Kauf kein Gras, kauf Jamaika
Deichkind im Interview
Frühjahr 2012: Mit dem Hit ‚Leider Geil‘ schaffen Deichkind den Durchbruch, prägen einen Slogan, der das Jugendwort des Jahres wird. Jetzt kommt die Hamburger Chaotentruppe mit dem neuen Album ‚Niveau Weshalb Warum‘ auf die österreichischen Bühnen zurück. Im Interview erzählen die Songwriter Philipp ‚Kryptik Joe‘ Grütering und Sebastian ‚Porky‘ Dürre, warum sie dabei lieber gezielt Kritik üben, als mit Blödsinn Krawall schlagen.
Eure neue Single heißt ‚Denken Sie Groß‘. Ein weiterer Slogan, der es in den normalen Sprachgebrauch schaffen soll?
Kryptik Joe: Vielleicht, mal schauen. Der Song ist ein Seitenhieb auf Leute, die sagen: ‚Du kannst alles erreichen, wenn du willst.‘ Das bedeutet aber, dass man links und rechts alles platt macht, wenn man so agiert.
War es tatsächlich Kim Jong-un, der euch dazu inspiriert hat?
Porky: Nein, solche Ideen kommen von überall her. Wir sind ja jetzt auch eine expandierende Firma, haben ein Label namens Sultan Günther Music gegründet. Wir denken dabei nachhaltig. Etwa, wenn eine unserer Mitarbeiterinnen ein Baby bekommt. Würden wir groß denken, würden wir sie entlassen und durch jemanden ersetzen, der hundertprozentig funktioniert. Das kann sie aber nicht mehr, denn sie muss sich um die Kleine kümmern. Wir stecken da gerne zurück. Aber wenn du wirklich groß denkst, ist das immer auch zum Schaden anderer Leute.
Der Song ‚Like mich am Arsch‘ taugt auch gut als Slogan. Entstand der, weil ihr gemerkt habt, dass euch Facebook zu viel Zeit raubt?
Kryptik Joe: Das Lied entstand wie die meisten unsere Songs durch Unterhaltung: Wenn man sich mit bestimmten Themen auseinandersetzt, merkt man schnell, wo es eine Energie gibt und eine Pointe kommt – etwas, wo wir beide sagen, das ist ein lohnendes Thema für einen Text.
Es bleibt der Eindruck, dass ihr bei ‚Niveau Weshalb Warum‘ in den Texten viel gezielter als früher Sozialkritik übt.
Kryptik Joe: Stimmt genau. Wir haben festgestellt, dass wir die meiste Resonanz auf die Themen und die Slogans in den Songs kriegen. Deshalb haben wir das diesmal schon sehr gut ausgearbeitet. Wir machen keine Musik für Rotweinabende, wo man zusammen kocht. Sondern Musik für das Feiern – zum Abschalten, sich frei Bewegen und Loslassen. Trotzdem ist es uns aber auch sehr wichtig, einen Gegenpol zu den hedonistischen Mainstream-Gedanken des Partymachens zu haben – eine gewisse Aussage.
Porky: Da geht es immer um das, was uns beschäftigt, was wir untereinander diskutieren. Sei es das Urheberrecht, der Datenschutz, Social Media oder eigenartige Arbeitsverhältnisse.
Geht ihr dabei mit Absicht nie auf konkrete weltpolitische Ereignisse ein?
Porky: Ja, das lassen wir ganz bewusst aus. Denn uns ist klar, dass es viele verschiedene politische und geistige Denkformen gibt. Wie sollte man die unter einen Hut kriegen? Und das größte Problem ist doch, dass alle einander ihre Meinung aufdrängen wollen, weil sie überzeugt davon sind, dass das die einzig richtige Meinung ist. Aber ich maße mir nicht an, dass meine Meinung der Heilige Gral ist. Politiker müssen ihre Meinung so verkaufen. Oh Gott, was muss Politiker für ein grauenhafter Beruf sein. Das wäre nichts für mich.
Da bist du lieber Musiker und Entertainer…
Porky: Ja, aber schon auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wir dokumentieren aus der Beobachterposition. Und wir haben ja mittlerweile auch den Ruf, dass wir die Themen, die wir aufgreifen, sehr gut von verschiedenen Seiten beleuchten können.
Ihr habt jetzt das Label gegründet. Steht das nicht dem Chaos im Wege, das ihr immer als Grundpfeiler der Kreativität, als Antrieb von Deichkind gesehen habt?
Kryptik Joe: Definitiv. Das ist ein schmaler Grat, auf dem man aufpassen muss, nicht zu verkopft und zu strukturiert zu werden. Aber unsere Bandgeschichte ist holprig. Sowohl in finanzieller als auch, mit oftmaligen Besetzungswechseln, in freundschaftlicher Hinsicht mussten wir viele Rückschläge einstecken. Über die Jahre hatten verschiedene Mitglieder verschieden viel Einfluss, weshalb sich unser Stil oft geändert hat. Deshalb ist es gut, dass jetzt einmal Ruhe eingekehrt ist und wir in diesem Team weiterarbeiten können – dass wir eben eine gewisse Struktur haben. Das brauchen wir jetzt.
Stimmt es, dass der Titelsong ‚Niveau Weshalb Warum‘ das dümmste Lied aller Zeiten werden sollte?
Porky: Ja, aber so richtig dumm ist gar nicht einfach. Du greifst dann doch immer wieder auf dein Handwerk zurück und bringst Niveau hinein.
Kryptik Joe: Wir sind mittlerweile zu verkopft.
Porky: Beim Schreiben des Textes ging es nur so: ‚Nein, du denkst schon wieder zu viel, schenk dir noch einen Whiskey ein!‘ Aber irgendwie sind wir trotzdem an ‚richtig dumm‘ gescheitert.
Davon werden wir uns im April in Linz und Graz live überzeugen können. Denn dann läuft endlich wieder so’ne Musik…