Programm mit Pauke und Trompete, Sax und Orgel. Heartland ist ein geografischer Ort, ein emotionaler und auch ein künstlerischer. Bruce Springsteens Heartland ist New Jersey, das von Conor Oberst Nebraska. Und Thees Uhlmanns Herzland heißt Niedersachsen: „Hier komm ich her, hier bin ich geboren“
Natürlich ist es legitim, Thees Uhlmann aus Hemmoor in eine Reihe mit dem Boss aus Freehold und dem Wunderkind aus Omaha zu stellen. Er macht es ja auch selbst. Etwa bei Die Toten auf dem Rücksitz, das inhaltlich an Bright Eyes’ Classic Cars ankoppelt. Oder bei Römer am Ende Roms, wo Thees seine U Street Band antreibt, bis die Paare im Dunkeln tanzen. Und genau wie bei Oberst und Springsteen führte auch Uhlmanns Weg zunächst einmal direkt auf die Straße und nur raus, raus, raus. Aber irgendwann eben auch wieder zurück. Egal, ob es Liebe oder Hass ist, das einen mit der Heimat verbindet, ob man sie verdammt oder verklärt, ob man angezogen oder abgestoßen wird: „Du kriegst die Leute aus dem Dorf, das Dorf nicht aus den Leuten“
Das, was da nicht rauszukriegen ist, und in Lat. 53.7 Lon 9.11667, dem Lied, das gleichzeitig Lob- und Abgesang auf seine Heimat ist, so treffend besungen wird, ist die Erkenntnis, die einen ereilt, wenn man älter und – jawoll! – weiser wird: Es war nicht alles gut. Aber eben auch nicht alles schlecht. Es war, wie es war. Und es war wichtig, um der zu werden, der man ist. Womit man bei einem der großen Themen dieser Platte ist. Es gab Thees Uhlmann schon vor Tomte, und es wird ihn auch danach geben.
Und doch ist es leise Ironie, dass er sich ausgerechnet jetzt, wo nur noch sein Name auf der Platte steht, einen Schritt weit vom Eins-zu-Eins-Prinzip entfernt. Zwar wird auch hier nicht immer ganz klar, wo der Künstler Uhlmann anfängt und wo die Person Uhlmann aufhört. Aber es ist deutlich, dass er mehr Wert aufs Storytelling, auf erzählte Geschichten legt. Die können, aber müssen nicht zwangsläufig von ihm erlebt sein. Es reicht ja schon, wenn er sie singt. Und so nimmt er einen mit auf eine Reise von Paris im Herbst bis zu Rom in Trümmern, von Günter Grass zu Jay-Z, vom frühen Morgen, an dem man schon aufsteht, bis zum frühen Morgen, an dem man immer noch nicht schlafen geht. In Uhlmanns Herzland ist Platz für nackte Priester und aufgemotzte Autos, für ‚Carpe Diem‘-Tattoos und für gerissene Gitarrensaiten, für Kirchen, an denen man Schwüre ablegt, und für Tierschatten, die man mit den Händen wirft. Bei Und Jay-Z singt uns ein Lied zitiert er gleichzeitig die Byrds und die Bibel und zaubert mit dem Bielefelder Rap-Monolith Casper einen Überraschungsgast aus dem pechschwarzen Zylinder, der der Nummer noch eine Extraportion Tiefe, Schärfe und Tiefenschärfe verleiht.
Thees Uhlmann 2011 hat viele Gesichter, so viel steht fest. Er probt die Jesuspose und lässt sich in 17 Worte die ‚Söhne der Huren und Nutten, die Fiebrigen und die Kaputten‘ bringen, nur um in Römer am Ende Roms das Heuchler-Credo zu zitieren, auf dem 70 Prozent aller Pädagogik basiert: ‚Tu, was ich sage und tu nicht, was ich tue‘. Und dann ist da noch der Eröffnungssong Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf, der Primus inter Pares, der mit imposanten Bildern unmissverständlich klarmacht, wo Uhlmann mit dieser Platte hin will: Er stellt die großen Fragen nach dem Woher und Wohin, und er erzählt die kleinen Geschichten über die gerissene Gitarrensaite und das Littbarski-Poster über dem Bett. Von der Selbstentblößung bis zur Selbsterkenntnis ist es oft nur eine Zeile. Das Leben ist hart, aber das nehm ich in Kauf, singt Uhlmann, und später heißt es noch: Wenn es eine Lektion gibt, dann hab ich sie gelernt. Auch hier offenbart sich eine Haltung der Demut, die man so zentral bislang nicht in Uhlmanns Schaffen kannte und die auf dem Album immer wieder hervorblitzt wie ein schlecht vergrabener Spiegel.
Und nicht nur textlich, auch musikalisch verschieben sich die Hebel, mit denen Uhlmann seine Songs anpackt. Der Rock ist weniger indie und gibt sich stattdessen breiter und opulenter. Es muss nicht immer die Gitarre sein, die den Weg vorgibt. Warum nicht mal ein Klavier? Oder ein Beat? Oder der Bass? Oder eine Mundharmonika? Oder ein Akkordeon? Oder ein paar Bläser? Oder alles zusammen? Insgesamt mehr US- als Britrock, mehr Tamtam als Tomte, schöpfen Uhlmann und sein Produzent Tobias Kuhn aus dem Vollen und klopfen an die Wall Of Sound, bis es staubt, kracht und wackelt wie am Ende von 17 Worte. Doch obwohl viele der Wurzeln und Inspirationen dreißig und mehr Jahre alt sind, tappt hier keiner in die Retrofalle. Wer den Musikfan Thees Uhlmann kennt, weiß, dass dessen musikalische Sozialisation auch mit 37 noch nicht abgeschlossen ist, dass er immer wieder neue Musik entdeckt und verarbeitet. Von daher passt diese Platte perfekt ins Jahr 2011.
Es ist ein besonderer Balanceakt, den Uhlmann hier wagt – und steht. Denn einerseits sind die Unterschiede zu Tomte groß genug, um der Platte ihre ästhetische Berechtigung zu verleihen. Andererseits sind sie nicht so riesig, dass Tomte-Fans schwer verstört würden. So weit aus seiner Haut fahren kann Uhlmann dann auch wieder nicht. Das lyrische Ich auf der Platte mäandert zwar wie die Elbe vor ihrer Begradigung. Aber die Mittel, die der Geschichtenerzähler Uhlmann einsetzt, sind nicht so verschieden. Wie auch bei Tomte ist er ein Mann der Superlative. Wenn er zum Himmel blickt, ist da das tiefste Blaue. Wenn er schwört, dann für den Rest des Lebens und keinen Tag weniger. Und wenn er eine Stadt besingt, dann ist Paris im Herbst natürlich das Schönste auf der Welt – zumindest vier Minuten und sechs Sekunden lang. Bis zum nächsten Lied, bis zum nächsten Superlativ.
Den lauen und gefilterten Uhlmann gibt es auch hier nicht. Und darüber muss man sich freuen. Auf Uhlmanns Gefühlsklaviatur ist kein Platz für Zwischentöne. Das braucht er nicht, dafür ist kein Platz bei ihm. Ein Song hat nun einmal ein bestimmtes Format, und wer zu sehr differenziert, verwässert am Ende die Aussage. Dieser emotionale Absolutismus ist einzigartig, so offen und so unverstellt singt niemand in Deutschland. Und schon gar nicht auf seiner sechsten Platte.
Es stimmt: Wenn man die Pathos-Flanke so weit öffnet, macht man sich angreifbar. Aber wer sich nicht aus dem Fenster lehnt, weiß eben auch nicht, wie es draußen aussieht, wie er riecht, der Sommer in der Stadt, wie sie aussehen, die Menschen. Und außerdem ist sich Uhlmann seiner Attitüde durchaus bewusst. Er weiß nicht nur, dass er immer der erste ist, der ‚Für immer!‘ schreit. Er singt auch darüber. ‚Alles, Alles, Alles ist gut, wenn du neben mir sitzt‘, heißt es bei Die Toten auf dem Rücksitz, und das mit einer Dringlichkeit, die einen jedes Mal aufs Neue umwirft. Dieses ‚Alles‘ ist einer von vielen Schlüsselmomenten einer Platte, die alles liefert, was Thees Uhlmann auf seiner Reise quer durch sein Herzland zu bieten hat. Alles, und noch ein bisschen mehr.