So Much Gefühle
Innenleben #50
Ich bin leicht für Sachen zu begeistern. Ist ja auch kein schlechter Charakterzug, würde ich meinen. Jeder Personaler freut sich über den Ausdruck „Begeisterungsfähigkeit“ in der Bewerbung. Aber manchmal fühle ich mich dabei wie die klischeehafte Skizzierung des Hyperbole-Memes.
Sibylle Berg? Nie gehört. Aber ihr Auftritt bei ‚Willkommen Österreich‘ war gut. Als neuer Superfan kaufe ich neben der Neuerscheinung auch sofort den Debütroman, die Sammlung ihrer Kolumnen und oh, eine Sammlung von Liebesbriefen herausgegeben von Sibylle Berg – kommt auch noch dazu. Sobald mein wöchentliches Laufpensum mehr als zehn Kilometer beträgt, melde ich mich hoch motiviert für den nächsten Marathon an. Letztens habe ich beschlossen, nur noch Kleider zu tragen. Mein Kleiderschrank ist schon mal gerüstet. Diese Überdrüberbegeisterung für Neues schwappt auch in mein Gefühlsleben über. Ich verliebe mich nicht ein bisschen, sondern volles Karacho – ab der ersten Sekunde. Und sollte nichts daraus werden, trauere ich nicht ein bisschen, sondern mach das Trauern zu meinem Nebenberuf und schreibe eine Kolumne darüber. Aber langsam wird das emotional echt anstrengend. Immer diese überschwänglichen Gefühle sind ja kaum auszuhalten. Irgendwie besteht mein Leben im Moment nur noch aus der Liebe und deren Ende.
Wie kann ich das also in den Griff bekommen? Ziel: Einfach mal mit jemandem Zeit verbringen, ohne gleich Erwartungen aufzubauen. Hm naja, aber warum sollte ich mich mit jemandem öfter treffen, wenn ich nicht mit vollem Herzen dabei bin und davon ausgehe, dass dies der Mann sein könnte, den ich mal heiraten werde? Okaaay … äh ja, das macht so niedergeschrieben nun selbst mir Angst. Immerhin Problem erkannt: Nicht sofort die Schmetterlinge loslassen. Nächster Schritt: Problemlösung. Vielleicht könnte es helfen, weniger über alles nachzudenken. Innerlich stimmt mir Shakespeare zu: „Er denkt zu viel. Solche Leute sind gefährlich.“ Aber sogleich zitiert die Eitelkeit in mir Foucault: „Ich denke gern.“ Das ist also keine Option. Mein Exfreund hielt nicht viel von der Idee einer einzigen großen Liebe – ‚Ich glaube an das Konzept des Lebensabschnittspartners.‘ Könnte das die Lösung sein? Weniger Druck und Erwartungen durch Relativierung sozusagen. Aber Lebensabschnittsgähnpartnerbähbullshit. Dieses Gefühl der Austauschbarkeit ist nicht mein Ding. Sich vorzunehmen, in Zukunft lockerer an neue Sachen heranzugehen, erscheint mir auch nicht zielführend. Das geht ja doch nur so lange gut, bis ich jemanden kennenlerne und dann ohnehin wieder sofort implodiere. Vielleicht sollte ich den Tinder- Account wieder aktivieren, seichte Kennenlern- Unterhaltungen führen und durch das Fließbanddating den Emotionen einfach den Garaus machen. Ach, das ist langweilig. Außerdem stehen der Sommer und die Festivalsaison vor der Tür. Da kann mir diese Pseudo-Dating- App gestohlen bleiben. Sommer und Sonne, yeah! Und ich werde alle Festivals besuchen und auf allen Partys tanzen! In meinen wunderbaren neuen Kleidern! Und jemanden kennenlernen. Zufällig, echt und intensiv. Alles auf rosarot! ALL IN – wie immer! Aber dabei ein bisschen darauf achten, dass die überwältigende Wucht von Neuem nicht gleich alle Sicherungen durchbrennen lässt. Guter Plan! Conclusio gefunden. Punkt.