Volume von vor 15 Jahren
Ein Rückblick: Die Wiener Wochenzeitung ‚Falter‘ macht’s, das Nachrichtenmagazin „profil“ sowieso – und die Tagesschau vor 30 Jahren zählt mit zum Besten, was das deutsche Fernsehen zu bieten hat. Warum also sollte das tollste aller handtaschenformatigen Magazine dem Nachstehen? Was hier folgt, ist eine auf Tatsachen beruhende, aber doch irgendwie fiktive Rückschau darauf, wie Volume vor 15 Jahren ausgesehen hätte. Denn 1994 hatte es wirklich in sich!
Ausgabe 1 – Jänner 1994 Der Printmarkt boomt. Das Internet ist noch was für Einwahlmodems und absolute Geeks und keine Konkurrenz für Magazin-Neugründungen – im Gegenteil: Der Anzeigenmarkt ist gesund, beste Voraussetzungen also für Volume #1, das sich nach langwierigen, von Energy-Drinks geschwängerten Redaktionssitzungen einem ersten Thema widmet: Die Post-Punk-Ära mit den Posterboys von Green Day und ihrem Mega-Seller „Dookie“ ziert das erste Cover. Das Album der Chart-Punker verkauft sich bis heute 19 Millionen Mal, die Volume-Redaktion beweist also erste Fähigkeiten zum Trendsetting. Nicht ganz so zielsicher läuft retrospektiv betrachtet die redaktionsinterne Abstimmung zum besten Energy-Drink: „XTC“ setzt sich klar gegen RedBull durch. Was sicherlich auch an der Party-Affinität mancher Mitarbeiter liegt, die sich mit teilrasiertem Haar die Nächte auf Großhallen-Raves um die Ohren schlagen und Buffalos tragen. Dafür werden sie von der Grunge-Fraktion natürlich immer wieder angezählt und ausgelacht. Dass die aber mit ihren Holzfällerhemden mindestens genau so dämlich aussehen, wissen sie damals noch nicht. Ausgabe 2 – März 1994 Das Jahr bringt seinen ersten neuen Superstar aus Hollywood hervor: Jim Carrey rockt mit „Ace Ventura – ein tierischer Detektiv“ im Comedy-Segment die Kinos, die immer mehr von „Lichtspielen“ zu Entertainment-Centern werden. Carrey beschert uns im Laufe des Jahres mit „Die Maske“ und „Dumm und Dümmer“ noch zwei weitere Dämlack-Blockbuster, die das brachliegende Genre der seichten, aber unterhaltsamen Komödie wieder gehörig auf die Beine bringen. Überhaupt findet 1994 ein Kino-Boom statt: Als Tom Hanks mit „Forrest Gump“ im zweiten Halbjahr über 300 Millionen Dollar einspielt, gilt die Krise der Filmbranche zu Beginn der 90er als überwunden. Neben einem Kino-Special befasst sich Volume in Ausgabe zwei aber mit einem ganz anderen Phänomen: Die Buffalo-Träger haben sich durchgesetzt – sie bekommen ihr schon für Ausgabe 1 gefordertes Rave-Cover. Gründe gibt es genug: Marusha stürmt mit ihrem Debütalbum „Raveland“ und den Singles „Somewhere Over The Rainbow“ und „It Takes Me Away“ die Charts, WestBam erreicht mit seinem Riesen-Rave „Mayday“ in der Dortmunder Westfalenhalle Zehntausende von Leuten und die „Love Parade“ in Berlin ist endgültig ein Fixpunkt in der öffentlichen Wahrnehmung. Dazu kommen Chart-Hits wie Mark Oh‘s „Lovesong“ und Perplexer’s stupider Dudelsack-Hymne „Acid Folk“. Die Nummern sind allesamt auf der „Bravo Hits“-Serie vertreten, die alleine in diesem Jahr drei Teile (6-8) hervorbringt. Neben den ganzen kurzlebigen Chartphänomenen hört man auch immer mehr von einer britischen „Band“, die den Zeitgeist der dortigen Rave-Kultur in ihrem Album „Music For The Jilted Generation“ manifestiert. The Prodigy stehen fortan für die legitime Verschmelzung von Massenkompatibilität und Qualität im Rave-Segment. Die Grunger bekommen aber dennoch wieder Platz im Heft: Soundgarden erreicht mit seinem vierten Studioalbum „Superunknown“ und der Single „Black Hole Sun“ endgültig den Stadionrock-Mainstream. Außerdem macht ein Außenseiter in der Redaktion Stress: Er trägt weder Buffalos, noch ein Holzfäller-Hemd, sondern Baseball-Cap und Baggy-Pants und urgiert ein Album ins Heft, das irgendwie keinen interessiert: Nas‘ „Illmatic“ definiert den East Coast HipHop neu und prägt neben den zahlreichen Releases aus dem Umfeld des Wu-Tang Clans nach „36 Chambers“ den Ostküstensound. Der Außenseiter sollte Recht behalten: Heute zählt „Illmatic“ zu den besten HipHop-Alben aller Zeiten. Ausgabe 3 – Juni 1994 Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt: Während die ganze Welt im Fußball-Fieber liegt, trauert die Grunge-Fraktion um ihren Anführer. Kurz nach Erscheinen der zweiten Volume-Ausgabe bringt sich Kurt Cobain in seinem Haus in Seattle mit einem Kopfschuss um. Am 1. März geben Nirvana ihr allerletztes Konzert in München, natürlich ist Volume zufällig vor Ort und kann jetzt groß mit exklusiven letzten Live-Bildern auffahren. Dazu gibt’s standesgemäß ein großes Special mit Rückblick und vor allem der Frage der Fragen: Was kommt nach Nirvana? Bodenständiger geht es im Fußball-Special anlässlich der WM 1994 in den USA zu. Ohne allzu viel Emotion analysiert man dieses Großereignis – emotionslos vor allem deswegen, weil die Österreicher nach der WM in Italien 1990 nicht dabei sind. In der Qualifikation scheitert man unter den Trainern Ernst Happel, Didi Constantini (interimistisch nach Happels Tod) und Herbert Prohaska sang- und klanglos: Ein Torverhältnis 15:16 und nur acht von 20 möglichen Punkten reichen gerade mal für Platz vier in der sechsten Quali-Gruppe. Die Favoriten sind ohnehin andere: Wie immer Brasilien, wie immer Deutschland, diesmal als Titelverteidiger besonders im Fokus, die Italiener und die Argentinier sowieso. Letztere verlieren ihren Superstar und heutigen Nationalteam-Coach Diego Maradona noch während des Turniers wegen einer positiven Doping-Probe und scheiden im Achtelfinale gegen Gheorghe Hagi‘s Rumänen aus. Brasiliens Legende Pelé bringt vor dem Turnier einen Underdog als Geheimfavorit ins Spiel: Kolumbien. Die Mannschaft kann dem Druck aber nicht standhalten und wird in der Vorrunde Gruppenletzter. Dazu geführt hat unter anderem ein Eigentor des Verteidigers Andrés Escobar im Spiel gegen die USA, das 1:2 endet. Ein paar Tage nach seiner Abreise wurde Escobar in einer Bar in Medellín mit zwölf Schüssen niedergestreckt. Bis heute ist unklar, ob sein Tod in direktem Zusammenhang mit dem Eigentor steht. In den KO-Spielen setzt es schon im Viertelfinale eine faustdicke Überraschung: Deutschland muss sich Bulgarien geschlagen geben und tritt die Heimreise an. Schlussendlich setzen sich im Halbfinale Brasilien gegen Schweden und Italien gegen Bulgarien durch. Was folgt, ist eines der langweiligsten Endspiele aller Zeiten: Null zu Null nach 120 Minuten, ein Elfmeterschießen muss entscheiden. Und selbst dort gelingt erst beim dritten Versuch ein Tor, und als Superstar Roberto Baggio den fünften Versuch für Italien zu einem möglichen 3:3 nicht verwerten kann, ist Brasilien vor 95.000 Zuschauern in Los Angeles zum ersten Mal seit 24 Jahren und zum vierten Mal insgesamt Weltmeister. Ausgabe 4 – September 1994 Volume versucht sich wieder im „Trends erkennen“ und hat natürlich richtig erkannt, dass nach dem Grunge der Brit-Pop der nächste heiße Scheiß sein wird. Blur mit ihrem dritten Album „Park Life“ und Oasis mit ihrem Debütalbum „Definitely Maybe“ setzen erste Ausrufezeichen in diesem noch jungen Subgenre. Zwar findet der wahre Hype ein bisschen später statt, doch erste Trends sind schon klar erkennbar. Und die Mission ist klar, Damon Albarn von Blur meint auf die Frage, ob Britpop “Anti-Grunge” sei: „Well, that’s good. If punk was about getting rid of hippies, then I’m getting rid of grunge.” Dazu widmet man sich mit Korn einer neuen Band aus Amerika, die mit ihrem gleichnamigen ersten Album erste Gehversuche in einer Gattung unternehmen, die später als „Nu Metal“ für Furore sorgen soll. Und, was heute bei Volume Gang und Gäbe ist – siehe z.B. das Studentenprotest-Special in dieser Ausgabe – ist damals so etwas wie ein erster Gehversuche auf politischem Terrain: Volume analysiert die Vor- und Nachteile des „Ja“ der Österreicher zum EU-Beitritt. Grundsätzlich steht die Redaktion einem offenen Europa sehr positiv gegenüber. Das hat natürlich auch pragmatische Gründe, malen sich einige der Volume-Redakteure eine zukünftige offene Grenze Holland-Deutschland doch als sehr reizvoll aus… In der frischgeschaffenen Technik-Ecke bespricht man eine neue Konsole, die einem Redakteur auf einer Japan-Reise begegnet ist und die er nicht vergessen kann. In den USA kommt sie schon im Dezember 1994, bei uns etwas später: Die Playstation von Sony beschert vielen Zockern unter uns schon jetzt feuchte Träume. Genug der Fehlversuche à la Sega CD und Nintendo 64 – Sony zeigt den beiden ehemaligen Platzhirschen was eine State-of-the-Art Konsole können muss und überzeugt mit revolutionärer Steuerung und fetter Grafik. Die Volume-Redaktion verbringt das kommende Jahr also viel mit Zocken. Und mit Diskussionen darüber, ob man das Debütalbum „Blunted On Reality“ einer Band namens „The Fugees“, das ebenfalls 1994 erschien, im Nachhinein rezensieren sollte. Der Außenseiter pocht schon wieder auf seine prophetischen Fähigkeiten – „Die werden noch ganz groß“, meint er…