Putting Music In Its Place Since 1990
Lagwagon im Interview
Nach fünfundzwanzig Jahren, acht Alben und tausenden Konzerten rollt der Lagwagon immer noch erfolgreich durch die Musikgeschichte. Als eine der umtriebigsten Bands im Business geben Joey Cape und seine Jungs mit ihrem Mix aus melodischem Punkrock, schnellem Hardcore und intelligenten Texten seit einem viertel Jahrhundert den Ton in der internationalen Szene an. Nach neun Jahren Studiopause meldeten sie sich letztes Jahr mit ‚Hang‘ zurück: erwachsener und politischer als je zuvor. Was die Geburt seiner Tochter damit zu tun hat, wieso er verletzlicher und gleichzeitig wütender geworden ist und was er über die Jugend von heute denkt, hat uns Mastermind Joey Cape im Interview verraten.
25 Jahre Lagwagon – wie feiert ihr euer Jubiläum?
Wir haben nichts Besonderes geplant, da uns solche Jahrestage nicht so wichtig sind. Erst auf dieser Tour haben wir bemerkt, dass es der 25. ist und uns überlegt, ob wir deshalb etwas Spezielles machen sollten – aber nein. (lacht) Für uns ist jeder Tag ein Feiertag, denn es gibt nichts Besseres, als das zu machen, was man liebt. Wir sind immer noch leidenschaftliche Musiker, deshalb brauchen wir eigentlich keine großartige Feier, nur weil wir schon 25 Jahre zusammen Musik machen. Wir werden aber gemeinsam mit Fat Wreck Chords das Ganze ein bisschen zelebrieren – das Label wird ebenfalls 25 Jahre alt. Da wir eine der ersten Bands waren, die Fat Mike unter Vertrag genommen hat, verbindet uns sehr viel. Wir werden es auf der ‚Fat Tour 2015: Fat Wrecked for 25 Years!‘ gemeinsam krachen lassen.
Ihr seid immer sarkastisch mit dem Älterwerden umgegangen. Wie fühlt es sich an, wenn man dann doch merkt, dass man nicht mehr der Jüngste ist?
Du musst auf jeden Fall Sinn für Humor haben. (lacht) Das Älterwerden ist einfach ein Teil des Lebens. Ich fühle mich schon seit Jahren manchmal zu alt für meinen Job, aber ich bin es gewöhnt. Ich denke, das hat auch viel mit unserer generellen Einstellung zum Leben zu tun. Wir benehmen uns noch immer wie Kinder. (lacht) Oft scherzen wir darüber, dass wir eine kaputte Band sind, denn all die Jahre haben Spuren hinterlassen: der eine hat Knieprobleme, der andere hat Rückenprobleme, der nächste hat Nackenprobleme. Touren ist Leistungssport, nur ohne Training. (lacht) Es gibt viele betrunkene Nächte samt Stürzen, Dummheiten und anderen verrückten Zwischenfällen. Das eigene Denken spielt in diesem Zusammenhang deshalb eine große Rolle. Ich fühle mich gut, obwohl ich heute eigentlich einen schlimmen Hangover haben sollte. Habe ich aber nicht, denn ich muss mir keine Sorgen machen. Ich muss nur Musik spielen. (lacht)
Reden wir über euer aktuelles Album ‚Hang‘. Ihr gebt euch darauf wütender und politischer als je zuvor. Gab es dafür einen speziellen Anlass?
Ja, die Geburt meiner Tochter. Ich war immer schon ein meinungsstarker Mensch und habe viel zu sagen – das ist vermutlich auch der Grund, wieso ich Songs schreibe. Früher habe ich versucht, meine politischen Ansichten aus der Musik raus zu halten und mich mehr auf Themen wie Trauer, Verlust und Loyalität konzentriert. Ich fand es immer einfacher über derartige Dinge zu schreiben, denn damit kann sich jeder identifizieren – was natürlich nicht bedeutet, dass ich keine politische Meinung habe. Die Geburt meiner Tochter hat ‚Hang‘ auf jeden Fall sehr geprägt, denn ein Kind zu bekommen verändert dich von Grund auf. Auf einmal gibt es da einen Menschen, der komplett von dir abhängig ist und den du so sehr liebst, wie noch nie jemanden zuvor. In Kombination mit Schlafentzug verändert dich das – du wirst verletzlicher, einfühlsamer und verständnisvoller. Empathie ist essenziell für das Leben und Überleben auf diesem Planeten. Ich hoffe, ich klinge jetzt nicht wie ein idealistischer Hippie. (lacht) ‚Hang‘ sollte ein Konzeptalbum werden – sozusagen meine Sicht auf die Welt, in der meine Tochter aufwächst. In diesem Zusammenhang empfinde ich sehr viel Wut, denn ich bin täglich enttäuscht von den Menschen, die ich sehe. Normalerweise mache ich meinem Ärger bei einem guten Freund und einem Bier Luft. (lacht) Ich steigere mich da oft richtig hinein und mein Kumpel muss sich stundenlang meine Schimpftiraden anhören. Eines Tages meinte er deshalb: ‚Joey, du musst darüber schreiben. Du musst jetzt endlich dein verbitterter-alter-Mann-Album machen!‘ – und das habe ich dann auch gemacht. (lacht)
Bienen spielen auf ‚Hang‘ eine große Rolle. Einerseits sind sie auf dem Cover, anderseits singst du in in einem Song ‚the bees are unimpressed‘. Wofür stehen die Bienen?
Für mich sind Bienen einfach ein sehr kraftvolles Symbol für die aktuelle Zerstörung unserer Umwelt. Wir brauchen Bienen, um zu überleben, tragen aber maßgeblich zu ihrem Aussterben bei. Als ich klein war, habe ich ständig Bienen gesehen. Jetzt sehe ich sie nur ab und zu in meinen Garten, wenn mein kleiner Chihuahua Jagd auf sie macht. Ich schimpfe dann immer mit ihm: ‚Lass sie in Ruhe! Wir brauchen sie!‘ (lacht) In ‚In Your Wake‘ verwende ich das Wort ‚unimpressed‘, weil es weniger dramatisch klingt. Mir gefällt die Idee, dass sich die Bienen umgekehrt einen Dreck um uns scheren. Sie leben in ihrer banalen Existenz, verrichten ihre Arbeit und tun alles für ihre Königin. Vielleicht sind sie uns in vielen Dingen auch sehr ähnlich. (lacht)
In ‚Obsolete Absolute‘ geht es darum, dass viele Dinge heutzutage obsolet geworden sind…
Das war der erste Song, den ich für ‚Hang‘ geschrieben habe. Eigentlich wollte ich, dass das Album damit beginnt und der Track sollte sieben Minuten lang sein. Bands wie wir schreiben normalerweise keine so langen Nummern, aber mir gefiel die Idee, das Album mit diesem epischen Song zu starten. Ich habe dafür gekämpft, aber die anderen haben schließlich auch etwas zu sagen. (lacht) Die Lyrics von ‚Obsolte Absolute‘ sind für mich aber die wichtigsten auf dieser Platte, denn jeder kann sich damit identifizieren: Du wirst älter, Dinge kommen und gehen. Das müssen nicht unbedingt Sachen sein, die dir besonders wichtig sind – deren Verschwinden du aber bemerkst. Sprache, Bräuche und Traditionen gehen immer mehr verloren, vor allem seit dem Aufkommen des Internets. Alles verändert sich hin zu einer einzigen Sicht auf die Welt, die unser Lernen und unsere Informationsbeschaffung beeinflusst. Wir bekommen Informationen immer mehr von ein und derselben Quelle, wodurch kulturelle Diversität auszusterben beginnt. Das finde ich sehr traurig.
Ertappst du dich manchmal bei dem Gedanken: ‚Diese Jugend von heute…‘
Ja, natürlich! So geht es doch jedem. (lacht) Jeder schaut auf die nächste Generation und denkt sich: ‚Was zur Hölle macht ihr da?‘ Oder blickt zurück auf die letzte Generation und fragt sich: ‚Was habt ihr bloß gemacht?‘ Man steht immer zwischen diesen zwei Leben: dem einen, in dem man aufgewachsen ist und dem anderen, in dem die eigenen Kinder aufwachsen. Vor allem wenn du Kinder hast, beginnst du die ältere Generation zu verstehen. Ich habe mich nach der Geburt meiner Tochter bei meiner Mutter entschuldigt. Wenn du jung bist, denkst du nicht an deine Eltern oder daran, ob sie sich Sorgen machen. Du glaubst als Teenager, du bist erwachsen – total unreif, natürlich. (lacht) Ich habe aber das Gefühl, dass wir heute in einer Welt leben, die mehr und mehr von Selbstsucht und Egoismus bestimmt wird. Das ist natürlich nichts Neues – das hat sich im Laufe der letzten Generationen immer mehr herauskristallisiert. Es geht hauptsächlich um einen selbst und weniger um die Menschen drum herum oder die Umwelt. Ich beobachte das schon einige Zeit, aber, wie gesagt, seit der Geburt meiner Tochter bin ich in dieser Hinsicht viel verletzlicher und gleichzeitig wütender geworden. (lacht) Ich habe ‚Poison in the Well‘ geschrieben, nachdem ich bei Spaziergängen mit meiner Kleinen immer wieder Menschen gesehen hab, die ihren Abfall auf die Straße werfen. Stell dir das einmal vor, ich gehe Hand in Hand mit meiner Tochter durch die Nachbarschaft und ein Typ wirft seinen verdammten Mist einfach neben uns auf den Boden. Es reicht doch schon, dass wir so viel Müll produzieren und gar nicht mehr wissen, wohin damit. Es zusätzlich durch unnötige Umweltverschmutzung schlimmer zu machen, halte ich einfach für eine absolute Frechheit.
Ihr hattet geplant, jeden Song von ‚Hang‘ live zu spielen. Wie ist das bei euren Fans angekommen?
Wir haben das dann doch nur bei den ersten Shows gemacht. (lacht) ‚Hang‘ ist eine lange Platte, deshalb bleibt da nicht viel Raum für andere Songs. Andererseits möchte ich nicht jeden Abend den Tony-Song singen – das ist einfach zu schmerzhaft. Wir spielen aber immer noch acht oder neun Songs. Im Vergleich zu anderen Alben sind das viele. Außerdem muss man irgendwo die Grenze ziehen, denn wenn Leute kommen, um dich live zu sehen und Geld dafür bezahlen, dann wollen die auch alte Sachen hören. Die neuen Songs scheinen aber gut anzukommen, was uns natürlich sehr freut.
Euer einziges Österreich-Konzert habt ihr in diesem Jahr am Nova Rock auf dem Red Bull Brandwagen gespielt. Letzte Frage: Energy Drink oder Kaffee?
Old School! Kaffee ist vermutlich das Beste, was der Mensch je erfunden hat. Ich liebe guten Kaffee, trinke aber auch schlechten Kaffee – ganz egal, Hauptsache Kaffee. (lacht) Ich möchte jetzt nicht wie ein alter Mann klingen, aber in den letzten Jahren habe ich meine Leidenschaft für Tee entdeckt. Ich trinke jeden Tag Schwarztee. Ungefähr jeden dritten Tag macht meine Frau dann Kaffee – der ist unglaublich gut! Das macht das Kaffeetrinken für mich noch spezieller. Jeden dritten Morgen freue ich mich dann: ‚Wooaaah Kaffee!‘ (lacht)
Hoch die Kaffeetassen, Prost & Danke!