Working Hard For The Money

Studiengebühren, Skripten, Miete, Telefon, Essen, Saufen, Verhütungsmittel – wer soll das bezahlen? Während dies für einige Studierende dank fürsorglicher Elternbeziehungsweise Großeltern oder großzügiger Studienbeihilfen kein gröberes Problem ist, stellt es für viele andere einen täglichen Überlebenskampf dar. Ein Job muss her, komm e was wolle. Unser Kolumnen-Duo Sophia & Benjamin erzählen dieses Mal von ihren schrägen Joberfahrungen, außerdem haben wir einige Studierende und eine zuständige Expertin von der Arbeiterkammer um ihre Meinung zu dem Thema gebeten.

Das Fräulein für Alles

von Sophia

„Wenn dir dein Taschengeld nicht reicht, dann such dir halt einen Nebenjob!“, mit diesen Worten meiner Mutter hat alles angefangen. Mein erstes Geld hatte ich mir schon im zarten Alter von 13 Jahren mit „Kinderschminken“ auf Sommerfesten verdient, aber die hielten nie still, nervten und hatten oft so ausgefallene Wünsche wie „Dinosaurier“ und wollten nie ein Schmetterling oder ein Tiger sein. Mit siebzehn fing ich also an, bei einem Pizza-Service zu arbeiten, als Bäcker und Mädchen für alles.

Auf Hygiene wurde kein allzu großer Wert gelegt, „alles“ umfasste auch den Schimmel vom Eimer mit Bolognese-Sauce abzuschöpfen oder vom Käse abzuschneiden. Meine Chefin, eine Kettenraucherin mit Hang zu fettigem Haar, pflegte immer zu sagen: „Der Pizza-Ofen hat über 300 Grad, was da durchgeht, ist danach eh hin!“ Wenn gerade nichts los war, spielte ich mit den Fahrern, halbkriminellen Kickboxern aus der Nachbarschaft, Karten oder wir brachten Tadege, unserem ghanaeischen Kollegen, bayrische Begriffe wie „Holz vor der Hüttn“ oder „Oachkatzlschwoaf“ bei. Das war immer sehr lustig, bis zu dem Tag an dem Tadege meinte: „Wenn meine Frau nicht gehorcht, dann kriegt sie ein paar, dann versteht sie…“. Danach fand ich ihn nicht mehr so nett.

Irgendwann wurde es mir in dieser Pizza-Höllen-Küche zu eklig und ich fing an, Samstags und in den Schulferien bei einer Bäckerei zu arbeiten. Doch auch hier wurde mit Schimmel eher locker umgegangen und ich machte meinen ersten Ausflug in die Gastronomie. 2 Monate verdingte ich mich als Bedienung bei Wienerwald, dort musste ich eine lächerliche Kellnerinnen-Tracht tragen: Einen Faltenrock, dessen Farbgebung einer Gardine im Altenheim glich, dazu eine asymetrische weiße Schürze und eine Bluse, die mit einem Huhn bestickt war. Neben dem Chef war ich die einzige Deutsche im Lokal, das supermoderne Bonierungs-System, bei dem die Bestellung automatisch in der Küche ausgedruckt wurde, funktionierte genau gar nicht, da niemand dort die deutsche Sprache in Schrift beherrschte, so musste ich zur Küche rennen, Blickkontakt mit dem Koch suchen und ihm überdeutlich und langsam meine Bestellung zubrüllen.

Nüchtern betrachtet

Zweimal im Jahr habe ich auch auf einem Weihnachts- beziehungsweise Sommermarkt gearbeitet, wo ich gegrillte Maiskolben und Ofenkartoffeln verkauft habe. Lustig war es vor allem zur kalten Jahreszeit, da wir dann auch Glühwein im Angebot hatten, von dem ich selbst immer ein Stamperl irgendwo rumstehen hatte und quasi 3 Wochen dauerbeschwipst war. Musste ich das Geschirr in den Spülcontainer bringen, so traf ich dort oft einen Alt-Hippie mit dem ich mir einen Ofen teilte, der nichts mit Kartoffeln zu tun hatte. Beim Verlassen der dampfenden Waschküche in die klirrende Winterluft fuhr dieser doppelt so schnell ein.

Die letzten Monate bevor ich nach Wien gezogen bin, habe ich in der Münchner Philharmonie, einem großen Konzerthaus, beim Catering gearbeitet – die Lachsbrötchen und Sektreste durften sich die Angestellten am Ende des Abends mitnehmen, für meine allgemeine Armut also eine recht luxuriöse Zeit, in der meine Ernährung hauptsächlich aus diesen beiden Komponenten bestand.
In Wien ist es jobmäßig in einem Feinkostgeschäft nahe der Votivkirche weitergegangen (längst war die Taschengeld-Aufbesserung zur Überlebens-Sicherung geworden), dort nahm ich erstmal 5 Kilo zu, da neben – im Überfluss vorhandenen – Schmankerln wie Käse-Leberkäse und Krustenbraten andauernd Feinkostvertreter vorbeikamen, um mich mit französischem Nougat oder italienischem Rosmarin-Schinken zu mästen. Nach einem Jahr hatte ich genug und strebte eine kalorienärmere Nebentätigkeit an.

Nebenjobs lebenslänglich

Zusammen mit M., einem guten Freund und damals noch recht erfolglosem Schauspieler, übernahm ich dutzende Promotion-Jobs und versorgte ganz Wien inklusive meinen gesamten Freundeskreis mit Topfencreme, Actimel, Sojabohnen und ähnlichem. Einmal wurden wir zwei sogar nach Innsbruck geschickt, wo wir für Iglo in einem großen Einkaufszentrum Jonglier-Bälle verteilen sollten und weil das noch nicht doof genug war, mussten wir eigens bedruckte T-Shirts tragen, auf meinem stand „freches Früchtchen“ und auf seinem „junges Gemüse“. Da er aus Tirol stammte und nach Wien gegangen war um reich und berühmt zu werden, litt er umso mehr, als im Laufe des Tages unzählige Bekannte vorbei spazierten und ihn verhöhnten.

Einen Sommer lang machte ich mit M. Fahrgast-Befragungen bei der Schiffs-Anlegestelle am Mexikoplatz, doch nach zwei dicken, amerikanischen Rentner-Pärchen hatten wir meist keine Lust mehr und versoffen unser hart verdientes Geld in der Strandbar Hermann. Es gab auch ganz fürchterliche Promotion-Jobs, bei denen wir zu unchristlich frühen Zeiten an stark befahrenen Strassenkreuzungen Werbeprospekte verteilen mussten. Aus Angst im Halbschlaf überfahren zu werden, machte ich das aber nur zweimal. Besser war es im Manner-Shop am Stephansplatz, da konnte ich die meiste Zeit an der Kasse sitzen, musste ab und an ein paar Riesen-Geschenk-Boxen für arabische Scheich-Frauen packen und durfte urviel Süßes mit nach Hause nehmen.

Als ich schon DJ war und selbst Parties veranstaltete, hackelte ich nebenher bei einem Requisiten-und Eventmöbel-Verleih. Ganz ohne das Geld ging es auch nicht und so führte ich ein gesellschaftliches Doppelleben, so konnte es schon mal vorkommen, dass ich abends bei einer Veranstaltung auf einem Barhocker ein Glas Champagner schlürfte, den ich am Vormittag selbst frierend in einer dunklen Lagerhalle geputzt hatte.

Im Grunde habe ich fast alle Nebenjobs gehasst und tue es immer noch, doch leider war ich immer so schrecklich gut und geschickt, dass alle Chefs mich nur schweren Herzens gehen ließen und am liebsten lebenslänglich übernommen hätten. Ein Bekannter hat einmal zu mir gesagt: „Du verschwendest dein Talent hinter einer Wursttheke!“ Heute tue ich es hinter einer Käsetheke, doch nur noch zwei Tage die Woche. Bis heute fühle ich mich immer als würde ich eine perfekte Rolle spielen, vielleicht hätte ich doch Schauspielerin werden sollen?


 

Shaving Ryan’s Privates

von Benjamin

 

Bevor ich mit fast siebzehn Jahren nach endlosen Streitigkeiten, in deren Verlauf das eine oder andere antike Porzellanteil aus Urgroßmutters Erbe das Zeitliche segnen musste, endlich das elterliche Nest im schönen aber eher weniger aufregenden Oberösterreich verlassen durfte, um die große weite Welt – in meinem Fall Wien – zu erobern, stellte mir meine Mutter, die meinen Auszugswunsch als persönlichen Affront gegen ihre Person ansah, eine Bedingung: „Such dir einen Job! Wer mit 16 ausziehen kann, der kann auch arbeiten! Wenn du nur faul rumsitzt, bekommst du von uns nichts mehr!“

 

Selbstverständlich nahm ich diese bodenlos freche Drohung nicht wirklich ernst. Niemand konnte von mir verlangen, mein bequemes Leben als verwöhntes Architektenkind, das mit VISA Gold und unlimitiertem Zugriff auf Papas Konto aufgewachsen war, vollends aufzugeben, um mich ins gemeine Arbeitsleben zu stürzen, nur weil ich der Meinung war, die Luft im Norden Österreichs bekäme meinen Poren nicht gut! Um weiteren anstrengenden Diskussionen jedoch aus dem Weg zu gehen, beschloss ich, mich alibihalber vor den Computer zu setzen und so zu tun, als würde ich tatsächlich nach einer Arbeitsstelle Ausschau halten. Um bei eventuellen näheren Investigationen von Erziehungsberechtigtenebene aus „stichhaltige Beweise“ vorlegen zu können, dass ich mich wirklich bemüht hatte, schickte ich ein paar achtlos hingekotzte „Bewerbungsschreiben“ an die erstbesten Jobinserate, die mir die erstbeste Online-Jobbörse entgegenspuckte.

 

Big City of Dreams

Zu meinem eigenen Entsetzen befand sich kaum 72 Stunden später tatsächlich eine „positive“ Rückmeldung in meinem Postfach. Eine Buch- und Medienhandlung bittet zum Vorstellungstermin. Da Schauen ja nichts kostet, beschloss ich kurzerhand, den Termin wahrzunehmen und damit die Frau Mama ruhig zu stellen.

 

Einige Tage darauf fand ich – hübsch zurechtgemacht – besagten Buchladen nach längerem Suchen in einer kleinen Seitengasse. Noch vor Betreten des selbigen schwante mir Übles. Die äußerst geschmacklose Auslage blendete den Betrachter mit Unmengen von Regenbogenflaggen, Ratgebern zum Thema Analsex in den 70ern, Schwarz-Weiß-Fotografien nackter muskulöser Männerkörper und einem Bildband über die Emanzipation der lesbischen Frau des 21ten Jahrhunderts. Und meine Befürchtungen wurden von den zwei netten älteren Herrschaften im eher trist und simpel gehaltenen Geschäftslokal bestätigt: meine potentiellen (und allerersten) Arbeitgeber waren die Besitzer einer Buchhandlung, spezialisiert auf homosexuelle Inhalte. Dass Buchhandlung ein weit dehnbarer Begriff ist, war eine der ersten Lektionen, die man mir hier erteilte. Gut die Hälfte des Sortiments bestand schlicht und ergreifend aus Pornos. Ob von Buchdeckeln, aus Hochglanzmagazinen, von DVD- oder sogar teilweise noch VHS-Kassettencovern – von allen Seiten reckten sich mir Schwänze jeglichen Zustandes und jeglicher Größe und Couleur entgegen. War ich erst etwas überfordert, von meinem ländlichen Kleinstadtleben direkt und ohne Umschweife in der Welt des Pornographiehandels zu landen, arrangierte ich mich in Windeseile mit der neuen Situation. Ich war ein hormontriefender kleiner Schwuler vom Land, nicht ganz siebzehn Jahre alt, und mir wurde angeboten, tagtäglich in diesem Umfeld meine Zeit verbringen zu dürfen, gleichzeitig meinen Eltern eins auswischen zu können (SIE wollten schließlich, dass ich mich unter’s arbeitende Volk mische!) und dafür auch noch bezahlt zu werden?

 

Die Realität sah anders aus

Ich war im Himmel! Um meine Minderjährigkeit und die damit verbundene Tatsache, dass ich theoretisch diesen Laden nicht mal betreten durfte, ganz zu schweigen davon, dort ein Arbeitsverhältnis zu beginnen, wurde nicht viel Tam-Tam gemacht. Man sagte mir, ich würde ohnehin nur mit dem Sortieren der spärlichen Literaturbestände der „Buchhandlung“ beschäftigt sein. Die Realität sah natürlich anders aus: etwa zwei Drittel meines Tages war ich immer damit beschäftigt, die neuen Pornolieferungen entgegenzunehmen, auszupacken, zu erfassen und in die entsprechenden Regale zu sortieren. Die Coverbilder und Titel, die mir dabei ins Auge stachen, lösten verschiedenste Reaktionen bei mir aus, denen der Drang folgte, die Mitarbeitertoilette als Zufluchtsort aufzusuchen, um

 

a) zu onanieren. Hey, ich war in diesem gewissen Alter und wurde hier ständig sexuell reizüberflutet!

 

b) zu kotzen. Da wir nicht nur die schwulen, sondern auch die lesbischen Kunden zufriedenzustellen hatten, wurde ich von Zeit zu Zeit auch mit den haarigsten Muschis, die man sich vorstellen kann und Frauen, die erst auf den zweiten Blick als solche zu erkennen waren (Damenbart, kurzer Militärhaarschnitt und Schultern, breiter als die meines Vaters) konfrontiert.

 

c) zu lachen. Und damit meine ich nicht etwa ein verhaltenes Kichern oder ein beschämtes kurzes Auflachen, nein! Damit meine ich regelrecht  hysterische Lachkrämpfe, die auch mal gerne eine Viertelstunde  und länger andauern konnten. Hervorgerufen wurden diese Momente der ausgelassenen Erheiterung von Filmtiteln wie „Shaving Ryan’s Privates“, Gaylord of the Cockrings: The Fellowship of the Cringe“ und „Bareback Mountain“.

 

Beinahe zwei Jahre hatte ich nun dort schon gearbeitet und alles war gut. Bis zu diesem einen Tag. Dem Tag der Regenbogenparade. Meine Chefs hatten beschlossen, an der Prozession teilzunehmen und ich hatte nichts dagegen. Ehrlich gesagt fand ich es sogar ganz cool. Musik, Party, viele Leute, ein eigener großer Paradewagen. Letztendlich stellte sich heraus, dass unser „Wagen“ eine geliehene Rikscha war, die ich mit goldfarbenem Lametta und pinkem Krepppapier ausstaffieren durfte, um sie dann durch die halbe Stadt bis zum Ring fahren zu dürfen. Dass sich mitten auf der starkbefahrenen Kreuzung am Schwedenplatz die Lamettafäden in den Speichen verfingen und ein pink-goldenes Gefährt, besetzt mit drei kreischenden Homos (einer davon meine Wenigkeit) den Verkehr lahm legte, war nur der Anfang vom Ende. Den Rest des Tages verbrachte ich, eine aufgetranste Glitzerrikscha fahrend, bei 36 Grad inmitten einer riesigen ausgelassenen Menschenmenge. Meine Chefs saßen gemütlich auf dem Rücksitz und brüllten gelegentlich „Proud to be gay!“ durch ein Megaphon direkt in mein rechtes Ohr. Ich schwor mir, sollte ich diesen Tag überleben, würde ich auf der Stelle kündigen. Und ich stand zu meinem Wort. Noch am nächsten Tag reichte ich meine Kündigung ein. Kurz darauf begann ich mein Studium (Papa stellte seine Zahlungen natürlich nicht ein) und mir bleibt nur noch zu sagen: Work is for people who don’t know how to play Golf.