Inneres Blumenpflücken
Innenleben #42
In bester Selbstfindungsesoterik-Manier sitze ich nun also seit neun Tagen in der Pampa und versuche über meinen Exfreund hinwegzukommen. „Verdammt, Philipp! Was stapfst du ständig durch mein Meditationsbild?“ – Ich mach doch nichts. – „Echt jetzt, hau ab!“ Klar, Vipassana-Meditation ist kein Entspannungsurlaub. Aber das System herunterfahren, klingt doch prinzipiell auch nach Ruhe.
Doch mit der gestrigen Panikattacke hatte ich nicht gerechnet. Mein Körper mutierte zu einem formlosen Steinklotz. Die Lunge füllte sich mit Beton, mein Blut versteinerte. Nur mein Kopf dröhnte: „wtf wtf wtf!“ Schließlich kapitulierte ich. „Aha, so fühlt es sich also an, zu sterben.” Dann brach ich auf. Panisch pumpte ich Luft in meine Lungen. Tränen schossen in die Augen. Raus hier! „Valerie! Sie hatten nicht die Erlaubnis, den Raum zu verlassen!“ Aufgelöst schaffte ich es nicht, mich zu erklären. Ich war eben explodiert, und hatte noch nicht die Zeit, meine Teile wieder einzusammeln. „Ich hole Ihnen Taschentücher, Valerie. “ „Tina. Ich heiße Tina.“ Immerhin wusste ich trotz meiner akuten Nichtmehrexistenz noch, wer ich bin.
Immerhin. Meine Seele ächzte nach Streicheleinheiten, als ich ein vierminütiges Einzelgespräch genehmigt bekam. „Sie haben gut gearbeitet. Dies ist ein Geschenk.“ Na bumm! Am Einführungstag wurde erklärt, dass Vipassana einem „chirurgischen Eingriff in die Seele“ gleicht, es fahrlässig wäre, vor den zehn Tagen abzubrechen und dass sie keine Verantwortung für Folgeschäden übernehmen. Unterschrift des Patienten erforderlich. Und so hat die Streberin in mir eine unkontrollierte Selbstzerstückelung vorgenommen.
Weniger Motivation hätte gereicht. Hier lag ich: unsauber geöffnet am OP-Tisch. Bis morgen muss ich noch durchhalten. Dann kommt der Balsam auf die Seele, der „unsere tiefen Wunden” wieder schließen wird. Ich hoffe auf einen Defibrillator. Bloßer Balsam auf einen toten Körper hat wohl wenig Sinn oder? Und bevor ich mich weiter unbeholfen in alle Einzelteile zerlege, habe ich das Operationswerkzeug vorerst beiseitegelegt. Auch wenn der Laienchirurg in mir glaubt, er kann alles wieder richtig in den Körper stopfen. – Warum hast du unsere Beziehung beendet? – „Bist du verrückt, Philipp? DU hast mit MIR Schluss gemacht. Du hattest nur nicht die Eier, es auszusprechen.“ – Ah ja, stimmt. – Ich hatte gehofft, Meditation wäre ein Pausenknopf für mein Gedanken-Ping-Pong. Nix da! Meditation ist Denken und Denken ist Meditation.
Ach fuck! Ob den anderen hundertsiebenundzwanzig Personen hier auch so langweilig ist wie mir? Wie ich am nächsten Tag erfahren sollte, flog Valerie, das Mädchen neben mir, schwimmend durch ihre Vergangenheit. Eva, meine fünfzigjährige Zimmerkollegin, entdeckte ihr Interesse für Gay-Pornos. Und Tanja, schräg hinter mir, rief ständig beim Hörerservice an, um sich bessere innere Musik zu wünschen. . Und ich? Ich streite hier mit meinem Exfreund rum anstatt zu meiner inneren Mitte zu finden. Das war nicht der Plan. Hach, noch zwölf Minuten! Ok, ich schaff das. Eins, zwei, drei, … Der Schlussgesang weckt mich auf. – Das hätte dir schon früher einfallen können, einfach mal zu schlafen dazwischen. – „Philipp… !“