Langeweile in Pink
Far Cry New Dawn
Eine Frage, mit der sich unzählige Bücher, Filme und Spiele bereits beschäftigt haben – was passiert nach der atomaren Katastrophe? Far Cry New Dawn sagt: Alles wird rosa, wir brauchen viel Klebeband und die Leute sind noch genau die selben Arschlöcher wie vorher. Nur wirklich spannend ist das nicht.
WARNUNG: DIESE REZENSION ENTHÄLT SPOILER ZU FAR CRY 5
Geht auch gar nicht anders, schließt Far Cry New Dawn doch direkt ans Ende von Far Cry 5 an. In dem war Sektenübervater Joseph Seed der fixen Meinung, dass der Weltuntergang kurz bevorsteht. Dumm halt, dass er am Ende recht behält: Die atomare Katastrophe bricht über die Erde herein und legt das Leben, wie wir es kennen, lahm. Far Cry New Dawn spielt 17 Jahre nach diesem Ende der Welt. Schauplatz bleibt weiterhin Hope County im US-Bundesstaat Montana – nur halt nuklear beeinflusst. Der Protagonist (wahlweise auch weiblich) ist der Sicherheitschef einer Vereinigung, die versucht, so etwas wie staatliche Strukuren wiederherzustellen. Da haben natürlich die örtlichen Mörder, Plünderer und Sadisten etwas dagegen, und los geht’s mit dem Kampf um Hope County.
Wer bereits einen der Far Cry-Teile seit dem dritten gespielt hat, wird sich in New Dawn sofort zurecht finden. Ubisoft verändert die bewährte Formel nur in Details. Hauptziel ist es dieses Mal, die Siedlung Prosperity und ihre Bewohner zu unterstützen. Dazu ballert ihr euch durch Wälder und Außenposten und deckt so nach und nach mehr von der Karte auf, um noch mehr Wälder und Außenposten zum Ballern zu haben. Die Map ist im Vergleich zu Far Cry 5 geschrumpft, was dem Spiel gar nicht mal schlecht tut, da die Action damit komprimierter stattfindet. Hope County werdet ihr im Prinzip sofort wiedererkennen, auch wenn in der Zwischenzeit Atombomben eingeschlagen haben – die Unterschiede liegen in Kleinigkeiten. Die Strahlung hat dafür gesorgt, dass viele Tiere ein gesundes Glühen bekommen haben, außerdem hat die Vegetation ein Neon-Makeover bekommen: Sehr viel leuchtet euch sehr rosa entgegen.
Die Postapokalypse verändert natürlich auch euer Arsenal. Statt hochpolierter Sniper Rifles und Maschinengewehre gibt’s Marke Eigenbau. Sämtliche Waffen sehen so aus, als seien sie an der Werkbank an der Garage entstanden. Hier liegt trotzdem eine der großen verpassten Chancen in New Dawn: Bis auf den zugegeben ziemlich coolen Sägeblattwerfer gibt’s trotz Heimwerkerlook Standardkost. Die AK 47 schießt halt mal wie eine AK 47, auch wenn jetzt ein Schraubenzieher und viel Klebeband dazugehören. Warum sich Ubisoft hier selbst die Freiheit wegnimmt, ein bisschen auszuflippen, verstehen wir eher nicht. „Eigenbau“ hat außerdem noch eine weitere Bedeutung: Mit New Dawn ziehen Rollenspielelemente ins Far Cry Universum ein. Jeder Schießprügel hat jetzt verschiedene Werte, die ihr aufrüsten könnt. Außerdem profitiert euer Charakter davon, wie weit Prosperity schon ist: Spezialisten und Werkstatt-Upgrades verleihen euch mehr Gesundheit oder rüsten eure KI-Begleiter auf. Gegner gibt’s nun in Stufen – wenn ihr mit einer mickrigen Level 1-Pistole gegen einen atomaren Level 4-Bären in den Kampf zieht, wird das eher nicht gut enden. Rohstoffe für diverse Upgrades warten an jeder Ecke in Hope County.
Ein wichtiger Punkt dabei sind wieder einmal die Außenposten, die ihr einnehmen könnt. Ubisoft versucht, dem altbekannten Prozedere dieses Mal einen neuen Touch zu verpassen: Einmal eingenommene Feindbasen könnt ihr wieder aufgeben, um noch mehr Rohstoffe zu bekommen – allerdings kommen die Gegner dann stärker zurück. Wenn ihr den Posten das nächste Mal stürmt, wird’s also schwieriger, dafür gibt’s noch einmal mehr Belohnungen. Was an sich wie eine clevere Idee wirkt, entpuppt sich in der Praxis schnell als schnarchig: Um wirklich viel lebensnotwendiges Ethanol zu bekommen, seid ihr fast gezwungen, die Außenposten mehr als einmal abzuräumen. Und nur weil dort neue Gegner warten, wird’s jetzt nicht unbedingt spannender, ein bereits erledigtes Areal noch einmal zu spielen.
Der wahrscheinlich größte Schwachpunkt in New Dawn ist die strunzdumme Story. Ubisoft überschreitet mit diesem Spiel endgültig den Punkt, an dem „psychopathischer Bösewicht mit Charisma und langen Monologen“ langweilig wird. In Hope County tretet ihr gegen die Highwaymen unter den Zwillingen Mickey und Lou an. Diese versuchen so viel Basen und Rohstoffe wie möglich zu kontrollieren, um ihre Organisation zu stärken (dass ihr im Prinzip genau das gleiche macht, ignoriert das Spiel elegant). Prosperity ist ihnen dabei ein besonderer Dorn im Auge, was sie euch in elendslangen Dialogen mit so bösen Sätzen wie möglich wissen lassen. Mehr als „wir sind böse, weil unser Vater böse war“ schafft New Dawn dabei aber nicht an küchentischpsychologischer Motivation für die beiden. Und wenn wir schon bei Vater sind: Auch Joseph Seed gibt sein Comeback, und bringt Far Cry damit endgültig in den lächerlichen Bereich. Ohne zu viel von der Story zu spoilern: Dass Seed vom mörderischen Sektenguru zum missverstandenen Helfer wird, wirkt nach Far Cry 5 leicht beleidigend. Dass New Dawn mit seinem Auftauchen einen Schwenk ins Übersinnliche nimmt, wirkt dann tatsächlich beleidigend, und zwar auf die eigene Intelligenz. Die langweiligsten Passagen des ganzen Spiels sind die, die vermutlich am meisten Atmosphäre verbreiten sollen, nämlich wenn ihr Seed durch ein mystisches Traumreich folgt. Am Ende werdet ihr auch noch mit übermenschlichen Fähigkeiten belohnt, weil ihr in einen (vermutlich atomar verstrahlten) Apfel gebissen habt. Immer wieder macht sich das Spiel außerdem selbst lächerlich, wenn es den Bogen zwischen ernsthafter Postapokalypse und furchtbar missglücktem Humor zu schlagen versucht. Dass der Protagonist tatsächlich stumm bleibt und nicht schreiend davonläuft bei dem, was die Bewohner von Hope County manchmal an Blödsinn von sich geben, gehört zu den größeren Wundern der nuklearen Welt.
Es ist durchaus möglich, mit Far Cry New Dawn Spaß zu haben. Die Action funktioniert immer noch gut, es macht Spaß, Gegnerwellen aufzumischen (vorzugsweise im Koop mit einem menschlichen Mitspieler). New Dawn stellt aber sowas wie die letzte Chance für Ubisoft dar: Falls ihnen beim nächsten Far Cry nichts anderes einfällt, als wieder die selbe Formel mit neu aufgepappter Umgebung und dem nächsten ach so bösen-Bösewicht zu präsentieren, ist irgendwann mal Schluss. Denn mit seinen diversen Macken kratzt bereits der aktuelle Ableger öfter an der Grenze zur Langeweile, als es einer Traditionsmarke wie Far Cry würdig ist.
— Martin HammerlDas Gute
+ optisch ansprechend
+ Action funktioniert
+ kleine Auffrischungen wie Crafting und Basis
Das Schlechte
- dämliche Story
- Wiederholungen im Spiel
- im Prinzip nichts Neues