Mi, 7. Sep 2016

Aufteilung der Beute

The Flatliners im Interview

Hier drei Songs, da zwei Cover, dort eine weitere Split-EP … The Flatliners waren in den letzten vierzehn Jahren auch abseits ihrer stets großartigen Langspieler fleißig. Während andere Bands lieblos zusammengewürfelte B-Sides-Platten herausgeben, um zusätzlich noch ein bisschen Kohle zu machen, veröffentlichten Chris, Scott, Jon und Paul im August letzten Jahres mit ‚Division of Spoils‘ eine umfangreiche Sammlung an Songs und Covers, die es nie auf ein richtiges Album geschafft haben, aber definitiv Würdigung bedürfen und ihre musikalische Entwicklung kaum besser widerspiegeln könnten. VOLUME hat mit Chris und Scott die Beute aufgeteilt…

Seid ihr derartig exzessive Songschreiber, dass euch bei jedem Album Lieder übrig bleiben? 

Scott:  Ja, wir schreiben immer an die zwanzig Nummern für eine Platte und reduzieren dann auf ungefähr zwölf Songs. Es ist immer besser, mehr zu haben, um sicher zu gehen, dass nur die besten Lieder auf dem Album landen. Wir haben uns daran gewöhnt, so zu schreiben.
Chris: Besser mehr als zu wenig. Dass uns so immer viele Songs übrig bleiben, ist sozusagen ein „gutes“ Problem. 
Scott: Und was machen wir dann mit denen? Wir machen eine B-Seiten-Platte!
Chris: Genau, wir haben das seit Jahren geplant!

‚Get Out of My Face‘ (2002) – Wenn ihr in der Zeit zurückreisen könntet, was würdet ihr den Flatliners von damals sagen?

Scott: Kürzt die Verse! Eure Texte sind viel zu lang.
Chris: Und macht mal langsamer!
Scott: Genau, geht ein bisschen vom Gas!
Chris: Chill, Dudes! Und holt mal Luft! 
Scott: Wir haben wirklich sehr schnell gespielt! Sich das heute anzuhören, ist manchmal ein bisschen komisch – damals haben wir gar nicht darüber nachgedacht. Das war einfach die Art und Weise, wie wir Songs schreiben wollten. Zurückblickend waren die Nummern aber schon ziemlich schnell!

‚Open Hearts and Bloody Grins‘ (2007) – Ihr habt euch mittlerweile von euren Ska-Wurzeln entfernt … ist Ska für euch nun tot?

Chris: Nein, aber der Song ist entstanden, als wir unser zweites Album geschrieben haben. Damals hat sich vieles für uns verändert. Es sind deutlich weniger ska-lastige Nummern auf dieser Platte – ‚Open Hearts and Bloody Grins‘ war die Ausnahme, weshalb es auch nicht auf dem Album ist. Zwischen unserer ersten Platte und ‚The Great Awake‘ ist so viel Zeit vergangen. Bei ‚Destroy to Create‘ haben wir uns gefreut, endlich genügend Songs für ein Album angesammelt zu haben. Wir haben diese Lieder im Alter von vierzehn bis sechzehn geschrieben. Die Nummern für ‚The Great Awake‘ entstanden, als wir ungefähr achtzehn waren. Das sind extrem formende Jahre in einer Musikerkarriere – von richtig jungen Teenagern zu ein bisschen älteren Teenager, die natürlich immer noch Kinder sind.
Scott: Wir haben unsere Ska-Nummern immer gerne gespielt, aber irgendwann wurde klar, dass wir uns vielleicht doch mehr auf Punk-Songs konzentrieren sollten.
Chris: Vielleicht schreiben wir irgendwann wieder Ska-Songs.
Scott: Vielleicht, aber eher nicht.

Und Punk – ist der nicht auch schon längst tot? 

Scott: Natürlich, alles ist tot! Rock’n’Roll ist auch schon längst tot!
Chris: Das ist Bullshit! Leute, die so etwas behaupten, sind Puristen. Für die gab es sowieso nur fünf Bands, die richtige Punkbands waren. 
Scott: Genau! Solange es da draußen Kinder gibt, die gemeinsam in Garagen wirklich schlecht richtig laute Musik spielen, werden immer wieder coole Punk- oder Rockband entstehen. 
Chris: Punk ist nicht tot, es gibt nur mittlerweile Millionen verschiedene Namen dafür. Der Genre-Regenschirm wächst und darunter ist so viel mehr Platz. 
Scott: Für uns war Punk auch immer mehr eine Einstellung als ein bestimmter Sound. 

Chris: Und eine Gemeinschaft! Überall, wo wir touren, lernen wir neue Leute und ihre Szene kennen – in Österreich vor allem durch Astpai. Sie nehmen dich in ihre Welt mit, lassen dich auf ihren Fußböden schlafen, du kannst im Club ihrer besten Freunde auftreten und betrinkst dich mit ihnen in der Bar ihrer anderen besten Freunde. Das ist Punk! 
Scott: So ist das auch bei uns zuhause … und dann kommst du den ganzen weiten Weg nach Europa und stellst fest, dass es hier ganz gleich läuft. Das ist ziemlich cool! 
Chris:
Gemeinsam etwas aufzubauen, sich gegenseitig zu helfen und sich zu kümmern – das ist das Punkigste überhaupt. Obwohl es eigentlich ein Widerspruch in sich ist: Du darfst dich mit einer scheiß-drauf-Attitüde ja eigentlich um nichts nicht kümmern! Es geht darum, das zu tun, was du willst. Doch wenn dabei eine große Gruppe involviert ist, kann die schon einiges bewegen.

‚Cry Cry Cry‘ (2008, Johnny Cash Cover) – Apropos Punkrock … wie viel Punkrocker war eigentlich Johnny Cash?

Chris: Er war vermutlich der erste Punkrocker überhaupt! Er hat nur schwarz getragen und sich einen Scheißdreck darum geschert, was die Leute sagen. Johnny Cash war ein Gesetzloser, der gemacht hat, was er wollte, und hat vor allem auch musikalisch vieles bewegt – ähnlich wie Elvis Presley. Natürlich hatten die ersten Punkbands nicht unbedingt Johnny Cash als Vorbild, aber zum Beispiel gab es The Stooges, bevor es Punk offiziell gab. Die haben auch gemacht, was sie wollten und darum geht es ja.

‚Run like Hell‘ (2009, The Snips Cover) – Was lässt euch rennen, als ob der Teufel hinter euch her wäre?

Scott: Vögel!
Chris: Ja, Scott hat Angst vor Vögeln. Und ich habe fast vor allem Angst.
Scott: Manchmal, wenn du nach einer langen Nacht im Van aufwachst und eine Toilette suchst – dann rennst du, als ob der Teufel hinter dir her wäre.
Chris: Ja, definitiv und hoffentlich noch rechtzeitig.

‚Christ Punchers‘ (2010) – Wieso ist der Katholizismus die beschissenste Religion von allen?

Chris: Es geht immer um Schuldgefühle. Meiner Meinung nach, für nichts und wieder nichts! Grundsätzlich scheint Religion mehr Probleme zu verursachen als zu lösen – was sie ja eigentlich sollte. Zumindest vermute ich mal, dass es darum geht, Probleme zu lösen, das Leben einfacher zu machen und dich auf dem rechten Weg als guten Menschen zu bringen. Aber ich kann mein Leben als guter Mensch doch auch leben, ohne an Gott zu glauben oder Gott zu fürchten. Das ist nämlich das Skurrile am Katholizismus – diese ständige Angst vor Gott. Du musst jeden Sonntag in die Kirche gehen, damit er nicht böse auf dich wird. Du bist ein guter Mensch, aber nur weil du Angst vor ihm hast. 
Scott: Das größte Problem sind diese Arschlöcher, die andere Menschen schlecht behandeln, dann aber jeden Woche in die Kirche gehen und denken damit ist alles gut. 
Chris: Als würde sie das freisprechen! 
Scott: Sie bleiben aber trotzdem Arschlöcher. 

Chris: Genau! Außerdem ist es heutzutage echt schwierig geworden, denn mittlerweile fühlt sich jeder bei der geringsten Kleinigkeit immer gleich angegriffen, wenn es um Religion geht. Die Menschen suchen etwas in der Religion – sie wollen sich besser fühlen und Teil von etwas sein. Mir ist natürlich klar, dass es da draußen Millionen von Leuten gibt, die kein gutes Leben haben und dass wir uns wirklich glücklich schätzen können. Sinn ergibt das Ganze für mich aber trotzdem nicht. Die Bibel zum Beispiel – das war doch nur als Leitfaden gedacht. Aber hast du die mal gelesen? Da steht der größte Scheiß drinnen … an mancher Stelle liest sie sich wie ein Science-Fiction-Roman. Verrückt! 

‚Sticky Bastards‘ (2011) – Wie hat euch das Leben auf Tour verändert?

Scott: Das ist eine gute Frage! Wir wissen nicht, wie es uns verändert hat, weil wir nicht wissen, was wir ohne die vielen Touren wären. 
Chris: Ja, wir kennen es nicht anders. Wir sind auf Tour seit wir siebzehn oder achtzehn sind … also seit unserem High School Abschluss. Mehr kennen wir nicht. Näher, als dass wir eine Show dort gespielt haben, waren wir dem College oder einer Universität nie. Es ist teilweise schon ein recht schräger Lebensstil. Viele Leute glauben, auf Tour zu sein, ist wie Urlaub. Natürlich haben Scott und ich ein cooles Leben, weil wir viel reisen dürfen, aber es ist auch anstrengend. Mittlerweile beschäftigen sich auch immer mehr Leute mit der mentalen Gesundheit von tourenden Musikern – das soll kein Schrei nach Mitgefühl sein, das ist bei manchen eine ernste Sache. Wenn du in einer Band mit einem gewissen Bekanntheitsgrad spielst und dich die Leute kennen, bist du sozusagen ständig ‚an‘. Manchmal muss ich mein Gehirn am Ende des Tages bewusst abschalten. An manchen Tagen ist das schwerer als an anderen.

Scott: Nach einer großen Tour ist das manchmal gar nicht so leicht. Du warst einen bestimmten Zeitplan gewöhnt, du warst ständig von Menschen umgeben, du musstest zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein und natürlich hattest du ständig deine Freunde um dich. Wenn das zu Hause alles auf einmal wegfällt, kann das schon manchmal beängstigend sein. 
Chris: Ich nenne es’the doom‘! Man hatte die ganze Zeit so viel Spaß, Party und Action … danach sitzt man zu Hause mit einem seltsamen, ungemütlichen Gefühl. Das ist für manche Musiker gefährlich. Das ist kein Geheimnis! Trotzdem ist touren die großartigste Art und Weise, die Welt zu sehen und damit auch noch Geld zu verdienen, aber es hat natürlich auch seine Hürden, Probleme und Schwierigkeiten, die manche Menschen da draußen vielleicht nicht verstehen. Es ist doppelte Arbeit!
Scott: Und doppelt Party!

‚Southwards‘ (2012, Astpai Cover) – Wie entstand diese wunderbare kanadisch-österreichische Freundschaft?

Scott: Wir haben uns auf einer unserer ersten Europa-Touren kennen. In Europa zu touren, war damals eine riesen Sache für uns. Es war so cool, Shows mit Bands zu spielen, die wir vorher noch nicht kannten. Astpai haben uns einfach umgehauen!
Chris: Danach haben wir immer mehr Touren gemeinsam gespielt. Die Jungs sind einfach großartig – vor allem Zock. Er ist eine unglaublich inspirierende Persönlichkeit – egal worüber du mit ihm redest und vor allem durch die Art und Weise, wie er Songs schreibt.

Fireball (2013, Tony Sly Cover) – Apropos Inspiration … wie hat Tony Sly euch persönlich und musikalisch beeinflusst? 

Scott: Er war und ist definitiv eine große Inspiration für uns. No Use for a Name war eine der ersten Bands von Fat Wreck Chords, die uns mit auf Tour genommen hat. Großartige Menschen! Die ganze Band war wirklich super zu uns. 
Chris: Wir waren damals neunzehn – die hätten also gar nicht cool zu uns sein müssen. 
Scott: Ich kann mich noch genau erinnern … ich hatte damals eine ziemlich beschissene Gitarre mit einem verrosteten Pick-Up. Als Tony Sly das gesehen hat, hat er mir einfach eins von seinen geschenkt. 
Chris: Ja, er war immer sehr großzügig! Er war so cool und es war so leicht mit ihm ins Gespräch zu kommen. Wir sind mit No Use for a Name groß geworden, wie eben mit NOFX, Lagwagon oder Propagandhi. Als wir Tony zum ersten Mal getroffen haben, war da natürlich das Gefühl: ‚Verdammt, das ist Tony Sly!‘ Aber nach ein paar Minuten haben wir gemerkt, dass das einfach nur ein verdammt netter Typ ist. 
Scott: Der sehr am Boden geblieben ist. Es war unglaublich bedeutend für uns als junge Band mit ihm unterwegs zu sein. Das war alles völlig neu für uns. Dann triffst du auf einmal solche Persönlichkeiten und bist einfach überwältigt. Er war jemand, zu dem wir aufgesehen haben. Die Person, die du sein willst, wenn du erwachsen bist.

Wir haben viel über die Vergangenheit geredet. Was bringt die Zukunft?

Chris: Nach noch ein paar Touren in diesem Jahr wird es eine neue Platte geben. Wir arbeiten gerade hart daran, aber wissen noch nicht genau, wann sie endgültig fertig ist. 
Scott: Hoffentlich noch in diesem Jahr.
Chris: Aber bestimmt vor 2020! Das schaffen wir locker, aber man muss die Erwartungen ja immer schon niedrig halten.

Wir können es kaum mehr erwarten! 

Fotos: Pascal Riesinger