Ein bewegter Corbijn - Anton Corbijn im Interview
Rolling Stones, Depeche Mode, U2, Metallica, Nick Cave und viele mehr. Fotografenlegende Anton Corbijn hatte sie schon alle – vor seiner Linse. Weiters hat der gebürtige Holländer seine Bandfreunde seit den 80er Jahren mit revolutionären Musikvideos in Szene gesetzt und eine ganze Musikgeneration beglückt. Mittlerweile hat sich Anton Corbijn dem Filmemachen verschrieben. VOLUME im Gespräch mit Anton Corbijn über kalkuliertes Risiko, Musikfernsehen von heute und seine Zukunftspläne.
Dein neuer Film „The American“ konnte sich schon am Startwochenende Platz eins der amerikanischen Kinocharts sichern. Kalkuliertes Risiko?
Für eine Produktion aus Europa natürlich sensationell. Anfangs habe ich gehofft und gebangt, dass die Leute „The American“ überhaupt verstehen, denn es ist ein Film der alten Schule. Dass er so großen Anklang in Amerika findet, ist unglaublich. Ich bin verwirrt, aber natürlich hoch erfreut.
Ist dir grundsätzlich wichtig, dass möglichst viele Leute deine Arbeit annehmen und gut finden?
Ich will keine massentauglichen Blockbuster drehen. Klar wäre es hart, wenn mein Film überhaupt kein Publikum finden würde. So bin ich glücklich und zufrieden, wenn ein Streifen von mir erfolgreich ist, und ich von den Einnahmen den Nächsten drehen kann. Schritt für Schritt! Aber ich gehe dabei keine Kompromisse ein, um von allen gemocht zu werden. So wie immer schon.
Früher als Fotograf hast du für dich alleine gearbeitet. Wie ist es nun mit so einer großen Produktion im Team?
Die Entwicklung vom Fotograf zum Regisseur war schwierig. Ich bin generell jemand, der gerne alleine arbeitet. Fotografie ist eine ganz andere Kunstform als Film, bei der du nicht alles monatelang vorausplanen musst und auf kein großes bzw. gar kein Team angewiesen bist. Aber ich erweitere gerne meinen Horizont und letztendlich sind am Set auch wieder nur zwei Dinge für ein Ergebnis entscheidend: Kamera und Schauspieler.
Mit welcher visuellen Ausdrucksform ist es am schwierigsten, eine Geschichte zu erzählen? Foto, Musikvideo oder Spielfilm?
Meine Meinung: Beim Film ist es am einfachsten, beim Fotografieren am schwierigsten. Dennoch kann ich auf Bildern vieles offen lassen und noch stärker auf die Vorstellungskraft des Betrachters zurückgreifen. Beim Videoclip ist die Geschichte nicht so wichtig, denn die Musik trägt alles. Darum vergibt MTV die Video Music Awards an die Künstler und an nicht die Regisseure.
Was ist deiner Meinung nach das beste Musikvideo derzeit?
Das kann ich nicht sagen, denn ich schaue sie nicht an. Ich habe das Interesse schon vor einer ganzen Weile verloren, etwa vor zehn Jahren. Früher habe ich in Hotels MTV geschaut, weil ich den Kanal zu Hause gar nicht hatte. Heute hätte ich ihn zu Hause, aber ich schalte ihn nie ein. Ich glaube, der Reiz ist verloren gegangen. Die 80er und 90er Jahre waren aufregend, weil die Entwicklung unvorhersehbar war. Aber jetzt haben die Leute andere Unterhaltungsformen gefunden und die Aufmerksamkeitsspanne dauert nur den Bruchteil einer Sekunde. Heute sollen junge Leute Videos drehen, ich habe achtzig Stück gemacht und es war Zeit für Neues.
Sind nur die Videos uninteressant geworden oder generell die Musik?
Nein, Musik liebe ich noch immer. Gerade letzte Woche hat R.E.M. mit mir gearbeitet, ich habe natürlich nach wie vor viele Musikerfreunde. Aber ich kann nicht mehr so tun, als wäre ich 24 Jahre alt und auf der Suche nach neuen Bands. Danach fühle ich mich nicht mehr. Das habe ich gemacht und genossen, aber ich muss es nicht wiederholen.
Abschließend: Hast du schon Ideen für einen neuen Film bzw. wie sehen die Zukunftspläne von Anton Corbijn aus?
Einige Ideen sind bereits vorhanden, ich will insgesamt drei Filme machen und dann überlegen, was als nächstes kommt. Eine Filmproduktion beansprucht in etwa zwei Jahre deines Leben, also solltest du dir sicher sein, ob du das auch wirklich durchziehen kannst und willst. Alles muss durchdacht sein. Fotografie dagegen ist simpel. Wenn du als Fotograf ein Bild machst und es wird nichts, dann ist das zwar schade, aber du verlierst am Ende nur einen Tag. Filmdrehs sind zwar viel mehr Arbeit, aber das Gefühl, etwas abzuschließen, ist wesentlich intensiver und hält länger an.