Den Sonnen entgegen - Linkin Park im Interview
Seit 14. September ist das brandneue Album von Linkin Park erhältlich, am 23. Oktober kommt das Bandkollektiv aus Kalifornien mit „A Thousand Suns“ zum Konzerttermin nach Linz. Vorab erklärt Bandmastermind Mike Shinoda wie man am besten an die Stimme von Dr. Martin Luther King kommt, welche Bedeutung Videogames für unsere heutige Generation besitzen und wie Mann oder Frau mit Kritik umgehen sollte.
Zum Einstieg: In eurem aktuellen Pressetext steht, dass ihr für dieses Album „die Band zerstören und komplett neu aufbauen“ musstet. Schön, aber was genau meinst du damit?
Mike Shinoda: Wir wollten mit „A Thousand Suns“ das Songschreiben ganz anders angehen. Früher hatten wir da eine sehr starre Arbeitsweise, machten zuerst die Musik und schrieben darüber den Gesang. Das ist sehr einschränkend. Deshalb haben wir diesmal viel gejammt, aber vor allem haben wir Loops zusammengebastelt und die als Basis für Jam-Sessions und Improvisationen verwendet.
Gleich der zweite Song heißt „Radiance“ und beinhaltet ein Sample der Stimme von Robert Oppenheimer, dem Vater der Atombombe. Ist das ein Konzeptalbum zu diesem Thema?
Das müssen unsere Fans selbst rausfinden. Es war uns ganz wichtig, nicht zu predigen, keine Schlüsse zu ziehen und viele verschiedene Bedeutungen in einen Song zu packen. Aber natürlich ist das Sample dort aus gutem Grund: Wir haben, während wir das Album aufgenommen haben, viel Material über die Entstehung der Atombombe gelesen, und das manifestiert sich natürlich in den Texten. Es geht aber auch um viele ganz andere Dinge. Und ich würde nicht sagen, dass es ein Konzeptalbum ist. Es gibt nämlich keine richtige Story. Aber die Themen Stolz, Zerstörung und Reue ziehen sich schon wie ein roter Faden durch alle Tracks. Denn in Zeiten wie diesen wollten wir ganz bewusst ein Album machen, anstatt nur einer Sammlung von Songs – als Gegenpol dazu, dass alle nur mehr Singles und einzelne Songs hören, wenn sie nach neuer Musik suchen.
Was musstet ihr tun, um für den Song „Wisdom, Justice And Love“ ein Sample von Dr. Martin Luther Kings Stimme zu bekommen?
Wir mussten es nur bei seinen Nachlassverwaltern beantragen. Der Clip, den wir ausgesucht haben, handelt von der Gewalt in Vietnam. Wir haben übrigens auch noch ein drittes Sample mit Stimme von einem anderen Bürgerrechtskämpfer namens Mario Savio auf „A Thousand Suns“. Er spricht dabei über die Rechte der Arbeiter und wie sie damals unterdrückt wurden.
In welcher Weise ist das jetzt noch relevant?
Es hat einen gewissen Bezug zu den Themen, die wir in „A Thousand Suns“ aufgreifen. Wenn man sich vorstellt, diese Leute würden heute Reden halten: Was würden sie sagen? Und wie würden die Leute darauf reagieren? In diesem Kontext haben wir die Clips ausgesucht und eingebaut. Aber mehr will ich dazu nicht sagen. Denn was ist, wenn ein Hörer eine ganz andere Interpretation hat als ich? Dann würde ich sie ihm zerstören. Ich halte die eigene Interpretation der Hörer aber für wesentlich bedeutsamer und wertvoller als meine eigene.
Den Song „The Catalyst“ habt ihr dem EA-Videogame „Medal Of Honor“ zur Verfügung gestellt. In der Presseaussendung dazu heißt es, dass ihr die „Kraft der Games in der heutigen Kultur“ versteht. Wie würdest du diese Kraft beschreiben? Wie beeinflussen Games unsere Kultur?
Ich würde nicht sagen, dass sie unsere Kultur beeinflussen, sie reagieren nur darauf. Die Kultur wird nur von kreativen Menschen beeinflusst, von Musikern, von Künstlern, davon, wie junge Leute sich kleiden und definieren. Okay, manche definieren sich vielleicht über Games, aber das ist eben nur ein Weg. Und das ist auch bei weitem kein neues Phänomen. Ich erinnere mich, als ich jung war, bin ich mit meiner Nintendo-Konsole zu meinen Freunden gegangen und wir haben Pizza gegessen und dabei gezockt. Wir haben eigentlich nur zwei Dinge gemacht: Basketball und Computerspiele gespielt.
Du hast am Art Center College of Design in Los Angeles studiert und einen Abschluss in Illustration. Was hat dir das für das Musikmachen gebracht?
Dass ich Kritik aushalten kann… (lacht) Aber ernsthaft: Auf Kunstschulen sind alle so leidenschaftlich und vollkommen bei der Sache, dass sie sehr kritisch und auch sehr selbstkritisch sind. Ständig sagen sie dir, das stimmt nicht mit deinem Werk, aus diesem und jenem Grund. Ich habe das damals nicht als negativ empfunden, mehr als lustig. Aber es hat mich gelehrt die Kritik anderer Leute annehmen zu können, egal wie harsch sie formuliert ist, und offen dafür zu sein, dass andere gute Idee haben, die es sich lohnt weiter zu verfolgen. Und das ist genau das, was wir mit Linkin Park machen. Speziell mit diesem Album.
Ausgrenzung ist auch immer wieder ein Thema eurer Songs. Hast du dich als halber Asiat in deiner Jugend ausgegrenzt gefühlt oder sogar Rassismus gespürt?
Generell würde ich sagen: Nein. Aber natürlich habe ich an Kleinigkeiten schon gemerkt, dass ich manchmal unfair oder anders als andere behandelt wurde. Manche dachten, ich sei Mexikaner, manche hielten mich sogar für arabischer Abstammung. Deshalb haben manche in meiner Gegenwart rassistsiche Witze über Asiaten gerissen, weil sie nicht dachten, dass ich Asiat bin. Das war eigentlich das Schlimmste. Aber im Großen und Ganzen hat L.A. da ein sehr positives Klima, weil es so vielfältig ist und deshalb im Vergleich zu anderen Städten eine entsprechende Akzeptanz hat.
Wie wird sich das Fastkonzept von „A Thousand Suns“ auf die Live-Show auswirken? Wird es eine szenische Ausgestaltung des Albums geben?
Es wir sicher optisch aufgelöst. Aber mehr will ich nicht verraten. Auch weil wir gerade erst daran arbeiten. Es wird aber sicher keine Show, die sich nur darum dreht. Denn uns ist bewusst, dass das Album für viele unserer langjährigen Fans eine Herausforderung ist. Und diese Fans wollen wir auf keine Fall ignorieren, sondern ihnen im Gegenteil Respekt zeigen und ihnen auch alle Songs liefern, die sie von den anderen CDs her lieben.
Dann freuen wir auf eine Auflösung bei eurem Konzertbesuch in Linz.
Fact Box
Gründung: Mike Shinoda, der schon mit sechs Jahren klassischen Klavierunterricht hatte, und später Jazz spielte, lernte Gitarrist Brad Delson und Drummer Rob Bourdon in der High School kennen. Nach dem Abschluss holten sie sich 1996 den DJ Joe Hahn, der mit Shinoda Design studierte, den Bassisten David Farrell und Mark Wakefield als Sänger dazu und bastelten unter dem Namen Xero in Shinodas Schlafzimmer an Songs.
Durchbruch: Nachdem Wakefield, frustriert über den Mangel an Erfolg, 1998 ausgestiegen war, empfahl ihnen Jeff Blue, der Vize-Präsident des Zomba-Labels, Chester Bennington als Ersatz. Ein Umstand, der später immer wieder Gerüchte aufkommen ließ, Linkin Park seien eine gecastete Band. In dieser Besetzung nannte sich das Sextett zunächst Hybrid Theory und später (nach dem Lincoln Park in Santa Monica) Linkin Park. Nachdem sie aber ein weiteres Jahr bei Plattenfirmen nur Absagen bekamen, wandten sie sich nochmals an Jeff Blue, der ihnen 1999 einen Deal mit Warner Music verschaffte. Das 2000 erschienene Debüt-Album „Hybrid Theory“ verkaufte sich alleine in den USA 9,6 Millionen Mal. Die Hit-Singles „Crawling“ und „In The End“ sorgten für einen weltweiten Verkauf von 24 Millionen.
Nebenprojekte: 2005 veröffentlichte Mike Shinoda die CD „The Rising Tied“ mit dem Rapper-Kollektiv Fort Minor, weil er mit Linkin Park seine Liebe für HipHop nicht genügend ausleben konnte. Mit dabei waren Jay-Z, Common, The Roots und John Legend. Als gelernter Illustrator kümmert sich Shonida um die optische Gestaltung von Cover, Merchandising, Shows und der Website von Linkin Park. Er entwirft auch immer wieder Cover für andere Künstler und hatte schon zwei Solo-Ausstellungen seiner grafischen Werke in Los Angeles.
Joe Hahn arbeitet außerhalb der Band als DJ und auch als Regisseur. Er drehte die meisten Videos von Linkin Park, sorgte für die Special Effects in „X-Files“, gestaltete Clips für Xzibit und Alkaline Trio und hat sich kürzlich die Rechte für eine Neuverfilmung von „King Rat“ gekauft. 2004 veröffentlichten Linkin Park mit Jay-Z das zwei Millionen Mal verkaufte Mash-Up-Album „Colission Course“.
Charity: 2005 gründete die Band die Hilfsorganisation Music For Relief mit dem Ziel, Mittel für Opfer von Naturkatastrophen aufzutreiben und auf die Auswirkungen der Globalen Erwärmung aufmerksam zu machen. Die Organisation hat seither über 800.000 Bäume gepflanzt. Im Jänner 2010 brachten Linkin Park den Song „Not Alone“ als Benefizsingle für die Opfer des Bebens in Haiti heraus.