Di, 9. Dez 2008

Interview: Manic Street Preachers

Mit „A Design For Life“ haben sie eine der schönsten Britpop-Hymnen der 90er Jahre geschrieben, mit dem spurlosen Verschwinden ihres Gitarristen Richey Edwards haben sie sich im dicken Buch der Rock-Mysterien verewigt. Manic Street Preachers-Bassist Nicky Wire hat uns noch kurz ein Interview gegeben, bevor Soundtechnik und Regen ihrem Frequency-Gig einen denkbar schlechten Start beschert haben.
Interview: Christoph Löger

Ihr seid erst recht spät aufs Gelände gekommen, du wirkst gestresst, was ist passiert?

Der Flieger in München hatte Verspätung, jetzt sind wir mit dem Bus nach Salzburg gefahren, auf der Autobahn gab’s Stau, und ich muss noch mein Make-Up auftragen. Kein guter Start, oder?

Ich werd’s kurz machen, versprochen. Erzähl mir von eurem ersten Konzert.

Oh, das ist lange her, aber ich erinnere mich ziemlich gut. Es war cool, pures Chaos. Ich glaube, das war 1989 in einem Hotel namens Kremlin Railway, gemeinsam mit Jesus and the Mary Chain. Irgendwer hat ein Pint-Glas auf den Boden geworfen, ohne Absicht. Und die Leute haben geglaubt, dass das der Startschuss für einen ordentlichen Riot sein könnte und haben ebenfalls alle ihre Gläser herumgeworfen. Überall waren Scherben, die PA war im Arsch, und zur Krönung haben wir eine ziemlich heftige Version von „Teenage Kicks“ gespielt. Den Rest des Abends kannst du dir ausmalen…

Fällt dir noch ein schlimmeres Erlebnis ein, das ihr hattet?

Kennst du die 80er-Jahre-Hardrockband „Rainbow“?

Ja.

Das war lustig. Wir waren Support von Rainbow, auf irgendeinem Parkplatz in Deutschland. Wir sind in einem furchtbaren Van dorthin gefahren, der alle zehn Kilometer den Geist aufgegeben hat. Als wir auf die Bühne kamen, war der Platz davor komplett leer. Da waren überhaupt keine Menschen, und die wenigen, die uns zugeschaut haben, vielleicht zehn oder zwanzig, waren komplett besoffen und haben uns gemeinsam ausgepfiffen. Dazu hatte es mindestens 40 Grad im Schatten.

Rainbow und die Manic Street Preachers? Wer hat dieses Booking verbrochen?

Versteh mich nicht falsch, ich fand Rainbow damals ziemlich cool. Wir haben backstage ein paar Biere mit Ritchie Blackmore getrunken. Ich meine, stell dir das vor – der Mann war in Deep Purple. Da nimmt man schon in Kauf, vor keinem Publikum zu spielen und wieder 14 Stunden mit einem Scheiß-Bus heim zu fahren.

Mit welchem toten Künstler würdest du gerne gemeinsam einen Song covern und welcher würde es sein?

Du fragst Sachen…hmm…mit vielen. Aber wenn ich einen wählen muss, ist es wahrscheinlich Joe Strummer von The Clash. Wir waren von Anfang an besessen von The Clash. Damals war es noch nicht so cool wie heute, ein Clash-Fan zu sein. Das passiert erst die letzten fünf, sechs Jahre, dass alle mit Clash-Shirts aus irgendwelchen Modeketten herumlaufen und nur die Nummer aus der Jeans-Werbung kennen. Ich kann in aller Ehrlichkeit sagen, dass Joe Strummer der ausschlaggebende Grund für mich war, Musik zu machen. Welchen Song wir covern würden? Eine neue Version von Sid Vicious „My Way“. Das würde ziemlich cool aussehen und klingen: zwei große Bassisten, die Sinatras Lied ein drittes Mal vergewaltigen. Denkst du nicht?

Ich mochte das Original nie wirklich, obwohl ich Sinatra verehre. Die Strummer/Wire-Version würde ich aber gerne auflegen. A propos: Würdest du für uns fünf Songs auswählen, mit denen man die perfekte Partynacht beginnt?

Lass mich ein wenig nachdenken… das erste ist ja immer das Schwierigste. Ich würde wahrscheinlich starten mit „Heresy“ von den Nine Inch Nails, der Beat stampft unglaublich. Danach „Holidays In The Sun“ von den Sex Pistols, weil die Lyrics einfach perfekt sind, so herrlich aggressiv. Dann „Burn Hollywood Burn“ von Public Enemy, wieder wegen der Lyrics, und weil man sich dazu einfach gut bewegen kann. Darauf ein wenig Punk, und zwar „Time Ain’t Nothing“ von Green On Red und direkt danach „Transmission“ von Joy Division.

Hast Du einen Fetisch oder eine saublöde Angewohnheit?

Ja, ich bringe gern das Hotelpersonal zur Weißglut, wenn ich ein Zimmer bekomme, in dem sich die Fenster nicht öffnen lassen. Ich hab mir das vor ein paar Jahren sogar vertraglich zusichern lassen, dass ich kein solches Zimmer nehme. Ich meine, man fliegt den ganzen Tag, sitzt permanent im Bus, die Klimaanlage ist entweder auf Kochen oder Schockfrosten eingestellt und man atmet ständig gefilterte, unnatürliche Luft. Das ist ja auch kein Atmen mehr, sondern Zwangsbeatmung in einem technischen System. Das erste, was ich mache, wenn ich im Hotel eingecheckt habe, ist, im Zimmer alle Fenster aufzureißen und die Luft, den Duft des Landes zu inhalieren.

Stichwort „inhalieren“: Rauchst du?

Nein, habe ich auch noch nie. Bist du enttäuscht?

Warum?

Weil das nicht sehr Rockstar ist.

Das hast du gesagt. Stört`s dich, wenn ich eine rauche?

Nein, kein Problem, ich bin kein Non-Smoking-Faschist. Aber ich hab’ schon noch so etwas wie einen Fetisch: ich bin ständig am Zusammenräumen, ich bin ein leidenschaftlicher Putz-Freak, sehr häuslich. Obwohl ich zwei Kinder habe, ist mein Haus immer extrem sauber. Jetzt fragst du mich wahrscheinlich gleich, ob das mein Putzpersonal erledigt…

Nein, wollte ich nicht. Aber gute Frage… lässt du putzen?

(lacht) Nein, eben nicht. Ich mache das wirklich selbst. Fuck, jetzt habe ich dich ein zweites Mal enttäuscht…

Warum? 

Weil Nicky Wire von den Manic Street Preachers Nichtraucher ist und mit dem Besen durch sein Haus wandert. Aber ich trage keine Schürze dabei, das rettet mein Rockstar-Image vielleicht noch.

Definitiv. Lass uns gleich ein bisschen kitschig bleiben: beschreib mir einen romantischen Moment.

Ich war mit meiner Freundin am Strand in West Wales spazieren, und es hat wie immer ziemlich geregnet. An diesem grauen, fürchterlichen Tag haben wir uns am Strand verlobt. Und heuer sind wir 15 Jahre verheiratet. Das war verdammt schön damals. Heute finde ich es zum Beispiel ziemlich romantisch, mit dem Bus in der Nacht nach Tokyo reinzufahren. Letztens hab’ ich mir dabei Joy Division angehört…

Welche Nummer?

…“The Eternal“. Oder auch der Anblick des Kölner Doms macht mir noch immer Gänsehaut. Du siehst, ich reise nach all den Jahren immer noch gern. Reisen an sich ist eigentlich Romantik.

Dann kennst du dich ja gut mit netten Lokalen aus. Kannst du unseren Lesern einen Pub oder Club empfehlen, wo sie unbedingt einmal etwas getrunken haben sollten?

Jetzt wird es peinlich, das ist nämlich die dritte Enttäuschung. Ich gehe nicht in den Pub.

(ehrliche Entrüstung) Du bist Brite!

(lacht) Ich hasse sie trotzdem. Aber warte… als ich an der Universität war, gab es in Swansea diesen Nightclub namens „Cinderella Rock Circus“. Kein Ahnung, ob es den noch gibt, aber die Musik war da immer gut.

War der letzte Song der Nacht immer etwas von den unfassbar schlechten „Cinderella“?

(lacht) Oh mein Gott, nein! Aber die hatten tatsächlich immer dasselbe letzte Lied: „She Sells Sanctuary“ von The Cult.

Nicky, vielen Dank.

Cheers, mate.