Es war einmal HipHop 12 - Rappin' and Rockin' the House
War Rappers Delight wirklich der erste Rap auf Platte? Woher kommt die Idee des MCs und des rhythmischen Sprechgesangs über die Musik der DJs? Diesmal werden wahre Schätze gehoben und die Vorbilder der Rappergilde zu Tage gefördert!
Langsam, aber sicher nähern wir uns HipHops Oldschool, die mit den ersten Plattenaufnahmen 1979 beginnt. In dieser Ära treten die Rapper aus dem Schatten der DJs und verdrängen sie aus dem Rampenlicht. Meist wird der Song „Rappers Delight“ von der Sugarhill Gang al
s erstes Beispiel von (HipHop-)Rap auf Platte angeführt. Es ist jedoch schon einmal falsch, dass es der erste Rap auf Vinyl ist, der aus der HipHop-Kultur hervorging und es ist schon gar nicht der erste aufgezeichnete Rap überhaupt. Um diese beiden Behauptungen zu beweisen, werden mögliche Vorläufer des HipHop-Rappers vorstellen.
Sicher ist, dass es rhythmischen Sprechgesang schon lange gab, bevor er durch HipHop als Rappen bekannt wurde. David Toop etwa zieht Verbindungen bis zurück zu
den Griots. – Griots sind westafrikanische Sänger, Dichter und Musiker, die in einer bestimmten Form – ähnlich dem Rappen – Preisgesänge oder Geschichten vortragen und deren Wurzeln bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgt werden können. Vergleichbar sind sie mit den hierzulande im Mittelalter verbreiteten Trobadors.
Wir gehen natürlich nicht ganz so weit zurück, aber bereits 1929 gab es eine Aufnahme, die einen möglichen Vorläufer des Rappers bzw. mehr noch des HipHop-MCs präsentiert. Der Song beinhaltet zwar noch keinen Rap, aber zeigt einen der ersten schwarzen MCs am Werk, Cab Calloway
. Calloway war Jazzsänger und Bandleader. Durch seine Position nahm er eine ähnliche Rolle ein wie die ersten MCs in den 70er Jahren. Er war das Bindeglied zwischen den Musikern, im HipHop-Kontext der DJ, und dem Publikum. Dadurch ergeben sich einige Parallelen. Einerseits sang bzw. sprach er in manchen seiner Texte auch über die Musiker und die Musik selbst, andererseits interagierte er in Form von „Call and Response“ mit dem Publikum – so wie es MCs und Rapper auch heute noch tun. Statt „Say Ho!“ hieß es bei ihm eben „Heidi heidi heidi ho!“. Aber überzeugt euch selbst von Calloways MC Qualitäten im Song „Minnie the Moocher“.
Das älteste auffindbare Tondokument mit einem eindeutigen Rappart, stammt vom Golden Gate Quartet. Das Golden Gate Quartet wurde 1934 gegründet und besteht – in wechselnder Besetzung natürlich – bis heute. Es gehört zu den bekanntesten Interpreten von Gospelmusik – in der ebenfalls häufig „Call and Response“ -Teile auftreten. Das vorgestellte Lied ist jedoch mehr in der Barbershop-Tradition verankert und hat deshalb keinen solchen Teil – dafür aber einen
eindeutigen Rappart. Es wurde 1937 aufgenommen und stellt eine Interpretation des Traditionals „The Preacher and The Bear“ dar. In dem 1904 von George Fairman geschriebenen Stück geht es um einen Prediger, der an einem Sonntag zur Jagd auszieht. Am Heimweg begegnet er einem Grizzlybären und kann gerade noch auf einen Baum flüchten. Dort betet er zu Gott, dass dieser ihm, ähnlich wie Daniel aus der Löwengrube oder Jona aus dem Magen des Wals, aus dieser misslichen Lage befreien solle. In der Variante des Golden Gate Quartets kann der Prediger letzten Endes flüchten. Dieses Lied wird von Interpreten meistens gesungen. Im Gegensatz dazu wurde es von
afro-amerikanischen Gruppen jedoch oftmals in einer Form des Sprechgesangs vorgetragen, der fast ident mit dem Rapstil der Oldschool Rapper ist. Ein kreativer Kopf hat diesen Song außerdem mit der Musik von Rappers Delight unterlegt, wodurch die Ähnlichkeit des Rapstils noch offensichtlicher wird. Also das erste Video stellt die Originalaufnahme des vielleicht ersten Raps auf Platte dar, das zweite Video zeigt den Rappers Delight -Remix von The Golden Gate Quartet mit „The Preacher and the Bear“.
Die HipHop-Kultur war von Anfang an von einer Wettkampfmentalität geprägt. Nicht nur Breakdancer traten in Battles gegeneinander an, auch unter Rappern war es üblich, sich selbst möglichst gut darzustellen und einen
fiktiven oder realen Gegner schlecht zu machen. Im HipHop-Jargon nennt sich dieses Schlechtmachen Dissen, abgeleitet vom englischen Wort „to disrespect“, also jemanden Respekt absprechen bzw. verächtlichen behandeln. Diese Form des sprachlichen Schlagabtausches ist aber natürlich auch keine Neuerfindung der Rapper. In der afroamerikanischen Gemeinschaft gibt es eine lange Tradition, die als „Signifying“ oder „The Dozens“ bekannt ist. Ein populäres Beispiel für einen Meister in diesem Fach stellt die Boxlegende Muhammad Ali dar. Dieser war für seine spöttischen Reden bekannt, in denen er sich als den Größten ausrief und seinen jeweiligen Kontrahenten schon vor dem eigentlichen Kampf mit Worten niederschlug. Zu George Foreman sagte er etwa: „Ich sah George Forman Schattenboxen. Der Schatten gewann.“ Oder zu Joe Frazier meinte er nur:
„Joe Frazier ist so hässlich. Wenn er weint, kehren die Tränen um und fließen auf der Rückseite seines Kopfes hinunter.“
Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Ali von vielen MCs als Vorbild genannt wird und er sich deshalb auch einen Platz in dieser Ausgabe der Kolumne verdient hat.
Ein musikalisches Pendant zu Alis Sprücheklopferei stellt Bo Diddley dar. Bo Diddley ist ein Paradebeispiel des Angebers und wird von manchen sogar als der Urgroßvater des
Rap genannt. Diddleys erste Veröffentlichung war eine Single mit der Machohymne „I am a man“ auf der einen Seite und „Bo Diddley“, einer Hymne auf sich selbst, auf der anderen. In dem Song „Say Man“ aus dem Jahr 1959 spielen er und sein Percussionist Jerome das eben erwähnte Sprachspiel „The Dozens“. Es wird zwar nicht gerappt, sondern gesprochen, aber der Inhalt, das gegenseitige Sticheln – also Dissen – und die Art des Vortrags wirken wie Blaupausen für die nachfolgenden MCs.
Wie bereits erwähnt, waren auch jamaikanische DJs und ihr Stil des Rappens, das sogenannte Toasting, ein wichtiger Einfluss für die künftigen MCs. Die jamaikanischen DJs wiederum wurden von amerikanischen R
adio Disc Jockeys inspiriert. Dass dem so ist, macht das folgende Lied deutlich. Es wurde 1965 von Sir Lord Comic and his Cowboys veröffentlicht und gilt als erstes auf Platte gepresstes Beispiel des Toasting. Wie der Titel „Ska-ing West“ bereits verrät handelt es sich um einen Ska-Song. Über die klassische Ska-Musik toasted Sir Lord Comic einige kurze Phrasen, die offensichtlich aus dem Repertoire der amerikanischen Radio DJs stammen. Zum Beispiel der erste Satz: „Come on you cats, get hep“ klingt nicht sonderlich nach jamaikanischen Slang, sondern ist eindeutig dem Jargon der Radio DJs der damaligen Zeit entnommen.
Das für heute letzte und vielleicht markanteste Stück mit einem Rap stammt von Pigmeat Markham. Mister Markham war eigentlich Comedian, produzierte aber auch einige Songs. Sein beliebtester Charakter war der Richter und das folgende Lied von 1968 heißt dementsprechend auch: „Here
comes the judge“. In einer Zeit als Rassentrennung in Amerika noch weitläufig verbreitet war, war es für einen afroamerikanischen Entertainer kaum möglich ein größeres weißes Publikum zu erreichen. Dass es Markhams Single „Here comes the judge“ bis in die Charts geschafft hatte, verdankte er dem damals bereits erfolgreichen Sammy Davis Jr. Dieser hatte in einem Fernsehauftritt Markhams „Here comes the judge“- Spruch verwendet und ihm damit den Weg zu einem größeren Publikum geebnet.
Das Lied selbst besteht aus einigen kurzen Sketches und – was für uns von besonderem Interesse ist – einem klassischen Rappart über einen funkigen Beat. Also ein Jahrzehnt vor den ersten HipHop-Platten rappt hier Pigmeat Markham in bester Oldschool Manier über einen Funksong!
Nachdem wir mittlerweile die normale Länge der Kolumne gesprengt haben, möchte ich meine Ausführungen zu den Rap-Vorbildern hier unterbrechen und sie nächste Woche weiterführen, wenn es wieder heißt: „Es war einmal HipHop“.