Bisschen Bi schadet nie
Zwei Mädels die betrunken rumknutschen, gehören in jede anständige Foto-Gallery einer wilden Partynacht. Nichts Außergewöhnliches, die meisten Jungs finden das sexy, die Girls auch – oder sie machen es nur, um die Jungs zu beeindrucken. Oder weil diese stinklangweilig sind.
Kaum ein Mann schreit laut: „Ihhhh, die sind sicher lesbisch!“, er fängt eher an über Strategien nachzudenken, wie er beide in sein Bett bekommen könnte beziehungsweise träumt zumindest die restliche Nacht davon. Doch wann siehst du schon mal auf herkömmlichen Feten zwei Hetero-Burschen wild miteinander rummachen? Schade eigentlich, da ich den Anblick durchaus auch anregend finde. Ich habe mich umgehört, ich bin nicht die Einzige.
Neulich erzählte mir meine Freundin Lucy aus Moskau von ihrem Exfreund, der ihr irgendwann einmal gestand, dass er während Single-Phasen ab und zu Sex mit seinem besten Freund hatte, einfach nur zur Befriedigung des Bedürfnisses. Ja, klar denkt der Leser, die wilden Russen kennen da nix, was sollen sie auch tun in ihren langen kalten Winternächten, aber auch David Bowie gestand schon vor Jahren in einem Interview, dass er als Teenager einfach alles gevögelt hat, was ihm so unterkam, egal ob Männlein oder Weiblein, nur um des Aktes willen.
Trotzdem sind sexuelle Kontakte zwischen Männern, die nicht offen schwul sind in unserer Gesellschaft immer noch ein großes Tabu, obwohl sie allüberall tagtäglich stattfinden. Warum eigentlich? Zu groß die Angst gleich als Schwuchtel abgestempelt zu werden? Viele machen in ihrer Pubertät Erfahrungen mit Rudelwichsen oder Fummeln, verdrängen diese aber dann so konsequent, dass sie selbst irgendwann glauben, es habe sich hierbei nur um einen feuchten Traum gehandelt. Es gilt das Motto: Don’t kiss and tell!
Auch mein schwuler Kolumnen-Partner Benny bestätigt mir regelmäßig, dass er Sex-Dates mit „Hetero“-Jungs hat, die sich nichts Schlimmeres vorstellen können, als dass jemand von ihrem Doppelleben Wind bekommt. Wieso können Frauen so viel offener damit umgehen? Weil sie keinen Penis besitzen und man nicht sofort an Penetration denkt, wenn man sich zwei Girls weichgezeichnet zusammen in den Laken vorstellt? Weil Jungs zu große Angst vor einem (angeblichen) öffentlichen Verlust ihrer Männlichkeit haben?
Natürlich gibt es Ausnahmen. Vor allem in der musikalischen Subkultur geht man wesentlich entspannter mit dem Thema um. Man nehme etwa Glam Rock, egal ob damals Bowie, Marc Bolan oder Iggy Pop, sie alle wurden gleichermaßen von Männern und Frauen begehrt, was bei heutigen Musikern wie Brian Molko, Jared Leto oder Patrick Wolf nicht anders ist. Oft tragen auch Drogen dazu bei, dass sexuelle Grenzen überschritten werden. MDMA mit seiner enthemmenden gleichfalls euphorisierend-stimulierenden Wirkung ist als sexueller Wegbereiter besonders zu erwähnen, inklusive anschließendem Depressionsloch (nicht umsonst gibt es ca. 20 meist deprimierende Rocksongs mit dem Titel Aftermath zum Thema).
So ist es einem Freund von mir passiert, dass er nach einer drogengeschwängerten Nacht nackt in einem Hotelbett neben dem irrsinnig gutaussehenden Gitarristen einer sehr bekannten New Yorker Indie-Rock-Band aufgewacht ist und sich zumindest erinnern konnte, dass einiges gelaufen war. Jener Musiker ist übrigens aus einschlägiger Klatschpresse allgemein hin dafür bekannt, das jeweils angesagte It-Girl der Stunde zu daten. Und ab und zu nimmt er halt einen hübschen Boy mit aufs Zimmer, wer kann es ihm verdenken? He will never kiss and tell.
Anscheinend brauchen auch Männer ihre kleinen (schlüpfrigen) Geheimnisse und solange sie sie mir erzählen, ist das in Ordnung…