Schöne schlimme Welt
Ja, Panik im Interview
Ja, Panik bezeichnen eine Großstadt wie Berlin nicht als Metropole, sondern als ‚Hauptquartier‘. Worte wie ‚Heimat‘ lassen sich aus ihrem Wortschatz grundsätzlich streichen. Dass Andreas Spechtl und Co gebürtig aus dem Burgenland stammen, ist total egal. Wer das neue Album ‚Libertatia‘ gehört hat, weiß warum: Grenzen werden aufgebrochen und Nationen zusammengerückt. Da wird Bob Marley zitiert und die Staatsfinanzen tanzen Swing. Offensichtliche Probleme unseres modernen Europas treffen auf blinde Euphorie, die Gospelchöre, Saxofone und beschwingte Melodien mit sich bringen. Libertatia – die schönste Scheinidylle im Jahr 2014.
Erzählt uns zum Einstieg doch bitte, wie ihr zum Trio geschrumpft seid?
Andreas Spechtl: Thomas (Anm. d. Red.: Thomas Schleicher, ehemaliger Gitarrist) ist ja schon länger nicht mehr dabei. Für ihn war es schon nach dem letzten Album klar, dass er wieder nach Wien ziehen will. Und Christian (Anm. d. Red.: Christian Treppo, Klavier und Gesang) hat sich vor den neuen Albumaufnahmen dazu entschieden, doch noch sein Studium abzuschließen. Das macht er jetzt im schönen Dublin.
Ihr habt euch mit „Libertatia“ eure eigene kleine Idylle gezimmert. Das hört sich wie ein musikalischer Frühling an: eingängiger, harmonischer, vielleicht auch poppiger. Wie lange und wo habt ihr daran gefeilt?
Ein ganzes Jahr haben wir an der Platte gearbeitet. Vorbereitet wurden die Songs hauptsächlich in unserem Proberaum in Berlin, aufgenommen dann mit Tobias Levin im Hamburger Electric Avenue Studio. Dort haben wir fast den kompletten letzten Sommer verbracht. „Libertatia“ ist übrigens die erste Platte von Ja, Panik, die nicht im Winter aufgenommen worden ist.
In eurem Manifest beschreibt ihr „eine neue Politik“. Welche Veränderungen wären das genau?
Wir sprechen von einer neuen Politik jenseits der erfundenen Gemeinschaften – womit wir die alte Dreieinigkeit von Staat, Nation und Territorium meinen. Es geht uns aber eher darum, das vereinte Europa als eine neue Art von Blut und Boden Ideologie zu entlarven, als irgendeine alternative Gemeinschaft ins Leben zu rufen. Im Endeffekt verbindet uns das „Auf der Welt sein“ – und mehr nicht.
Staatsfinanzen und ‚EZB‘ zum Tanzen bringen – eine schöne Phrase. Sind diese Utopie und der beschwingte Optimismus stärker als jede noch so harte Punkparole?
Dieses Stück ist als Paraphrase des alten Karl Marx Bonmots zu verstehen: „Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!“
Über Pop und Erotik wurde letztes Jahr viel diskutiert – ein Stichwort: Miley Cyrus auf der Abrissbirne. Ihr zieht euch auch ohne Erfolgsdruck bzw. Sensationsgeilheit nackig aus: Welche Erinnerung habt ihr an euren heißen Videodreh in der Badewanne zum Titelsong „Libertatia“?
Es war gar nicht so heiß, eher kühl. Ansonsten ging das alles recht schnell, nur an der verdeckenden Mischung aus Shampoo und Badeschaum mussten wir etwas länger arbeiten…
Im Song „Radio Libertatia“ besitzt Frontmann Andreas Spechtl eine verblüffende Ähnlichkeit zu Falco: Wie wichtig war Johann Hölzel für Ja, Panik?
Lustig, er hatte bei früheren Platten wesentlich mehr Bedeutung für uns. Andererseits hat ja quasi jedes gute Stück von Falco irgendwas von David Bowie geklaut – der wiederum war dieses Mal sehr wichtig für uns.
„Libertatia“ signalisiert eine gewisse Aufbruchsstimmung – fühlt ihr euch inzwischen wohl in Berlin?
Ja! Es hat lang gedauert, um endlich anzukommen. Aber mittlerweile fühlen wir uns alle recht wohl. Wir begreifen die Stadt aber eher als Hauptquartier und weniger als fixes Zuhause.
Wir freuen uns, Ja, Panik heute 25.01.2014, im alten Hauptquartier begrüßen zu dürfen – in Wien zum FM4 Geburtstagsfest.