Max Herre im Interview
Zurück nach vorne
Kurz vor der Jahrtausendwende haben Max Herre und sein Stuttgarter Freundeskreis deutschen Hip Hop kultiviert und mit ‚Esperanto‘ bewiesen, dass Musik eine grenzlose Sprache ist. Jetzt lebt und arbeitet der wortgewandte Sänger in Berlin, sein drittes und aktuelles Soloalbum ‚Hallo Welt!‘ rangiert ganz weit oben in den Charts. Max Herre ist zurück, serviert Rap mit Stil und freut sich darauf, endlich wieder nach vorne zu gehen.
Hallo Max, die Welt hat dich vermisst! Wo hast du dich seit deinem ‚geschenkten Tag‘ im Jahr 2009 herumgetrieben?
In Berlin. Hier konnte ich fleißig an den neuen Scheiben meiner reizenden Joy Denalane und der umwerfenden Newcomerin Y‘akoto schrauben – zusammen mit Samon Kawamura und Roberto Di Gioia. Im Trio sind wird das Produzententeam KAHEDI. Vor knapp eineinhalb Jahren haben wir dann angefangen, mein drittes Solo zu entwerfen. Jetzt bin ich hier und das Ding ist im Kasten!
Max Herre also wieder auf Sendung – welche Grundstimmung willst du ausstrahlen?
Positive Vibes, mein Sound passt hervorragend zum aktuellen Musikklima. Die Leute haben wieder Bock auf stilvollen Rap mit Ansage bzw. Aussage. Dabei kann ich vor allem live mehr nach vorne gehen – so wie früher.
‚Hallo Welt!‘ ist laut Pressetext ein Piratensender auf Albumlänge. Mit welchem Radioprogramm bist du aufgewachsen?
Stuttgart war in meiner Jugend nicht unbedingt gesegnet mit coolen Sendern. Erst 1996 hat das hörenswerte Freie Radio – damals unter der Mitwirkung von guten Freunden – seinen Betrieb aufgenommen. Trotzdem bin ich schon als 13jähriger wartend vor dem Empfänger gesessen, um beim Lieblingssong auf ‚Record‘ zu drücken. Kassette sei Dank! Jetzt vergleiche ich mit „Piratensender“ meine eigene musikalische Freiheit. Ich bin auf Sendung – wer Lust hat, schaltet ein. In punkto Text und Sound sind alle Einflüsse erlaubt.
Was hat der Weltempfänger auf deinem aktuellen Albumcover zu bedeuten?
Er ist ein Symbol für Vielfalt, Grenzenlosigkeit und Toleranz. Auf ‚Hallo Welt‘ ist jeder dazu eingeladen, ausgiebig auf Sendersuche zu gehen und Musik aus unterschiedlichsten Stilrichtungen zu empfangen. Hip Hop, Klezmer, Soul und vieles mehr…
Zum Beispiel deine erste Single mit Philipp Poisel: Steckt hinter ‚Wolke 7‘ die Lebensweisheit, dass alles, was hochkommt, auch wieder runter muss?
Ja, es geht um Zweifel, die im Spannungsfeld ‚Euphorie und Ernüchterung‘ entstehen. Als Musiker kenne ich diesen Gefühlszustand zu gut: Du nimmst heute einen Song auf, von dem du glaubst, dass er der Beste überhaupt ist. Am nächsten Tag schämst du dich dafür und stellst dein gesamtes Schaffen in Frage. Außerdem versuche ich in ‚Wolke 7‘ ein verwunderliches Phänomen unserer Gesellschaft zu beschreiben: Umso mehr Freiraum die Leute haben, über sich selbst nachzudenken, desto schlechter geht es ihnen. Obwohl es ihnen oberflächlich betrachtet an nichts fehlt…
Den Bezug zum Hip Hop hast du nie verloren, auf ‚Hallo Welt‘ ist diese Leidenschaft wieder deutlicher zu spüren bzw. zu hören. Ist rappen wie Fahrradfahren, oder hast du eine Eingewöhnungsphase für die neuen Aufnahmen gebraucht?
Ich vergleiche es lieber mit Skifahren: Du gehst hoch auf den Berg und scheißt dich erst einmal ordentlich an, so steil kommt dir die Piste vor. Dann nimmst du den ersten Schwung, bist noch etwas wackelig auf den Beinen, spürst aber beim zweiten und dritten Mal wie Gefühl und Sicherheit zurückkommen. Gelernt ist eben gelernt. So ist es mir zu Beginn der Studiosessions gegangen – kurzes Herantasten, dann ordentlich durchziehen. Tendenziell ist mir das Texten dieses Mal sogar leichter gefallen, weil ich beim Vorgängeralbum ‚Ein geschenkter Tag‘ meinen Schreibstil schärfen konnte. Jetzt brauche ich weniger Worte, um auf den Punkt zu kommen bzw. zu rappen.
Die Orsons, Cro und Konsorten setzen Stuttgart wieder fett auf die deutsche Raplandkarte. Zufrieden mit deinen Nachfolgern und bringen sie dir den nötigen Respekt entgegen?
Zweimal großes Ja! Mir ist es natürlich eine sehr große Freude, wenn ich mitverfolgen darf, wie die Jungs aus meiner Heimatstadt richtig durchstarten und Hip Hop in Stuggi bzw. weit über die Grenzen hinaus wiederbeleben. Miteinander pflegen wir ein exzellentes, generationsübergreifendes Verhältnis und es macht mich klarerweise Stolz, wenn ich von den jungen Wilden als Vorbild genannt werde.
Sido halten wir in Österreich fest, Bushido ist jetzt in Berlin mit Politik beschäftigt – bist du froh, dass wieder Platz für mehr Niveau da ist?
Niveau ist relativ! Wenn etwas von Herzen kommt – und da bin ich mir zumindest beim Entertainer Sido sicher – hat es auch seine Daseinsberechtigung. Ich bin davon gelangweilt, wenn Gangsta Rap und Conscious Rap gegeneinander ausgespielt werden sollen. Warum? Hauptsache keine Monokultur – Hip Hop steht wieder auf mehreren Säulen.
Seit 1999 zählt ‚Esperanto‘ zu den wichtigsten Platten des deutschen Sprechgesangs – welche Beziehung pflegst du zu deinem alten Freundeskreis?
Wir waren jung, zum richtigen Moment am richtigen Ort und haben mit zwei Langspielern deutschen Hip Hop entscheidend geprägt bzw. nach vorne gebracht. Der Bandname ist nach wie vor Programm. Ich denke gerne an die gemeinsame Zeit zurück und trage das Erbe mit großem Respekt auf meinen Schultern – weil mir der Freundeskreis nach wie vor viele Türen weit öffnet.
Unter anderem die Tore zur großen Konzerthalle in der Wiener Arena. Wir freuen uns auf Max Herre am 19. Oktober!