Traurigkeit ist meine geheime Stärke!
Scott Matthew im Interview
Ein Album, eine Auferstehung. Eigentlich wollte der New Yorker Musiker Scott Matthew nie wieder eine Platte veröffentlichen. Die Angst zu scheitern und akute Lustlosigkeit waren der Grund dafür. Dann verliert er während einem Konzert für kurze Zeit seine Stimme. Das Schweigen bringt ihn zurück zur Musik und hat ihn dazu bewogen, sein wahrscheinlich einfühlsamstes und ehrlichstes Album zu produzieren: ‚This Here Defeat‘. Heute sitzt der 39-jährige im Wiener Phil, trägt einen langen Bart, helle Regenjacke und einen hastig zusammengeknoteten Männerdutt. Obwohl man zu seinen neuen Songs in der Fötusstellung schluchzen möchte, wird während des Interview mit VOLUME doch immer wieder gelacht und gewitzelt – über die Ex zum Beispiel. Und darüber, dass Scott Matthew ein Double in England hat.
Willkommen im Phil! Wann warst du eigentlich das letzte Mal in Wien?
Gar nicht so lange her – letzten Herbst durfte ich am Waves Festival spielen. Ich musste nicht wie dieses Mal gleich wieder abreisen und hatte ein paar Tage Zeit für die Stadt. Jetzt bin ich nur für Promo-Zwecke da und muss gleich morgen früh wieder abfahren. Aber keine Angst, wir kommen Ende des Jahres wieder!
Die gute Nachricht: Vor uns liegt dein neues Album ‚This Here Defeat‘. Aber hast du nicht vor einigen Monaten noch folgenden Satz gesagt: ‚Ich werde nie wieder ein Album veröffentlichen‘. Was ist passiert?
Das war keine einfache Zeit für mich und heute bin ich froh, dass sie vorbei ist. Ich war plötzlich an einem Punkt angelangt, an dem ich einfach nicht mehr wollte. Und dann hatte ich auch noch Selbstzweifel, dass meine Songs nicht gut genug werden könnten. Als ich auf Tour war, sprach ich mit Freunden und legte für mich fest, völlig und für immer mit der Musik aufzuhören. Aber dann passierte etwas Unerwartetes!
Du hast deine Simme verloren…
Ich spiele eine kleine Show in Frankreich, gehe auf die Bühne, schalte das Mikrofon ein, schaue in diese freudigen Gesichter und dann bekomme ich plötzlich keinen Ton mehr heraus. Da war einfach Stille! Es war furchtbar. Diese Minuten haben mir total Angst gemacht. Als ich da auf der Bühne stand, fühlte ich mich plötzlich so leer. Ich habe in dieser Sekunde gemerkt, dass ich mit dieser Stille nicht leben kann. Ich muss sie mit meiner Musik füllen.
Und dann hast du dich gleich wieder an die Gitarre gesetzt, als du deine Stimme wieder hattest?
Kann man so sagen! Der erste Song, den ich geschrieben habe, ist der Titeltrack ‚This Here Defeat‘. Damit habe ich mich inhaltlich auch mit einem weiteren Dilemma auseinandergesetzt, das mich in dieser Zeit geplagt hat. Bevor ich meine Stimme verloren habe, bildete ich mir ein, nicht mehr ‚dieser traurige Kerl‘ sein zu wollen. Später habe ich dann meinen ersten Song geschrieben. Sozusagen als Abrechnung für mich selbst.
Die meisten deiner neuen Songs sind aber immer noch sehr traurig und melancholisch…
Es ist ja nicht so, als würde ich plötzlich ein beschwingtes Popalbum machen wollen. Die Stimmung in einem Song kann man meiner Meinung nach nicht planen. Er kommt einfach aus dir heraus. Und in meinem Fall ist es meistens ein trauriger Song.
‚Bittersweet‘ hingegen klingt sehr beschwingt…
Was den Sound betrifft, ja. Aber inhaltlich ist ‚Bittersweet‘ eins der dunkelsten Lieder des Albums. Es geht darum, dass jemandem wieder einmal das Herz gebrochen wird.
Du wirst also noch immer als ’sad guy‘ wahrgenommen. Nervt das nicht?
Früher habe ich mir darüber viel mehr Gedanken gemacht als heute. Zeige ich zu viel? Gebe ich zu viel Preis? Heute bin ich dankbar, weil ich darin eine große Kraft entdeckt habe. Ich bin stolz, der ‚traurige Kerl‘ zu sein. Meine Mutter sagt oft: ‚Schreib‘ doch endlich mal einen lustigen Song! Was ist falsch mit dir?‘ (lacht) Aber so einfach geht das nicht…
Vor allem muss es richtig nervig sein, wenn die Ex dann im Radio oder auf YouTube hören kann, wie man sich musikalisch im Herzschmerz suhlt. Oder?
Total! Eigentlich denkt man sich in so einer Situation ja so etwas wie ‚fuck you‘! Ich will nicht, dass du durch so einen Song auch noch einen Push fürs Ego bekommst. Aber man muss auch mit solchen Gefühlen umgehen.
Dein letztes Album ‚Unlearned‘ war ein Coveralbum – unter anderem mit Songs von Whitney Houston und Joy Divison. Was ist der Unterschied zwischen interpretieren und selbst schreiben? Und welche aktuelle Band würdest du heute covern?
Covern ist unglaublich befreiend. Viele fühlen sich mehr unter Druck gesetzt, wenn sie einen Song von jemand anderem interpretieren. Aber das ist bei mir überhaupt nicht so. Es war wie eine neue Übung, die mir großen Spaß gemacht hat. Heute würde ich gerne Perfume Genius covern. Die sind genial.
Erzähl noch ein paar Details zum neuen Album. Wie ist es entstanden? Wie viele Leute waren daran beteiligt?
Ich habe auf der Tour bereits mit dem Songschreiben begonnen. Mein guter Freund, der deutsche Produzent Jürgen Stark, kam dann extra für zwei Wochen aus Berlin nach New York City und wir haben uns die ganze Zeit in meinem Appartement eingesperrt. Ich wollte, dass das Album anders klingt als das letzte und er konnte mir genau dabei helfen. Zum ersten Mal haben wir mit elektrischen Gitarren und modernen Aufnahmetechniken gearbeitet. Bevor wir ins Studio nach Lissabon gingen, haben wir die Demos wirklich bis ins kleinste Detail ausgefeilt. In Portugal gab es also nicht mehr so viel Arbeit. Ich kenne das Studio, weil ich dort kürzlich mit einem portugiesischem Komponisten an einem weiteren Album gearbeitet habe. Ich will nicht zu viel verraten bis auf zwei Dinge: Es wird Anfang nächstens Jahres erscheinen und mit vielen orchestralen Arrangements bestückt sein.
Du wurdest in Australien geboren, lebst heute in New York, schreibst deine Songs auf der ganzen Welt und heute sitzt du hier für ein paar Stunden in Wien und trinkst einen Café. Wo ist dein ‚Zuhause‘?
Ich habe kein Zuhause, so sonderbar das auch klingen mag. In Australien war ich letztes Jahr das erste Mal wieder seit über sechs Jahren. Ich reise viel und bin in Wahrheit ständig auf der Suche nach einem Ort, der mir nicht mehr loslässt. New York ist es nicht. Es ist ein Rückzugsort, aber kein Zuhause. Wenn ich nach der Tour meine Tür zum Appartement aufsperre, bin ich froh, ein bisschen relaxen zu können nach dem Trubel. Aber es fühlt sich nicht an, als würde ich ankommen. Das ist aber nicht schlimm, denn ich fühle mich dort wohl, wo meine Freunde sind. Also eigentlich auf der ganzen Welt.
Eine Frage noch: Wie stehst du zu deinem britischen ‚Double‘ Scott Matthews?
Das ist eine unglaublich gruselige Geschichte. Er heißt gleich wie ich und veröffentlicht seine Alben auch immer zur selben Zeit. Als wir einmal in London gespielt haben, sind einige Leute ernsthaft gekommen, weil sie dachten, er würde heute einen Gig spielen. (lacht) Dazu macht er auch noch Folk. Aber er hat keinen Bart. Immerhin etwas…