Do, 17. Dez 2009

Sigrid Maurer Interview

Sigrid Maurer, Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft

Die Proteste befinden sich in der Problemerfassungsphase, du beschäftigst dich seit 4 Jahren intensiv mit Bildungspolitik, wo sind die Lösungen?

Zuerst einmal: Es war nie Aufgabe des Protestes, konkrete Lösungen zu finden. Dafür gibt es die Politik und dafür gibt es die ÖH. Grundlage für unsere Lösungsansätze ist ein emanzipatorischer Bildungsbegriff. Heißt, Bildung ist in erster Linie dazu da, den Leuten die Möglichkeit zu geben, an dem System zu partizipieren. Sie ist dazu da, ihnen das Handwerk der Reflexion und der kritischen Hinterfragung beizubringen. Nur eine Bevölkerung, die freien Zugang zu Wissen hat, kann hinterfragen und kritisieren was in einem Staat passiert. Bildung wirkt emanzipatorisch. Wie zum Beispiel kann Demokratie funktionieren, wenn sich 90% der Menschen auf die Meinung einer Kronenzeitung verlassen? Das ist eine ganz zentrale Frage. Ein emanzipatorischer Bildungsbegriff bedeutet aber nicht, dass nur Leute, die eine höhere Bildung haben, mitbestimmen dürfen – da muss man aufpassen.

Okay, die Lösung heißt also Bildung für jeden?

Wir sind gegen jede Form von Zugangsbeschränkung, das ist richtig. Dabei muss aber beachtet werden, dass der Bildungsbereich von Grund auf neu strukturiert gehört. Das beginnt schon im Kindergarten. Denn die Probleme multiplizieren sich von Anfang an.

Das wird viel Geld kosten. Woher soll das kommen?

Hier geht es prinzipiell um ein Verteilungsproblem. Bildung muss der Gesellschaft etwas wert sein. Das führt naturgemäß gleich wieder zu der Diskussion: Na die, die studieren, sollen Studiengebühren zahlen. Im Endeffekt muss aber klar sein, dass Österreich einfach viel zu wenig Geld für Bildung ausgibt. In jeder OECD-Studie wird diese Erkenntnis erneut publiziert.

Es gibt auch Behauptungen, dass Österreich bei den Bildungsausgaben prozentuell zum BIP gar nicht so schlecht dasteht.

Bei den Schulen vielleicht. Beziehungsweise kommt es darauf an, was alles reingerechnet wird. Wenn Pensionen von ehemaligen Universitätsprofessoren in das Budget miteinbezogen werden, ist das weniger sinnvoll. Also es kommt immer darauf an. Laut OECD Studie gibt Österreich 1,3% seines BIPs für den tertiären Bildungsbereich aus. Finnland steht heuer schon bei 1,9%. Empfehlung der EU sind 2% bis 2015. Die Regierung hat das mit 2020 in ihre Vorlagen übernommen, und somit eh schon 5 Jahre draufgeschlagen. Vor der Beschlussfassung ist die Jahreszahl dann überhaupt abhanden gekommen. Was somit übrig geblieben ist: Erhöhung des Budgets auf 2% des BIPs bis… irgendwann. Das sind halt alles politische Schmähs, mit denen sich die Verantwortlichen aus ihrer Verantwortung stehlen.

Trotzdem: 2% des BIPs würden reichen, dass jeder und jede ohne Zugangsbeschränkungen und ohne Studiengebühren zu zahlen, studieren kann?

Zum einen: Die 2% des BIPs sind nur für Hochschulausgaben gedacht. Schule und Kindergarten, die in das Gesamtkonzept miteinbezogen gehören, sind nicht dabei. Zum anderen muss der Endpunkt dieser Diskussion, die jetzt durch die Protestbewegung angestoßen wurde, eine Vermögenssteuer sein, deren Erlös auch der Bildung zugute kommt.

Die Proteste haben den Themen der ÖH ein enormes Interesse gebracht. Was habt ihr von der Bewegung gelernt?

Wir twittern, wir live-streamen unsere Bundesvertretungssitzungen und nutzen vermehrt die neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Das wollten wir immer schon machen, aber jetzt hat es endgültig sein müssen. Was uns die Proteste verdeutlicht haben ist, dass es offenbar recht schwer ist, an der ÖH anzudocken.

Inwiefern?

Naja, da sind jetzt auf einmal 40.000 Menschen, die über Bildungspolitik diskutieren. Wo waren die vorher? Hätten wir denen als ÖH ein besseres Forum bieten können beziehungsweise können wir sie jetzt an die ÖH binden, indem wir ihnen die Möglichkeit geben, aktiv mitzuarbeiten? Was hier passiert, ist ja wirklich irre cool und genau das, was wir immer wollten.

Kritisiert ihr auch etwas an den Protesten?

Kritisieren nein. Ich würde es Beobachtungen nennen, die in die Analyse miteinbezogen gehören. Zum ersten muss der Protestbewegung klar sein, dass sie selber elitär ist und bessere Bedingungen für ihr eigenes, elitäres Klientel fordert. Viele Leute, die aktiv dabei sind, können sich das nur deswegen leisten, weil ihnen ihr sozialer Background ein solches Engagement erlaubt. Unter 10 Studierenden ist immer noch nur eine/einer aus einer Arbeiterfamilie. Der zweite Punkt ist, dass die Bewegung teilweise zu wenig radikal ist. Wer einen gesellschaftspolitischen Großkampf führt, sollte sich nicht in pragmatischen Forderungen verlieren. Ich würde mir wünschen, dass sie viel radikaler in gesellschaftspolitischen Fragen werden.

Was wird von den Protesten bleiben?

Die Diskussion um den gesellschaftlichen Wert von Bildung, die Dynamik und die allgemeine Begeisterung darüber, dass so etwas möglich ist. Natürlich sind jetzt nicht mehr so viele Leute den ganzen Tag über im Audimax. Aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass diese Bewegung übermorgen wieder da stehen kann. Und zwar mit der vollen Kraft.

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