Entscheidungen, Karten und Entscheidungen mit Karten
Thronebreaker: The Witcher Tales
Aus der „The Witcher 3“-Nebenbeschäftigung Gwent sind inzwischen zwei vollwertige Spiele geworden. Einmal „Gwent – The Witcher Card Game“ – und das düstere Thronebreaker: The Witcher Tales. Wobei, düster versteht sich im Witcher-Universum eigentlich eh von selbst.
Monsterjäger Geralt hat mal Pause. Zumindest ein bisschen. Geralt kommt in Thronebreaker zwar vor, hat aber nur eine Nebenrolle. Die Hauptdarstellerin im Spiel ist Königin Meve von Rivien und Lyrien. Während sich Geralt noch allein mit Stahl- und Silberschwert durch finstere Gestalten gemetzelt hat, hat Meve als Königin eine ganze Armee zur Verfügung. Die lasst ihr in Form von Gwent-Karten auf eure Gegner los. Gwent funktioniert im Prinzip wie andere Sammelkartenspiele auch: Es gibt zwei Seiten des Schlachtfeldes, auf denen die Kontrahenten ihre Einheiten-Karten aufbauen und mit Sonderkarten verstärken oder die des Gegners schwächen. Wer in zwei von drei Runden die höhere Einheiten-Stärke aufweisen kann, gewinnt. Damit hören sich die leichten Erklärungen aber schon auf, denn Gwent macht aus dieser Formel ein unglaublich tiefgehendes Spielprinzip mit taktischen Feinheiten. Wenn ihr in The Witcher 3 brav Gwent gespielt habt, wird euch das Grundgerüst zwar bekannt vorkommen, rechnet aber damit, dass ihr trotzdem viel Einarbeitungszeit brauchen werdet, denn Entwickler CD Project Red hat gewaltig aufgerüstet in Sachen Komplexität.
Neben den bekannten Aufgaben aus Sammelkarten-Spielen wie Einheiten sammeln, Deck bauen, kämpfen, bietet Thronebreaker auch noch Puzzles und Kopfnüsse, bei denen ihr mit oft vorgegebenen Decks bestimmte Aufgaben erfüllen müsst. Diese lockern den Spielfluss auf und reichen von sehr leicht bis unglaublich schwierig. Das gleiche lässt sich auch im Prinzip über den generellen Schwierigkeitsgrad sagen: Das Spiel versucht sein Bestes, euch von Anfang an an die Hand zu nehmen und euch die Feinheiten von Gwent so schonend wie möglich beizubringen. Rechnet aber trotzdem mit viel Einarbeitungszeit und gerade im späteren Spielverlauf mit einem hohen Schwierigkeitsgrad. Der Rollenspielaspekt kommt auch nicht zu kurz. Optionale Quests, Ressourcen und Karten sammeln, Basis verstärken: Alles dabei.
Der Gwent-Kern ist eingebettet in eine unglaublich atmosphärische Welt, und das ist die vielleicht größte Stärke von Thronebreaker. Königin Meve von Rivien und Lyrien kommt nach einem Auslandsbesuch zurück, nur um feststellen zu müssen, dass das eigene Königreich nicht mehr im allerbesten Zustand ist. Als Meve zieht ihr dann in der isometrischen Perspektive durch das verwüstete und von Banditen und Monstern geplagte Land, um zumindest ein bisschen Ordnung wiederherzustellen. Zeitlich spielt Thronebreaker noch vor dem ersten Witcher-Teil, ihr erfahrt zum Beispiel, wie Geralt eigentlich zu seinem Beinamen „von Rivien“ gekommen ist.Die Dialoge und die Story an sich sind großartig geschrieben, nur bei der Präsentation hapert’s ein bisschen: Statt Szenen in Echtzeit gibts Textfelder und gezeichnete Standbilder. Das macht Thronebreaker aber mit einem liebevollen und wunderschönen Stil wieder wett, auch die Vertonung ist (zumindest im englischen Original) gewohnt großartig geraten. Unsere Xbox One-Testversion war allerdings gerade in nebeligen Gegenden manchmal geplagt von unschönen Rucklern.
Die Atmosphäre bleibt Witcher-typisch düster. Veteranen werden es wissen: Egal, was ihr macht, am Ende erleidet jemand ein grausames Schicksal. Dieses „Eigentlich gibt es keinen komplett richtigen Weg“-Gefühl war immer eine der Stärken der Witcher-Reihe, denn oft haben auch scheinbar moralisch richtige Entscheidungen manchmal furchtbare, unvorhergesehene Konsequenzen. Auf diese Art und Weise bleibt selbst „Was esse ich heute zu Abend“ noch spannend. Thronebreaker bildet in dieser Beziehung keine Ausnahme: Großherzige und gütige Entscheidungen kommen manchmal ein paar Spielstunden später zurück, um euch so richtig auf den Kopf zu fallen.
Zusammengefasst ist Thronebreaker: The Witcher Tales trotz mancher kleiner Schwächen bei der Präsentation ein sehr ansprechendes, forderndes und unglaublich tiefgehendes Spiel – als Sammelkartenfan werdet ihr im Moment keine bessere Einzelspielererfahrung finden. Story und Atmosphäre tun noch ihr Übriges, um euch an den Bildschirm zu fesseln. Falls ihr aber auf mehr Action im Stil von The Witcher 3 hofft, werdet ihr enttäuscht werden: Passend zum komplexen Universum ist auch Gwent inzwischen ein komplexes Spiel, das euch viel Zeit kosten wird. Zeit, die aber gut investiert ist.
— Martin HammerlDas Gute
+ packende Story und Atmosphäre
+ komplexes Spielprinzip mit Tiefgang
+ vollwertiges Spiel für 25 Euro
Das Schlechte
- Präsentation hält mit Tiefe der Story und Atmosphäre nicht mit
- Balance bei Schlachten nicht immer optimal
- kleinere technische Schwächen auf Konsole