Romance... what is it all about?
Die Romantik ist nicht nur eine kulturgeschichtliche Epoche, der wir fade Schullektüren wie „Aus dem Leben eines Taugenichts“ verdanken. Nein, sie ist auch ein viel diskutierter Wesenszustand verliebter Zweibeiner. Eine Annäherung von zwei Seiten…
SOPHIA
Geh mir bloß weg mit Romantik. Zum Kotzen – der Scheiß. Wer braucht schon in tagelanger, nerdiger Schwerstarbeit aufgenommene Mixtapes mit handgemalten Covern? Wer wird schwach bei einer unerwarteten mitternächtlichen Liebeserklärung, während im Hintergrund die Pretenders laufen? Wem wird warm ums Herz, wenn er in Bangkok‘s China Town einen 20-Cent-Ring an den Finger gesteckt bekommt mit den Worten: „Ich finde, wir sollten jetzt bald mal heiraten!“?
Romantik ist etwas für Leute, die an die Liebe glauben, an das immerwährende Glück, an die absolut erfüllende Zweisamkeit. Schmetterlinge im Bauch und Sternchen in den Augen. Würg. Am anderen Ende der Welt vor einem kaputten Jeep stehen und heulend sagen: „Na, Hauptsache wir haben uns“? Pathetisch. Betrunken nachts durch die verkommenen Strassenzüge Havannas schlendern und gemeinsam „There‘s A Light That Never Goes Out“ von den Smiths singen? Überbewertet. Beim Sex weinen müssen, weil man so glücklich ist? Also echt…
Es war einmal ein sehr romantisches Mädchen, welches in blinder Verliebtheit Gedichte schrieb, Bilder malte und sich ein Herz auf den Arm tätowieren lies. Dieses Herz wurde durchbohrt mit einem spitzen Pfeil. Doch das Herz heilte. Wurde
immer wieder durchbohrt und nach einigen Verletzungen wollte es einfach nicht mehr richtig zusammenwachsen. „In der Liebe und im Krieg sind alle Mittel erlaubt“ besagt eine Redensart. Aber wenn man eine Streubombe aufs Herzbärchi-Land schmeißt, dauert es ziemlich lange, bis dort wieder lustige Lieder geträllert werden.
Natürlich ist es gut möglich, dass besagtes Mädchen auch selbst ein paarmal den Bogen in die Hand nahm und sich anschickte, Herzen zu erlegen. Vielleicht war ihr das dann nicht bewusst und sie hielt sich weiterhin für den romantischsten Menschen unter der Sonne.
Wir wollen daher nicht ausschließen, dass ein gutaussehender Prinz auf einem weißen Pferd die Berliner Sonnenallee herab geritten kommt und vor dem Balkon des Mädchens sein Lager aufschlägt, weil es natürlich mehrere Monate dauern wird, bis er sie mit seinen selbst geschriebenen Pop-Songs dazu bringt, ihr stark blondiertes Haar herabzulassen. Und wenn sie ihn dann erhört hat, und sie das erste Mal Sex haben, wer weiß, vielleicht weinen sie dann beide vor lauter Glück. Vielleicht heiraten sie eine Woche später auf einer griechischen Insel, bekommen total unkomplizierte, bildhübsche Kinder und werden 100 Jahre alt, bevor sie sich gemeinsam von einer schottischen Klippe stürzen, weil sie den Gedanken nicht ertragen können, dass einer ohne den anderen existieren muss. Wie romantisch!
Verdammt, wenn ich dieses Mädchen jemals auf der Straße treffe, dann hau ich ihr aufs Maul.
BENJAMIN
Adele sucht „Someone Like You“ und die ganze Welt fühlt und heult mit ihr. Supersympathisches Mädchen, tolle Stimme, sie leidet und weint – jeder versteht sie. Sogar ich. Und um hier gleich vorweg jedwedes Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Ich bin selbst ein großer Verfechter von überdramatisierten Emotionen, zur Schau getragener Depression und Zelebrierung von Weltschmerz. Vor allem, was zwischenmenschliche Beziehungen angeht.
Mein „Problem“, möchte man es denn so nennen, ist die für mich vollkommen unnachvollziehbare Auffassung der groben Masse, Adeles Musik und dergleichen mit dem Begriff „romantisch“ verbinden zu müssen. Mit „und dergleichen“ meine ich: zweisame Waldspaziergänge (wahlweise: Ausritte am Strand bei Sonnenuntergang), Candle-Light-Dinner bei klassischer Musik und/oder Rosenblütenblätter und Teelichter in Herzform drapiert am Wohnzimmerboden. Sehr plakative Beispiele, aber man versteht, was ich sagen will. Wenn man jedoch die Definition von Romantik in diversen Nachschlagewerken beachtet (allgemeiner
O-Ton: „Eigenschaft einer Sache oder eines Ereignisses, Menschen mit Liebe und Sehnsucht zu erfüllen“) und mit den vorhergehenden Beispielen in Verbindung setzt, muss ich leider kopfschüttelnd fragen „Warum?“
Ihren Exfreunden nachtrauernde britische Sängerinnen, Wanderausflüge in dunkle Wälder oder überteuerte Restaurantbesuche erfüllen mich NICHT mit Liebe und Sehnsucht. Höchstens mit dem Wunsch nach ein oder zwei Flaschen Rotwein, um dieser als öffentlichen Liebesbeweis getarnten Langeweile zu entkommen. Das nehme ich jetzt zum Anlass, meine Sichtweise auf dieses Thema in ein (eventuell) verständlicheres Licht zu rücken und meine persönliche Definition von Romantik
näher zu erläutern. Die Künstlerin Berivan Sayici, die sich mit ihren pornographisch angehauchten Performances, Installationen und Fotografien in den letzten Jahren einen Namen gemacht hat, überraschte mich vor einiger Zeit mit zwei ihrer Werke. Das eine war eine Lichterkette, angebracht in einem Darkroom, die den Schriftzug „Love Is Blind“ darstellte. Das andere bestand aus einer großen schwarzen, aufrecht stehenden Holzplatte mit einem ausgesägten Kreis in Schritthöhe. Einigen vielleicht bekannt unter dem Begriff „Glory Hole“. Dieses Ding an sich wäre nichts besonderes, der Titel jedoch, und damit auch die Bedeutung, den Berivan ihrer
Arbeit zuschrieb, beeindruckte mich über alle Maße – „Looking For Love/Waiting For Love“. Ich fühlte mich verstanden.
Aber was ist jetzt Romantik für mich? Ein sehr wichtiger Mensch, der mich in gewissen Hinsichten besser kennt als alle anderen, sagte dazu: „Du willst das Gefühl haben, dass jemand in deiner Welt, in deinem Leben ist. Und mit dir gegen den Rest der Welt kämpft. Und wenn ihr dabei umkommt.“ Superdramatisch. Just the way I roll! Romantik ist für mich gemeinsam viel zu viel saufen und sich gegenseitig beim Kotzen die Haare aus dem Gesicht halten. Dann trotzdem Sex haben ohne sich voreinander zu ekeln. Danach mitten in der Nacht händchenhaltend durch die Stadt laufen, weiter billigen Rotwein direkt aus der Flasche trinken, fremde Leute aus dem Bett klingeln und weglaufen und sich dabei unglaublich verrucht und rebellisch fühlen. Danach wieder Sex. Im Grunde läuft es darauf hinaus, alles miteinander zu teilen. Das Leben und die Liebe. Gemeinsam alleine sein. Sex, wird er mit der richtigen Einstellung angegangen, schafft genau das, diese Verbindung zwischen zwei oder mehr Menschen. Jeder für sich eine einzelne Person aber zusammen eine Einheit.