Asche zu Asche, Eis zu Eis
The Kills im Interview
Eine der wohl widerlichsten und kompliziertesten Fingerverletzungen der kontemporären Musikgeschichte lockte The Kills aus ihrer komfortabel-verruchten Garage und zwang ihren fingerreduzierten Gitarristen nach neuen Mitteln und Wegen für seinen musikalischen Output zu suchen. Immer an der Seite des seither digital-einhändig am Tablet agierenden Jamie Hince: Partnerin in Crime Alison Mosshart, die konträr, doch tief verbunden ihren analogen Garagenschick dagegenhält. VOLUME hat mit der Rock’n’Roll Queen die obligatorische Zigarette danach geraucht und herausgefunden, dass es nicht nur eine Antwort auf unsere Fragen gibt.
Wie hat Jamies Verletzung den Sound der Platte beeinflusst?
Da er eineinhalb Jahre nicht Gitarre spielen konnte, hat sich Jamie ein Studio eingerichtet und auf ganz neue Art angefangen Songs zu schreiben. Er hat mit verschiedenen elektronischen Klängen, Software und allem, was er mit einer Hand bedienen konnte, experimentiert. Zweifellos hat seine Verletzung den kompletten Sound des Albums beeinflusst. Viele Dinge hätte er vermutlich nicht ausprobiert, wenn er nicht dazu gezwungen gewesen wäre.
Wie wichtig ist euch Veränderung?
Veränderung ist extrem wichtig! Wir versuchen, uns mit jedem Album neu zu erfinden und die Grenzen unserer Komfortzone zu überschreiten. Das ist das Ziel: Begib dich dort hin, wo es möglichst ungemütlich ist und mach etwas Wunderschönes daraus. Manchmal dauert dieser Prozess sehr lang, denn jeder hat seinen eigenen Kopf und seine eigene Weise, etwas zu erschaffen. Man muss das alles hinter sich lassen und versuchen, auf eine neue Art zu schreiben und zu hören.
Wenn du wählen müsstest: Asche oder Eis?
Ich wäre vermutlich Asche. Wieso, weiß ich auch nicht genau.
Jamie wäre dann Eis?
Ich weiß nicht. Vermutlich könnte keiner von uns beiden eine Seite wählen und dabei bleiben. Das Schöne an diesem Titel ist der Kontrast und die Gegensätzlichkeit von Asche und Eis. Sie kämpfen gegeneinander, sie arbeiten zusammen, sie helfen sich und zerstören sich gegenseitig. Dieses Album war eine lange Reise für uns. Wir haben viel durchgemacht. Die Arbeit an dieser Platte war ebenso kontrastreich wie der Titel, weshalb er einfach perfekt passt.
Apropos Kontrast: Im Gegensatz zu eurem früheren Werk ist diese Platte sehr persönlich.
Das war eine bewusste Entscheidung! Wir wollten es intimer, aber es ist wirklich hart, persönliche Lyrics zu schreiben – vage, kryptische Songtexte gehen leichter von der Hand. Es war eine Herausforderung für uns! Wir haben sehr viel Zeit in die Songtexte investiert und verschiedene Wege ausprobiert, um sicherzustellen, dass das, was wir sagen und gleichzeitig fühlen, übereinstimmt. Das war oft ungemütlich, aber das sollte Kunst sein! ‚Ash & Ice‘ lebt vor allem im Moment.
Mit welchem Gefühl blickst du zurück?
Ich akzeptiere die Vergangenheit und versuche nicht, allzu nostalgisch zurückzublicken. Man will ja vorwärtskommen! Im Leben geht es darum, zu lernen, sich zu verändern, besser zu werden und die Dinge mehr und mehr zu verstehen. Der Scheiß ist verwirrend! Aber man gibt sein Bestes. Der Blick zurück ist dabei nicht förderlich – auch nicht für die Kunst!
Wie würde das Gemälde „Ash & Ice″ aussehen?
Ich habe das Gefühl, als hätte ich dieses Bild schon Millionen Mal gemalt. Vor allem in den letzten Jahren male ich am liebsten verrückte Gesichter mit drei Augen oder vier Mündern. Es gibt so unglaublich viele kontrastierende Facetten eines Charakters. Man kann von einem auf den anderen Moment, das komplette Gegenteil von dem denken, was man eben noch gefühlt hat. Ich bin fast besessen von diesem Konzept. So male ich auch – schnell, einfach das, was gerade in mir passiert. Es gibt nicht nur einen Weg, nicht nur eine Emotion, nicht nur eine Antwort auf all meine Fragen.
Ähnlich schreibst du auch Songs…
Ich schreibe in Energieschüben. Vielleicht bin ich sehr ungeduldig, aber ich kann einfach nicht lange still sitzen und über Ideen brüten. Je mehr ich das tue, desto weiter entferne ich mich von der Wahrheit und versaue es schlussendlich. Mein kreativer Prozess ist eher eine plötzliche Explosion!
Wie ein Vulkan?
Einerseits ja, anderseits brodelt ein Vulkan oft lange Zeit unter der Oberfläche, bevor er explodiert. Ich bin sehr empfänglich für das, was in unserer Welt tagtäglich passiert. Millionen verschiedene Dinge können darin zur Inspiration werden, weil sie herausfordernd oder kompliziert sind. Jeder Tag bringt etwas Neues!
Wie brichst du das Eis mit den Besuchern des FM4 Frequency Festivals?
Ich wünschte, ich wüsste das Geheimrezept, um das Eis mit jedem Publikum zu bre- chen – aber ich weiß es nicht. Ich bin jedes Mal aufs Neue überrascht! Manche Festivalshows sind unfassbar magisch und die Leute lassen sich vollkommen darauf ein. An anderen Tagen kommst du aus irgendeinem Grund einfach nicht zu ihnen durch. Du stehst da oben und versucht eine Mauer zu durchbrechen. Das kann hart sein, aber man weiß nie, was passiert! Das ist der Spaß an diesem Spiel!