Kreischen als Erfolgsgarant
The 1975 im Interview
Die Boyband wider Willen The 1975 hat mit ‚I like it when you sleep, for you are so beautiful yet so unaware of it‘ ihr zweites Studioalbum veröffentlicht. Der Titel ist extra lang und, vorsichtig ausgedrückt, sperrig. Der darauf befindliche Sound klingt auf guten 74 Minuten aber keineswegs fad oder unzugänglich. Großes Albumkino für die Ohren, jenseits des glatt geleckten Mainstreams. Frontmann Matthew Healy wachsen zwar mittlerweile graue Haare, dafür verrät er im Interview mit VOLUME, was alle Städte auf ihrer aktuellen Tour gemeinsam haben, warum kreischende Mädchen gut fürs Geschäft sind und wo er zum letzten Mal sein Hirn gesehen hat.
Willkommen zurück in Wien! Was hat sich seit eurer letzten Show 2014 in der Arena bei The 1975 alles verändert?
Es ist nicht mehr aufzuhalten: Mir wachsen jetzt graue Haare.
Aus Frust oder Ärger? Kann nicht sein! The 1975 haben in der Zwischenzeit vor hunderttausenden Menschen gespielt, die Plattenverkäufe laufen ebenfalls bestens.
Von außen sieht es vielleicht so aus, dass sich unsere Persönlichkeiten in den vergangenen Jahren massiv verändert haben – durch den Erfolg, das Geld, die vielen Feiern oder auch Frauen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir fühlen uns alle immer noch wie die gleichen vier Jungs, die 2002 in meinem Kinderzimmer in Manchester eine Band gegründet haben. In unserem täglichen Berufsumfeld – also im Management oder in der Produktion – arbeiten nach wie vor fast ausschließlich gute Freunde. Das klingt abgedroschen, ist aber so: Wir sind seit 14 Jahren wie ein Familie, Liebe verbindet uns.
Von welcher Stadt habt ihr auf eurer aktuellen Tour am meisten Liebe bekommen? Oder anders gefragt: Welche Fans haben bis dato am lautesten geschrien?
Oft werde ich gefragt, was Metropolen, in denen wir gespielt haben, voneinander unterscheidet. Für mich ist es in diesem Zusammenhang wesentlich einfacher, die Ähnlichkeiten festzustellen: Überall sehe ich echte und treue Fans von The 1975 im Publikum, die sich optisch vielleicht nicht immer ähneln, dafür aber das gleiche für unsere Musik empfinden. Also fühlt es sich ein wenig so an, als ob wir jeden Abend für eine Gemeinschaft spielen – egal, wo wir gerade tatsächlich sind.
Gibt es nach jeder Show wenigstens eine Art ‚Manöverkritik‘? Was war gut, was war schlecht?
Wir sind im Schnitt zwar erst knapp über Mitte Zwanzig, stehen aber schon seit Ewigkeiten auf der Bühne zusammen. Jetzt passiert alles genau dort, wo es sein soll! Woher dieses Selbstbewusstsein kommt? ‚Trial And Error‘! Natürlich sind wir grade in den ersten Tourwochen extrem selbstkritisch. Aber bei aller Liebe für Style, Artistik und Perfektionismus muss eine Show auch immer etwas Menschliches haben. Wir sind keine Maschinen, darum ist keine Nacht mit The 1975 wie die andere.
Welche Bedeutung haben weibliche Fans für euren Werdegang?
Kreischende Mädchen waren immer ein Garant für Erfolg im Musikgeschäft – kurzfristig aber auch langfristig. Wie zum Beispiel bei den Beatles, The Rolling Stones oder auch David Bowie. Die Kunst ist es, als Band mit seinen Fans mitzuwachsen. Dabei sollte das Geschlecht zwar keine Rolle spielen, aber es ist wohl kein Geheimnis, dass auch die Karriere von The 1975 durch kreischende Mädchen massiv beschleunigt wurde. Ich wehre mich gegen den Vorwurf, dass wir nur Musik für weibliche Fans schreiben. Meine Lieblingsplatten sind allerdings von Hall & Oates, Boyz II Men oder Brian McKnight – Musik, die explizit an Frauen vermarktet wurde…
Was läuft sonst für Sound auf deinem Plattenspieler?
Ich bin alles andere als ein Patriot, aber Garage und Grime aus Großbritannien machen mich stolz. Vielleicht liegt es an meinem Wohnort Hackney in London, dem aktuellen Epizentrum für diese Musikrichtungen. Skepta kommt beispielsweise von hier. Diese Leute haben etwas zu sagen, ihr Sound ist einzigartig.
Die Texte von Matthew Healy haben es ebenfalls in sich. ‚Where would I be if I was my brain?‘ – die Antwort schon gefunden?
Wer kennt sie nicht? Die ständige Suche nach dem Schlüssel, dem Feuerzeug oder anderen Gebrauchsgegenständen aus dem Alltag. Mir hat die Idee gefallen, sein ganzes Hirn zu verlieren bzw. zu verlegen. Meins befindet sich angeblich noch in meinem Kopf.
Einen Tag nach eurem Konzert im Wiener Gasometer spielt dort Noel Gallagher. Der Mann stammt wie ihr aus Manchester. Wie haben Oasis The 1975 beeinflusst?
Sehr wenig! Wobei, das stimmt nicht so ganz: Von Bands aus Manchester wird immer erwartet, dass sie so klingen wie die musikalischen Aushängeschilder à la The Smiths, The Stone Roses oder eben Oasis. Was die Leute dabei aber vergessen: Diese Bands wollten nie so klingen wie eine andere auf der Welt. Das war das Erfolgsrezept, an dem wir uns gerne bedienen.
Finalfrage: Manchester City oder Manchester United?
Pest oder Cholera? Keines von beiden! Newcastle United heißt mein Club, tätowiert auf meinem Oberkörper…
Sexy! Fußballliebe, die unter die Haut geht – bis zum nächsten Wiedersehen beim NUKE Festival 2016 in Graz.