Zu Risiken und Nebenwirkungen ...
Apologies, I Have None im Interview
Die Diagnose: Der rasche Verfall geistiger Gesundheit und dessen Auswirkungen auf ein eng verbandeltes Liebespaar. Die Medizin: Melancholische bis zerstörerische Gitarren, eine druckvolle Rhythmusfraktion, filigrane Klaviermelodien und Josh McKenzies einfühlsame bis frustrierte Stimme. Der Befund: Ein betäubender Soundcocktail, der sofort ins Blut und damit ans Herz geht. Die Band: Apologies, I Have None und ihr neuer Langspieler ‚Pharmacie‘, den VOLUME gemeinsam mit Sänger und Gitarrist Josh genau untersucht hat …
‚London‘ gilt als absoluter Kritikerliebling. Nach einem derart starken Debüt ist das zweite Album für viele Bands das Schwierigste. Wie siehst du das?
‚Pharmacie‘ war definitiv ein schwieriges Album, aber nicht wegen ‚London‘.
Es war einfach grundsätzlich eine schwierige Zeit für mich und meine Band, was sich auch während des Schreibens und Aufnehmens bemerkbar gemacht hat. Wir wussten aber, dass sich unsere zweite Platte deutlich von unserem Debüt unterscheiden wird, wodurch vielleicht der Stress des Vergleiches zu früheren Sachen wegfiel … aber Leute vergleichen ja trotzdem gerne. Ich bin mir sicher, dass es Menschen gibt, die ‚London‘ mochten und ‚Pharmacie‘ nicht gut finden – und umgekehrt.
Während ihr auf ‚London‘ das Thema mentale Gesundheit noch hinter Geschichten über die Stadt versteckt habt, legt ihr auf ‚Pharmacie‘ alle Karten offen auf den Tisch. Wie kam es dazu?
Wenn ich einen speziellen Grund dafür nennen müsste, dann wäre das schlicht die Tatsache, dass Dan und ich früher die Songs gemeinsam geschrieben haben. Das war damals auch gut so, aber zwei Sänger und Songschreiber können auch limitieren. Obwohl wir fast immer der gleichen Meinung waren, wurde die Thematik dennoch zwischen zwei Personen aufgeteilt. Da dies auf ‚Pharmacie‘ nicht mehr der Fall war, ist es vermutlich fokussierter und offensichtlicher. Das war aber keine bewusste Entscheidung, sondern ergab sich einfach aus der Tatsache, dass ich die Songs nun alleine schreibe.
Während mittlerweile fast jeder über geistige Gesundheit zu sprechen scheint, ‚hältst du es lieber zurück‘ – ein Paradoxon?
In der heutigen Gesellschaft sprechen die Leute mittlerweile viel offener über geistige Gesundheit. Das finde ich gut, aber gleichzeitig wollen viele Menschen mit gravierenden Problemen eigentlich niemandem davon erzählen. Einerseits werden Depressionen und Ähnliches endlich als echte Probleme von der breiten Öffentlichkeit ernst genommen, anderseits wollen viele Menschen auf einer persönlichen Ebene nicht mit irgendeinem Fremden über ihre Probleme reden.
Du verarbeitest viel sehr offen und ehrlich in deinen Songtexten. Ist Musik deine Therapie?
Nein, eigentlich nicht. Ich verstehe, dass man meinen könnte, Musik ist meine Therapie, aber ich habe noch keinen therapeutischen Effekt für mich dabei festgestellt. Vielleicht sollte es aber so sein? Ich weiß es nicht. Für viele Musiker ist es aber bestimmt der Fall.
Können Liebe und Medikamente nicht vielleicht doch genug sein?
Ich weiß es nicht … für manche Menschen bestimmt. Das ist ja gerade das Schwierige an psychischen Problemen: Sie äußern sich bei jedem unterschiedlich und auch ihre Heilung ist bei jedem anders. Wenn sich Person A das Bein bricht, dann wird das vermutlich ähnlich behandelt, wie das gebrochene Bein von Person B. So einfach funktioniert es in Bezug auf mentale Gesundheit nicht. Für den einen mag dieses oder jenes Medikament Wunder bewirken, während es bei jemand anderem überhaupt keinen Effekt hat. Deshalb dauert es oft lange Zeit, bis man die richtige Behandlung für sich gefunden hat. Liebe und Medikamente können helfen – bei manchen mehr, bei manchen weniger.
Was hilft dir, wenn du dich nicht gut fühlst?
Schlafen – das hilft meistens.
Auch wenn euer Album streckenweise extrem düster ist, versprüht es gleichzeitig einen unbändigen Kampfgeist. Was motiviert dich, morgens aufzustehen?
Ich muss mit dem Hund spazieren gehen – das motiviert definitiv zum Aufstehen! Meistens stehe ich zwischen 6:30 und 7:00 auf, um mit meinem wunderschönen Labrador rauszugehen. An manchen Tage fällt das natürlich schwerer als an anderen, aber ich glaube, es ist gut für mich. Wenn ich es nicht tun müsste, würde ich vielleicht viel zu lang im Bett bleiben. Es ist vermutlich besser für mich, als mir manchmal bewusst ist.
Wie heißt dein Hund?
Bailey. Er ist großartig!
Auf ‚Pharamcies‘ zitierst du aus ‚Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hide‘. Wann bist du Dr. Jekyll und wann Mr. Hide?
Ich interagiere als Dr. Jekyll mit Menschen im Alltag. Man kann sich ja nicht grundlos wie ein Arsch aufführen. So läuft es nun mal nicht! Jeder hat sein Päckchen zu tragen, da sollte man natürlich versuchen, das Zusammenleben möglichst angenehm zu gestalten. Mr. Hide kommt vermutlich erst zum Vorschein, wenn man alleine ist. Wenn es nichts von außen gibt, das dich von deinen Gedanken ablenkt. Da kann man schon mal ein Loch fallen, das einen in Mr. Hide verwandelt … das hat bestimmt jeder schon mal erlebt.
Wir wissen bereits, dass du gegen Brexit bist, aber was würde es eigentlich für euch und andere tourende Bands bedeuten?
Ich weiß es nicht. Im Augenblick mache ich mir darüber noch keine Sorge – vielleicht sollte ich das, aber es ist einfach noch so theoretisch und unrealistisch für mich. Keiner, nicht mal Theresa May, weiß, wie es jetzt weitergeht. Keiner hat einen Plan oder eine Ahnung, was dieser Austritt bedeuten würde. Es ist so lächerlich! Falls sie es tatsächlich durchziehen, wird es für uns und andere Bands natürlich schwieriger, aber wir werden irgendwie damit umgehen können und uns anpassen müssen. Vielleicht organisieren wir uns alle andere Reisepässe. Jeder von uns hat familiäre Wurzeln in einem anderen Land. Uns wird schon etwas einfallen!
Am 29. September 2016 kommt ihr zum Glück noch problemlos nach Wien. Was erwartet eure österreichischen Fans?
Eine Show. Eine Show mit Lichtern … und einige Meisterwerke, die perfekt vorgetragen werden. Vielleicht auch ein paar unglaublich lustige Witze. Wir freuen uns auf jeden Fall schon!
Nach diesen schönen Schlussworten können wir es kaum noch erwarten!