Hausbesuch bei Slipknot
oder: Wie ich lernte, den Metal zu… ähm, na ja…
Gewisse Dinge muss man einfach tun, wenn es die Gelegenheit dazu gibt
Es begann mit einem ominösen Anruf, ob ich Zeit für ein Interview mit Slipknot hätte. Das Problem: Es würde bereits in fünf Tagen stattfinden. Also wohl doch kein
Problem. In fünf Tagen kann man sich schon auf ein Interview vorbereiten. Man ist ja nicht ganz neu im Metier. Doch dann der Clou: nicht in Wien soll es steigen, nein, sondern in Seattle, im Bundesstaat Washington, in den USA, und mein Reisepass war eh nur gerade seit einem Jahr abgelaufen. Ein Vorteil der europäischen Freizügigkeit, ein Nachteil der eigenen Faulheit. Trotzdem: Zusage. Gewisse Dinge muss man einfach tun, wenn es die Gelegenheit dazu gibt. Das Passproblem lässt sich mithilfe des alten Passes und 100 Euro in rekordverdächtigen drei Tagen lösen, und eh man sich’s versieht, sitzt man bereits im Flieger nach London. Nach einigen Guinness in Heathrow sieht die Welt (und sogar England) schon besser aus. Der Weiterflug nach Seattle zeichnet sich, bedingt durch den Mangel an sehenswerten Alternativen im Filmprogramm, durch das Auswendiglernen des Scorsesefilms „Shine A Light“ aus. Endlich Seattle. Eigentlich Tacoma. Das dortige Schwechat. Unsterblich gemacht von Frank Zappa mit der Textzeile „With a garlic aroma, that could level Tacoma“. Nach leichter Unruhe wegen Fingerabdruck, Einreiseverhör und, bei irgendwelchem Falschverhalten, das ja nach 14 Stunden Flug nicht auszuschließen ist, und den daraus folgenden Konsequenzen (einem eventuellem Modediktat zu Orangen Overalls und anschließendem Kubaurlaub auf Staatskosten). Doch die Zollformalitäten werden bravourös gemeistert. Die nette Beamtin zählt tatsächlich noch ihre Lieblingslokale auf. Leider ist sie auch bewaffnet. Jetzt nur schnell weg, Taxi und ab durch die Vororthölle.
I squeeze my balls every day
Seattle selbst scheint aus Wolkenkratzern, Parkhäusern und Baustellen für, erraten, Wolkenkratzer und Parkhäuser zu bestehen. Das Hotelzimmer, wie der Flug von der Plattenfirma gelöhnt, zeichnet sich durch ein Bett in der Größe von Vorarlberg und einen Fernseher in der Größe von Liechtenstein aus. Anruf bei der Kontaktperson Karen, denn es steht bereits etwas auf dem Programm: die Band Parlour Mob, Labelmates von Slipknot. Die sehr Led Zeppelin-artige Band hat einen Sänger, der mir nach dem Gig auf die Frage, wie er so hoch singen könne, antwortete: “I squeeze my balls every day…“ Das erklärt natürlich einiges.
Nach der Listening Session fahren wir in das Stockwerk, auf dem Slipknot hausen
Der nächste Tag war eigentlich der erste mit Programm: neues Slipknot Album anhören, Band interviewen. Nach einem ersten Eindruck von der Stadt durch Spaziergang im Zentrum mit dem Ziel, das eher üppige Frühstück zu bewältigen,
folgt das Treffen mit den Kollegen aus allen Teilen Europas. Sie kommen aus Spanien, der Schweiz, Schweden und Italien. Nette Leute, im Gegensatz zu mir eher richtige Metalfans, leicht nerdig. Zusammen sind wir unter den ersten Auserwählten, die das neue Album anhören dürfen. Dazu wurde im Hotel, wo wir (und auch Slipknot) wohnen, eine Suite angemietet, in der eine Anlage aufgebaut war, die imstande war, einem das Gehirn rauszublasen (und es vielleicht auch getan hat). Nach der Listening Session fahren wir in das Stockwerk, auf dem Slipknot hausen. Ein riesiges Buffet war für uns aufgebaut worden, leider war im reichhaltigen Getränkeangebot kein Alkohol inbegriffen. Und schon ist es soweit: Als der Frontmann Corey Taylor die Suite betritt, macht er gleich ein lautstarkes Bäuerchen ins Gesicht des spanischen Kollegen, der verschreckt zusammenzuckt. Corey sagt dazu nur: “Sorry, man.“
Ich werde nie wieder mit diesem A… zusammenarbeiten
Dann bin ich an der Reihe: Wir quatschen über das neue Album, das er für „das Beste, das wir je gemacht haben“ hält, über seine Maske, die ihn davor bewahrt, ein „Rockstargesicht haben zu müssen“ und Rick Rubin, der „so fucking great ist, dass er nie da war, wenn man ihn brauchte. Ich werde nie wieder mit diesem A… zusammenarbeiten. Das kannst du drucken!“
Seine Vorbilder umschreibt Corey folgendermaßen: “Einflüsse? Müssen nicht aus dem Genre sein. Die größten Einflüsse auf mich, schätze ich, sind Henry Rollins, Bill Hicks, David Lee Roth. Frag mich an einem anderen Tag und ich sage Sebastian Bach, der ein fucking great singer ist. Fucking Green Day. Ich finde, dass die die Grenzen von Punk durchbrochen haben und einfach eine fucking great Rockband sind. Ich mag einfach Bands, die was zu sagen haben und es auf eine energiegeladene Art tun.“
Es war nicht jugendfrei
Exzesse sind, im Gegensatz zu früher, nicht mehr an der Tagesordnung, stattdessen kocht er lieber für Freunde oder spielt mit seinem Sohn. Erfreut sich seines Lebens und will nicht zum Klischee verkommen. Der Wahnsinn und die Energie um ihn herum ist unglaublich genug, er muss das nicht noch künstlich verstärken. Doch dann rückt er doch noch mit der Sprache raus: “Also einmal habe ich mich irgendwie mit vier Mädels im Bad wiedergefunden, ich weiß nicht, wieviele Kids dein Magazin lesen, also werde ich die Details ersparen, aber es war nicht jugendfrei…Dann haben mich irgendwo in Pittsburgh ein paar Mädels neben dem Tourbus angekettet und mir haufenweise Knutschflecke verpasst, aber heftig. Das sah zwar auf der Bühne mit der Maske recht cool aus, aber so auf der Straße bin ich mir eher blöd damit vorgekommen…“
Du liegst nur da, still, und freust dich deines Lebens
Auch bei der Frage nach seinem Lieblingslokal spricht er Tacheles. „Hier in Seattle ist mein Lieblingslokal das Five Point Café, um’s Eck vom Lokal, in dem wir das erste Mal in Seattle gespielt haben,
dem Deviate, das es aber, glaub’ ich, nicht mehr gibt. Es ist eine great little fucking Bar, great Coffee, great Booze, es gibt Jukeboxes and shit. Ein kleines Café, ungefähr fünf Blocks vom Space Needle entfernt, ein fucking chilliges Plätzchen, man. Das ist einer meiner Lieblingsorte auf dem Planeten.“ Auch Romantik ist für Corey Taylor nicht bloß graue Theorie, sein Lieblingsszenario geht in etwa so: „Allein, im Urlaub, im Hotelzimmer, die Fenster sind geöffnet, der Wind weht, und du bist mit DER Person, mit der du gerade Zeit verbringen möchtest, zusammen. Es muss kein Sex involviert sein oder so. Du liegst nur da, still, und freust dich deines Lebens. Ich hatte schon solche Momente und erinnere mich sehr gut und gerne daran. Ich halte sie in meinem Herzen fest.“ Damit ist unsere Zeit abgelaufen, denn auch andere wollen noch mit Corey sprechen. Zum Abschied sagt er noch: „See you, man, ich hatte immer eine gute Zeit in Österreich, immer nette Leute da…“ Am Abend ist ein Get-Together angesagt, dafür wurde die Hotelbar gemietet. Band, Crew und Plattenfuzzis geben sich gepflegt die Kante. Später geht der harte Kern noch auf Lokaltour, die dann im Hotelzimmer von Karen endet. Dort wird der Inhalt der gut bestückten Minibar vernichtet, Gegenstände aus der Zimmereinrichtung werden auf ihre Flugtauglichkeit abgetestet und vom Balkon geworfen
Weißer Mann in Stretchlimo fährt durch Slums der Ureinwohner
Der nächste Tag bringt auch schon die nächste Steigerung des Pensums: Fahrt zur White River Arena, wo der Auftakt der Mayhem Tour, bei der Slipknot Headliner sind, steigt. Wir werden von einer weißen Stretchlimo in das Indianerreservat, in dem sich das Konzertgelände befindet, gefahren. Die Indianer am Wegesrand wohnen in sogenannten Trailern und sind recht elend anzusehen, was bei mir ein ungutes Gefühl der Marke „weißer Mann in Stretchlimo fährt durch Slums der Ureinwohner“ verursacht. Der Fahrer ist Nigerianer, was irgendwie echt nachdenklich macht. Beim Festival Gelände angekommen, geht es Backstage wieder los. Corey Taylor begrüßt mich im Vorbeigehen und meint: „ I gotta check out the venue, dude. Ich mach das bei allen Shows, ich will sehen, was für Leute da sind, you know?“ Was er dann in Begleitung eines riesigen Bodyguards auch macht. Währenddessen lerne ich den ehemaligen Schlagzeuger von T.S.O.L. kennen, der jetzt die Stromversorgungsfirma aller größeren Tourneen in den USA leitet. Interessante, in Europa eher unwahrscheinliche Karriere, dass einer, für den Guns’n’Roses jahrelang die Vorgruppe waren, plötzlich einen solchen Beruf ausübt. Faszinierend ist, dass es auf dem ganzen Festival nur an einem Stand Leichtbier gibt, und das auch nur mit Lichtbildausweis und nach stundenlangem Anstellen. Auch Backstage gibt es nur unglaubliche Variationen von Zuckerbrause, euphemistisch „Soda“ genannt.
Mit neun Volumsprozent und einem Haifischlogo
Inzwischen habe ich mir auch ein Bild vom Festival gemacht: das Gelände ist wie Wiesen, nur doppelt so groß, die Leute sehen auch so aus wie in Wiesen, nur sind sie doppelt so dick. Und obwohl Alkohol eher schwer zu besorgen ist, habe ich das
Gefühl, dass alle außer mir betrunken sind. Dann ist es endlich so weit: Slipknot betreten die Bühne. Es ist mein erstes Slipknot Konzert, ich stehe im Graben, direkt über mir brüllt sich Corey Taylor das Herz aus dem Leib, ein wahnsinniges Sperrfeuer an Teufelsblei und Rockenergie strömt über das Publikum, alle geben alles. Bei diesem Konzert, dem ersten in fast drei Jahren, bricht sich Dj Sid beide Fersen. Nach dem Gig, als die letzten Besucher vom Gelände sind, gibt es Backstage noch ein Barbecue mit Burgern, Chicken Wings und Hot Dogs. Und endlich Alkohol: ein Bier, dessen Name mir entfallen ist, mit neun Volumsprozent und einem Haifischlogo. Gabriel von Black Tide spielt mit den Leuten von Disturbed Poker und trinkt ungeniert aus einer Flasche Jack Daniel’s, obwohl er einige Jahre unter dem Mindestalter dafür ist. Ein Mitglied von Airbourne fällt ungebremst zu Boden und wird mit akuter Alkoholvergiftung weggebracht. Groupies schwirren herum, auf der Suche nach Bandmitgliedern. Machine Head und Dragonforce unterhalten sich angeregt über Gott weiß was, und auch Slipknot haben sich unters Volk gemischt. Rockstarheaven. Als es Stunden später Zeit ist, aufzubrechen, verabschiedet sich Corey Taylor: “Thanks for coming all the fucking way from Austria, I really appreciate it. See you in Vienna, dude!“ Definitiv!