Mit Volldampf in die Zeitlupe
Kriesen, Kriege, Diktaturen – Was könnte uns noch retten?
Sicher ist dir schon aufgefallen, dass auf der Welt irgendwie nichts mehr weitergeht. Überall, wo letzte Versuche stattfinden, etwas zum Besseren zu richten, fallen scharenweise die Bremser ein.
Präsident Obama versucht derzeit, endlich auch den US-Bürgern ein staatliches Gesundheitssystem zu verschaffen. Doch selbst dagegen kann man etwas haben (nämlich auf kurzfristige Profite abstellende finanzielle Interessen), und so malen die politischen Gegner unentwegt Horrorszenarien an die Wand, die derart blödsinnig sind, dass man als Europäer die Gänsehaut bekommt. Obama ist gezwungen immer wieder zu betonen, die Krankenversicherung werde selbstverständlich „freiwillig“ sein. Damit ist sie zwar weniger wirksam, aber sonst würde sich die Opposition ja im Sozialismus wähnen. Sozialismus? Ach was: Faschismus! Ist doch ein und dasselbe! Die Protestplakate sind bekannt: „Oh no, it’s Hitler all over again“. Ja, Hitler, der bekanntlich die Welt in Brand setzte, indem er die staatliche Krankenversicherung propagierte!
Wo ein neuer Präsident vom Format Obamas früher mit eisernem Besen und frischem Wind zweifellos clean house gemacht hätte, steht er heute jedoch am Abgrund. Von der Sternschnuppe zur lahmen Ente in schlappen acht Monaten? Ist gut möglich!
Und weil heute alle Mittel erlaubt sind, wird weltweit gestritten und gebremst, was das Zeug hält. Nichts ist heilig, kein Widerspruch kann zu dämlich sein. Man nennt es „Neue Politische Ökonomie“, wenn Politiker in turbokapitalistischer Manier einzig danach streben, Macht und in der Folge Geld zu maximieren. Wer das schafft, gilt als erfolgreich, und alle anderen sind eben Verlierer. Mit diesen Ideen hat man die echte Wirtschaft bereits an die Wand gefahren. Jetzt folgt die Politik!
Ein Zeitlupenstaat war lange Zeit auch Österreich. Auf allen politischen Ebenen liest sich die Chronik der öffentlichen Meilensteine als wenn jemand beim Tippen schwere Probleme mit dem Treffen der richtigen Zifferntasten gehabt hätte: Beitritt zur EU: 1995 – hoppla, nicht 1975 oder 1965? Eröffnung der ersten U-Bahn: 1978 – wie, nicht 1887? Österreichisches Privatfernsehen: 2001 – was, nicht 1981? Und wir haben noch immer genügend Leichen im Keller: Minderheitenrechte, Wehrpflicht, Verwaltungsreform, Antidiskriminierungsgesetz, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung, Gesundheits- und Pensionsreform und so weiter.
Von „großen Reformen“ ist zwar bei manchen Themen immer wieder die Rede, aber am Ende sind sie der Erwähnung nicht wert: Die jeweils penetranteste Lobbyistentruppe sorgt dafür, dass die Ihren es sich schon richten können. Mittlerweile kann der Staat als Arbeitgeber von Lehrern nicht einmal mehr bei deren Arbeitseinteilung mitbestimmen. Die Homoehe wird seit Jahren versprochen, und obwohl die VP-Spitze versichert, total dafür zu sein: Kommen tut sie nicht. Schreckgespenst Jörg Haider ist seit einem Jahr nicht mehr vorhanden, aber anstatt die leidigen zweisprachigen Ortstafeln nun endlich aufzustellen, wie es die Verfassung vorschreibt, wird Gesprächsrunde Nr. 852 geplant.
Gegen diese bleierne Langsamkeit muss es doch Mittel geben! Vielleicht einen Brecheisenansatz mit viel Dynamik und wenig Qualität, wie ihn das Regime von Speed-Killer Schüssel versucht hat? Ein Quasidiktator, wie ihn sich Venezuela verordnet hat? Die Wirtschaftskrise? – Ja, wenn eine Krise als eiserner Besen schon willkommen ist, warum dann nicht gleich ein Krieg? Gehen uns am Ende die Kriege ab, damit das Werkl den entscheidenden Tritt bekommt? Damit wir endlich wieder alle gemeinsam von Null anfangen können?
Der unreformierbare Staat: eine Formulierung, die auszusprechen sich Hans Rauscher im Standard gerade noch nicht traut, aber ein realer Zustand, den er in seiner Glosse auch belegt. Unser öffentliches Leben sei durch zwei Phänomene beherrscht, nämlich die „Erstarrung von Strukturen“ und die „Verlotterung der politischen und institutionellen Sitten“. „… sachliche und moralische Katastrophen … glatter Rechtsbruch … es regt niemanden auf, es folgen keine Konsequenzen, die dümmsten Ausreden werden achselzuckend akzeptiert.“
Wobei es in anderen Ländern – Deutschland! –tatsächlich noch Politiker geben soll, die, moralisch untragbar geworden, eben nicht selbstredend weiterwurschteln, sondern unerhörterweise tatsächlich zurücktreten. Sogar in der deutschen großen Koalition scheint sich ein klein wenig mehr zu bewegen als in unserer. Die Deutschen in Zeitlupe, während Österreich erstarrt ist: Müssen wir da schon neidisch sein?
Hin und wieder versuchen manche, den Stillstand mit schlauen Ideen zu überwinden. Doch auch die Handbremsenzieher sind heute mit allen Wassern gewaschen: Reformen reformieren in die Gegenrichtung, Volksbegehren werden von Parteien abgehalten, Bürgerinitiativen stellen sich offen egoistisch gegen den Vorteil der Gemeinschaft. Und finden Gehör, denn in Zeiten des tatsächlichen Stillstands müssen die Medien jede Scheinaktivität als Sensationsmeldung aufbereiten. Die demokratischen Instrumente werden dabei natürlich entwertet, sie dienen zum Bremsen und sind kaum mehr schöpferisch einsetzbar. Die Republik steht still. Doch seien wir zufrieden mit dem Stillstand; wir haben ihn uns in jahrzehntelanger Arbeit hart verdient.