Zwei Herzen, ach, schlagen in ihrer Brust. Das betonten Deichkind zuletzt fast ununterbrochen. Die Ökos und Grübler der Band sammeln sich in der ‚Dinkelfraktion‘, hedonistische Exzesse werden bei den ‚Kapitalos‘ angeschrieben. Konsumkritik einerseits, Saufen, Ficken, Burger King andererseits. Ein sexy Gegenüber von Kopf und Bauch, eine elektrisierende Reibefläche für Boulevard und Feuilleton – auch Diskurs-Garant für mehr als anderthalb Alben (Zeitrechnung ab ‚Limit‘)?
Beobachtet man die allgegenwärtige Gepanntheit anlässlich von ‚Arbeit Nervt‘, kann die Antwort nur Ja lauten. Philipp, DJ Phono, Sebi, Porky und Ferris MC, die aktuelle Besetzung dieser riesigen Projektionsfläche, haben den Nerv des modernen Provokationspops noch präziser getroffen als die homoprüde Katy Perry.
Spezialisiert auf uneindeutige Eindeutigkeiten, überhöhen sie die Idee von Partydekadenz, Substanzmissbrauch und Egozentrismus so weit, bis ein gemeinsamer Nenner entsteht für das hier unmittelbar angesprochene Prekariat und den Ironie-affinen Popversteher auf Distinktionssuche.
Studenten unter der Bierdusche, Hartz IV-Empfänger im Promille-Eskapismus. Ob zum Prollgehabe intellektuelle Distanz aufgebaut wird oder nicht, ist memetisch gar nicht weiter relevant. Das Deichkindsche Schisma sättigt so oder so unterschiedlichste Gemüter.
Denn es lässt sich auch unter Kritikern vortrefflich streiten: Trifft die Datenparanoia in ‚Ich Und Mein Computer‘ nicht exakt die offenen Wunden der digitalen Kultur? Hat nicht noch der überzeugteste Kapitalismus-Fürsprecher mitunter ‚kein Bock auf Arbeit‘? Das emphatische Konzept strahlt auch auf die Konkurrenz ab, siehe etwa Prinz Pis jüngste Lagerverschiebung Richtung Elektronica.
Dessen ungeachtet steuern Deichkind damit natürlich offenen Auges in die Sackgasse. Zum Partyfilm gibt es kein alternatives Ende – musikalisch wie inhaltlich. Die von Kollegin Fromm anlässlich des Vorgänger-Erfolgs attestierten ‚erzkonservativ stampfenden Elektrobeats‘ sind auch 2008 Status quo.
In der Essenz gründet der Sound nach wie vor auf halblinken Idiomen und zitatschwangeren Auflistungen (Jeans Team, Gary Glitter) über günstigem 90er-Techno, Ed Banger-Bratz und Miami Bass-Versatz. Immer wieder drohen die vermeintlich anti-bourgeoisen Vorträge in Grunzrap zu verfallen, überschritten wird die Grenze allerdings nur durch Ferris MC in ‚Hovercraft‘.
Interessant geraten dann jene Tracks, die den stumpfen Weg zu verlassen wagen. So macht der Vocoder-Elektropop aus ‚Luftbahn‘ alles ein Stückchen richtiger als das kurze Webtrash-Leuchten Alexander Marcus, und der Aussteiger-Tagtraum ‚Urlaub Vom Urlaub‘ überrascht als Talking Heads-Reminiszenz. Insgesamt tritt der Klang im Unterschied zu ‚Aufstand Im Schlaraffenland‘ zugunsten von Catch Phrases wieder deutlicher in den Hintergrund.
‚Kein Mensch ist illegal, schon gar nicht wenn er breit ist‘, wissen die Hamburger. ‚Bullen, Bonzen, Banken, alle müssen tanken‘ lautet ihr Kommunismus der Abhängigkeit. Ist es zynisch, im gleichen Absatz eine ‚internationale Säufersolidarität‘ zu beschwören? Von solch utopischer Gemeinschaft dürften die Suchtkranken auf dem Bahnhofsplatz schließlich nur träumen. (laut.de)