Michael Kiwanuka im Interview
Von Null auf Hundert
Weil er als engagierter Gastmusiker einmal nicht bezahlt wurde, begann Michael Kiwanuka eigene Songs zu schreiben. Zwei Jahre später gewann der schüchterne Londoner dafür die renommierte ‚Sound Of 2012‘-Liste der BBC – vor Frank Ocean oder Skrillex. Jetzt bringt der 25jährige seinen sanftmütig schnurrenden Retro-Folk-Soul-Jazz-Sound zum ersten Mal live nach Österreich, tritt am 16. November im Wiener Chaya Fuera auf. VOLUME hat er vorab verraten, warum ihm der Sieg der BBC-Liste wider Erwarten keine Probleme gemacht hat.
An einem Donnerstag, nicht einmal 24 Stunden vor der offiziellen Verlautbarung, verständigten die BBC-Verantwortlichen Michael Kiwanuka von seinem Erfolg – das Gespräch endete mit den Worten ‚Mach dich bereit!‘. In seinen Ohren klang das fast wie eine Drohung. Denn da hatte der in London geborene Sohn ugandischer Flüchtlinge noch Bedenken: ‚Ich wusste, das bedeutet höchste Erwartungen des Publikums‘, sagt er im Gespräch mit VOLUME. ‚Und je mehr Leute deine Musik hören können, desto mehr Leute können sie nicht mögen. Aber mittlerweile bin ich total glücklich, dass ich gewonnen habe. Denn von da an ging es von Null auf Hundert. Vorher kannte keiner meine Musik oder meinen Namen, danach tat das aber innerhalb von zwei Monaten die halbe Welt. Außerdem hatte ich mein Album zu dem Zeitpunkt schon fertig, war damit rundum zufrieden und hatte so nicht den Druck, den andere Gewinner kriegen, die vielleicht erst eine Single gemacht haben. Als es für mich aufgrund des ersten Platzes mit den Interviews und den Reisen losging, wurde mein Album schon gemastert. Ich musste die Studioarbeiten nicht auf Druck zwischen Promotion- und Interviewtermine quetschen.‘
Mit dem Gewinn der heurigen ‚Sounds Of‘- Liste folgt Kiwanuka Stars wie 50 Cent, Keane, Adele oder Mika. Wie sie hat er sich schnell an einen Lebensstil gewöhnt, bei dem er ‚immer jemanden an der Seite hat, der mir sagt, wo es als nächstes hingeht‘. Und Schuld an all den Veränderungen ist Otis Redding. ‚Ich habe ein Musikmagazin gekauft, in dem eine CD mit lauter alten Soulklassikern beigelegt war. Ein Song darauf hieß ‚Sittin‘ On The Dock Of The Bay‘ – ich war sofort süchtig danach. Ich liebte Reddings Stimme, den gefühlvollen Sound und auch die restlichen Tracks auf der Compilation. Denn bis dahin kannte ich nur Jimi Hendrix, Nirvana, Blur und Oasis.‘
Da war Kiwanuka 15, hatte schon seit ein paar Jahren Gitarrenunterricht genommen. Aber die Liebe zu den sechs Saiten war nicht mit den oben genannten ersten Idolen gekommen, sondern mit den älteren Jungs in seiner Schule. ‚Ich sah, wie sie Gitarrenkoffer rumschleppten, sah sie in der Schule Konzerte spielen und dachte, das schaut cool aus, das will ich auch probieren. Und erst als ich eine Gitarre hatte, entdeckte ich die Sounds, die die Könner da rausholen. Denn meine Eltern hatten keine Platten, zuhause gab es nie Musik.‘
Eine schöne Kindheit habe er trotz anfänglicher Soundabstinenz gehabt. Obwohl die Saat für die Sehnsucht, die sich jetzt in seiner Musik spiegelt, schon damals gesät wurde. Ständig hatte Kiwanuka als Farbiger, der Gitarre spielt und neben Soul auch Folk mag, das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. ‚Einmal sah mich jemand im Bus mit meiner Gitarre, ein schwarzer Jugendlicher. Er half mir den Koffer einzuladen und sagte ‚Ist das nicht etwas, das nur Weiße tun?‘ Das war sicher nicht rassistisch gemeint, aber für mich war’s so, als bräuchte ich von irgendwem eine Erlaubnis, das zu machen, was ich liebte.‘
Deshalb ist die Suche nach Erfüllung, nach dem richtigen Weg und nach Selbst-verwirklichung jetzt das zentrale Thema seiner Songs. ‚Darum geht es ja im Leben, oder? Dass man an einen Platz oder in einen Zustand kommt, wo man mit sich und der Welt im Reinen ist, inneren Frieden spürt.‘ Kiwanuka spürt ihn jetzt immer öfter, betont, wie glücklich er mit der Entwicklung seines Lebens ist – obwohl er nie Songwriter werden wollte. ‚Ich habe überhaupt erst mit über 20 Jahren angefangen, meine eigenen Songs zu schreiben‘, erklärt er. ‚Ich habe Musik studiert, aber nie daran gedacht, selbst im Rampenlicht zu stehen. Ich wollte Gitarrenlehrer werden oder als Studiomusiker spielen. Doch dann habe ich bald erkannt, dass ich so nie den Sound spielen kann, den ich mag.‘ Als Aufträge bekam Kiwanuka nur Gigs für Rapper und R&B-Acts, verschwieg in der Szene, dass er gern Bob Dylan und Neil Young hört, ging nach den Gigs heim, um deren Platten aufzulegen und sich zu fragen: ‚Was mache ich da eigentlich? Ich spreche wie sie und agiere wie sie, aber das bin eigentlich nicht ich.‘
Die Wende kam mit einem Engagement für Chipmunk: ‚Aus irgendeinem Grund wollte mich sein Manager einmal nicht bezahlen. Da dachte ich, das ist echt schlimm: Nicht bezahlt werden für Musik, die ich noch nicht einmal mag! Ich rief Freunde an und sagte ihnen, dass ich jetzt solo loslegen werde. Auf einmal hatte ich keine Angst mehr davor.‘ Hilfe kam von vielen Seiten: Paul Butler von The Bees produzierte ‚Home Again‘. Adele holte Kiwanuka ins Vorprogramm ihrer Tour von 2011. Und den Song ‚Lasan‘ konnte er mit Dan Auerbach von The Black Keys aufnehmen. ‚Als sie ‚Brothers‘ rausbrachten, wurde ich ein Fan‘, sagt er. ‚Danach besorgte ich mir alles, was sie bis dahin gemacht hatten. Und als mein Manager sagte, Dan wäre interessiert daran, mit mir zu arbeiten, war ich natürlich überglücklich. Aber auch sehr nervös. Denn The Black Keys waren da schon richtig groß. Und ich fange gerade erst an.‘
Trotzdem wird Kiwanuka schon jetzt permanent mit den Großen der Soul-Musik, mit Marvin Gaye, Bill Withers und Otis Redding vergleichen. Ein Kompliment sei das, sagt er – und meint es auch so. Die Arroganz anderer Newcomer, die sich sofort für unvergleichlich halten, kennt er nicht: ‚Es stimmt ja, dass mich diese Musiker stark beeinflusst haben. Wäre das nicht so, würde mich der permanente Vergleich vielleicht stören. Aber ich kann nicht verleugnen, dass ich von ihnen gelernt habe. Und zu Beginn jeder Karriere kommen die Einflüsse, die einen zum Musikmachen bewegt haben, stärker durch als später, wenn man sich weiterentwickelt hat. Ich glaube, solche Vergleiche werden mich erst stören, wenn sie das nach vier oder fünf Platten immer noch sagen. Wenn ich es dann immer noch nicht geschafft habe, mir eine eigene Identität aufzubauen. Aber ich denke, die Leute werden mit jedem weiteren Album ein Stück mehr von mir kennen lernen und entdecken.‘