Pokémon in der Apokalypse
Astral Chain im Test
Platinum Games kann seinen guten Ruf verteidigen – mit Astral Chain sorgt das Studio dafür, dass die Nintendo Switch einen richtig guten Exklusiv-Titel außerhalb des Mario & Zelda-Universums bekommt. Aber mit „Anime meets Pokémon meets third-person action“ kann man ja auch kaum etwas falsch machen. Oder?
Naja, ganz so einfach ist es nicht. Im Prinzip hätte Astral Chain mit seinem wilden Mix auch komplett in die Hose gehen können. Dass es das nicht tut, liegt daran, dass Platinum Games genau weiß, wie es die einzelnen Elemente dosieren muss.
Die Story ist, zumindest zu Beginn, schnell erzählt: Die Welt liegt wieder mal im Sterben, die Menschheit ist schon fast dahingerafft durch garstige Kreaturen aus einer anderen Dimension, die Chimären. Euer Charakter (wahlweise männlich/weiblich) ist frischgebackenes Mitglied einer Polizeitruppe, die die letzte Megastadt der Menschheit verteidigt. Aussehen tut hier alles wie aus dem Anime-Klischeebuch, also mit japanischem Stil solltet ihr schon etwas anfangen können, um Astral Chain zu genießen. Die großen Augen und überdrehten Charaktere können aber nicht überdecken, dass die Stimmung düster ist. Die Siegeschancen für die Menschheit sind gering. Zum Glück gibt’s ja euch, um die Rolle als Erlöser/Auserwählter einnehmen zu können.
Ein paar Mitglieder der Polizei arbeiten nämlich heimlich mit eingefangenen Chimären, die sie mit der namensgebenden Astral Chain an sich binden und so zu Legions umwandeln. Diese schicken sie dann in den Kampf gegen ihre bösen Geschwister. Logisch, dass der Protagonist von Anfang an der beste Legiontrainer ist, den die Apokalypse je gesehen hat. Insgesamt fünf verschiedene Typen von Legions befehligt ihr im Laufe des Spiels – von Schwertkämpfern zu Muskelprotzen bis hin zu einem Reittier, auf das ihr euch schwingen könnt. Die Kämpfe werden durch die Kettenmonster aufgefettet: Während ihr mit Schwert, Stock und Pistole Combos ausführt und euch durch die Chimären schnetzelt, agiert euer Legion weitgehend selbständig. Ihr könnt ihm aber auch direkte Befehle erteilen und so diverse Schwachstellen der Gegner ausnutzen. Entwicklertypisch sind die Kämpfe ein Riesenspektakel, das gerade im Handheld-Modus auch leicht unübersichtlich werden kann. Astral Chain ist aber in Gefechten doch um einiges leichter als andere Platinum Games-Titel wie Nier:Automata oder Bayonetta, zumindest in der Standard-Schwierigkeitsstufe. Trotz der Vielzahl an Möglichkeiten funktioniert alles wie aus einem Guss, ohne dass ihr euch die Finger verrenken müsst, um an fünf Tasten gleichzeitig zu kommen.
Überraschend für uns war, dass die Kämpfe nur circa ein Drittel des Spiels ausmachen. Mindestens genauso großes Augenmerk liegt auf der Polizeiarbeit, die euer Charakter ausführt, und das ganze Drumherum. Astral Chain ist in Levels aufgeteilt, der klassische Ablauf ist dabei: Briefing im Hauptquartier (inklusive Socializing mit den Kollegen, Legiontraining, Equipmentpflege), Ankunft an einem Tatort, Untersuchung, Kampf. Es ist beeindruckend, wie sehr Platinum Games das Spiel vollgestopft hat, ohne überladen zu wirken. Die Bandbreite reicht von Selfies machen über Zeugen befragen und Hinweise kombinieren bis hin zu kleineren Platforming-Passagen in der Chimären-Dimension. Wie genau die Entwickler es schaffen, diese Elemente wie aus einem Guss wirken zu lassen, ist uns bis heute nicht ganz klar, aber es funktioniert.
Dabei wird es, wie vorher erwähnt, nie allzu schwierig. Astral Chain ist und bleibt ein Nintendo-Spiel, das sich auch an die breite Masse richten soll, und damit in weiten Punkten um einiges zugänglicher, als die Menge an Inhalt vielleicht vermuten lassen würde. Und vielleicht hatten wir genau deswegen so einen Riesenspaß mit dem Spiel. Wer will, kann sich natürlich 20 Tastenkombinationen merken und gemeinsam mit dem Legion in einem Effekt-Feuerwerk angreifen. Es reicht aber auch oft, es ein bisschen einfacher angehen zu lassen und dafür die sympathischen Nebencharaktere zu genießen. Oder sich klug vorzukommen, wenn wieder mal ein Tatort erfolgreich untersucht ist. Dazu passt auch, dass eure Legions nicht nur im Kampf vorkommen, sondern auf euren Befehl mit der Umwelt interagieren. Mit dem Arm-Legion etwa räumt ihr schwere Container weg, die euren Weg blockieren. Das ist nicht kompliziert, das ist nicht schwierig, aber es ist eine der Kleinigkeiten, die sich einfach gut ins Spiel einfügen. Astral Chain ist mit seinem überdrehten Setting und seinem wilden Stilmix sicher kein Spiel für jedermann – von uns gibt es aber eine klare Empfehlung.
— Martin HammerlDas Gute
-Kämpfe, die sowohl einfach wie auch anspruchsvoll sein können
-toller Mix aus Action, Rätsel und Open World
-unverbrauchtes Setting
-sympathische, wenn auch klischeebeladene Charaktere
-Legions fügen sich großartig ins Spiel ein
Das Schlechte
-Genremix kann gerade zu Beginn überfordernd wirken
-teilweise unübersichtlich
-Steuerung im Handheld-Modus fühlt sich manchmal sehr fummelig an