Der SOHN aus dem Nichts
SOHN im Interview
In der westlichen Gesellschaft regiert die Selbstvermarktung. Dafür gibt man so gut wie alles über sich preis. Fotos aus allen möglichen Lebenslagen werden auf Facebook und Twitter gestellt – egal, ob im Krankenhaus, am OP-Tisch oder vorm Traualtar. Ich teile, also bin ich – ‚Freunde‘ und der Geheimdienst lesen mit. Aber was macht man nicht alles für ein paar Likes alias Sekunden der Aufmerksamkeit.
Im Musikbusiness geht man immer öfters einen anderen Weg. Alben werden spontan und ohne großes Trara veröffentlicht, wie das zum Beispiel erst kürzlich bei Beyonce der Fall war. Andere Künstler wollen hingegen gar nicht erst an die Öffentlichkeit treten und sorgen damit für wüste Spekulationen. Dieser Trend zur Geheimniskrämerei ist mittlerweile eine gefragte Strategie im Rennen um Aufmerksamkeit. Künstler tauchen quasi aus dem Nichts auf, scheinen keine Vergangenheit, keine Identität, keine Persönlichkeit zu haben. Den Tintenkiller hat auch der in England geborene und seit Jahren in Wien lebende Toph Taylor in seiner Biographie angesetzt. Natürlich ist SOHN, so nennt sich der stattliche Thirtysomething nun, nicht vom Himmel gefallen. Über seine Musikervergangenheit will er nur nicht reden. Auch gut. VOLUME hat mit ihm stattdessen über ‚Tremors‘, sein in Kürze erscheinendes Album, das Konzept der Geheimniskrämerei und seinen Lebensmittelpunkt gesprochen.
Deine musikalische Vergangenheit wird in der aktuellen Künstlerbiografie ausgespart. Warum?
Ich will nichts verstecken, aber es geht mir darum, dass die Gegenwart mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun hat. Für mich hat das, was ich vor SOHN gemacht habe, heute keine Relevanz mehr. Klar, diese Zeit hat mich geprägt und wird auch immer Teil meiner musikalischen Evolution und persönlichen Veränderung sein. Aber sie ist mir fremd geworden, diese Vergangenheit. So, als wäre sie nie passiert. Deshalb auch SOHN. Dieser Bandname soll ausdrücken, dass ich ein SOHN meines früheren Ichs bin.
Ist diese Geheimniskrämerei im Musikbusiness nicht bereits ein inflationäres Konzept – Beispiele dafür gibt es bereits genug.
Stimmt, derzeit versuchen es viele Musiker mit der „Weniger ist mehr“-Methode. Sie wollen sich damit interessant machen, mit einem Mysterium umgeben. Für mich war das aber kein Mittel zum Zweck. Ich mache daraus ja kein Geheimnis, wer ich bin. Es gibt genug Fotos, auf denen mein Gesicht zu sehen ist. Auch in Videos verstecke ich mich keineswegs hinter einem Vorhang. Es ist einfach das Konzept von SOHN, das die Musik in den Vordergrund stellen möchte.
Wann und wie ist das nun vorliegende Album ‚Tremors‘ entstanden?
Mein Manager und ich haben uns dafür entschieden, den ersten Song ‚Oscillate‘ via Soundcloud zu veröffentlichen und dann an diverse Musikblogs zu schicken. Das war ein Art Test für uns. Wir wollten sehen, ob es veröffentlicht wird und wenn ja, wie die Leute darauf reagieren. Das Ausmaß der Reaktionen war eine enorme Überraschung – damit war nun wirklich nicht zu rechnen. Ins Rollen brachten dann alles ‚The Wheel‘ und die dazugehörige EP. Es gab zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keinen Plan für ein ganzes Album. Erst als die Plattenfirma 4AD auf mich zukam und mir einen Vertrag vorlegte, war mir klar, dass dieser rollende Stein nicht mehr aufzuhalten ist.
Warum setzt man bei der Verbreitung seiner Musik immer mehr auf Blogs?
Der Grund für die Taktik, Blogs zuerst mit Material zu versorgen, liegt auf der Hand. Durch die Dynamik des Teilens erreicht man viele Menschen. Wenn in Österreich sieben Blogger über meine Musik schreiben, dann multipliziert sich das Ganze und verbreitet sich viral. Wenn man dann auch noch die großen Blogs erreicht, deckt man so gut wie alle Kanäle ab – zumindest kurzfristig. Denn die tägliche Informationsflut ist enorm. Das hat mitunter den Effekt, dass man zwar heute noch gehypt wird, aber es morgen schon wieder jedem egal ist.
Wo ensteht deine Musik bzw. wo befindet sich dein derzeitiger Lebensmittelpunkt? Wien oder London?
Die meiste Zeit verbringe ich in Wien. Ich liebe die Stadt und fühle mich sehr geborgen. Hier kann ich gezielt vom Trubel Abstand halten und bin nicht Teil des täglichen Workflows, der in London stattfindet. Denn dort sitzt mein Label, mein Mangement und so weiter. Deshalb bedeutet England für mich Stress und Arbeit. Wien hingegen ist jener Ort, an dem ich in Ruhe Musik machen kann. Ich habe hier ein Studio und kann dort Tag und Nacht ohne Ablenkung produzieren.
Bist du gerne alleine?
Beim Musizieren muss ich mich ganz auf mich konzentrieren, daher verbringe ich viel Zeit alleine. Das macht mir aber nichts aus. Wenn ich mich entspannen möchte, brauche ich Leute rund um mich herum. Dann treffe ich mich mit Freunden – meistens zuhause. Denn da ich hier nicht aufgewachsen bin und auch nicht gut Deutsch spreche, ist es für mich schwer, beim Ausgehen den Gesprächen zu folgen. Aber mit dem Außenseiterstatus komme ich ganz gut zurecht (lächelt).
Du gehst also selten auf Partys?
Das mit Clubs und dem exzessiven Ausgehen habe ich nach und nach eingestellt, dafür bin einfach schon zu alt. Ich liebe es einfach, mit Freunden in der Wohnung abzuhängen. Wenn ich mal fortgehe, dann bestimmen das meine Freunde, wohin wir gehen. Zurzeit habe ich aber ohnehin kaum Zeit für andere Sachen. Ich bin seit September letzten Jahres am Produzieren. Die einzigen Tage, die ich frei hatte, verbrachte ich in London bei meiner Familie. Das war zu Weihnachten.
Steuert man da nicht einem Burn-out entgegen?
Wenn man drei Wochen lang jeden Tag durchgehend arbeitet, ist man extrem ausgelaugt – innerlich tot. Für mich ist diese totale Verausgabung aktuell aber kein Problem, da viele neue und spannende Dinge rund um mich passieren. Es ist ein schönes Erschöpfungsgefühl, denn jedes Meeting, Gespräch und Interview treibt das, was ich liebe, voran – die Musik.
Macht das bei so einem Arbeitsvolumen überhaupt noch Spaß?
Es ist irgendwie schräg, weil man einerseits nicht sagen kann, dass das Ganze nur Spaß macht. Andererseits ist es auch keine harte Arbeit, die einem tagtäglich alles abverlangt. Ich genieße im Moment einfach die spannende und enorm aufregende Zeit. Ich bekomme gewaltiges Feedback auf meine Produktionen und kann mich künstlerisch total verausgaben.
Woher kommt dieser enorme kreative Schub?
Meine Musik basiert vor allem auf Gefühlen und meiner persönlichen Stimmungslage. Der kreative Output ist aktuell deshalb so groß, da ich durch diverse Kollaborationen ständig mit neuen Ideen gefüttert werde. Ich komme mit anderer Musik und anderen Stilen in Berührung – zum Beispiel bei der Zusammenarbeit mit Kwabs (siehe den aktuellen New Hot Shit), der sich vor allem mit R & B-Sounds aus den 80er- und 90er-Jahren beschäftigt. Das inspiriert mich und bringt mich auf neue Gedanken. Ich probiere gerne Sachen aus und kaufe mir neue Instrumente. Das treibt meine Kreativität an.
Stichwort Kwabs, du arbeitest zurzeit als Co-Songwriter und Produzent für andere Künstler – eine zweite Karriere?
Man könnte sagen, dass ich im Moment zwei unterschiedliche Karrieren habe – die als SOHN und die als Produzent für andere Musiker. Neben meinen eigenen Songs habe ich ja auch noch die Platte von Banks produziert. Dann die Zusammenarbeit mit Kwabs. Ich reise im Moment sehr viel, bin gerade aus Los Angeles zurückgekehrt und mache nun Promo für mein Album. Das ist alles ziemlich verrückt, aber auch schön. Mir geht es beim Produzieren um eine Verbindung von verschiedenen musikalischen Komponenten. Grundsätzlich kann man es aber auf zwei wesentliche Bestandteile runterbrechen. Zum einen hängt vieles von der Wahl der Soundpalette ab, zum anderen bedarf es einer starken Melodieführung. Ich kombiniere klassisches Singer/Songwriting mit R & B der 90er-Jahre und elektronischen Mitteln. Ich verwende also anstatt der Gitarren diverse Syntheszier.
Setzt du live deine Songs eins zu eins um?
Nein, sie werden mit wesentlich mehr Power von der Bühne kommen. Diese den Songs anhaftende Zurückhaltung wird auf der Bühne gebrochen. Meine Stimme und die Sounds der live bedienten Synthesizer und Keyboards werden nicht in den vorgeschrieben Spuren bleiben. Man kann sich auf eine berührende Show mit vielen visuellen Momenten einstellen. Ich setze vor allem auf wechselndes Bühnenlicht, denn mit jedem Song auf meinem Album verbinde ich eine ganz spezielle Farbe. Das gewählte Lichtarrangement soll dann die Stimmungslage auf ‚Tremors‘ widerspielgeln.
Was ist deine Lieblingsfarbe?
Schwarz.
Schwarz steht SOHN gut. Danke und bis bald live in Österreich.