Es werde Licht
The Flatliners im Interview
Angeführt von einer der besten Stimmen der Szene beleuchten The Flatliners auf ihrem fünften Langspieler die hintersten Ecken der dunklen Punkrockseele und bringen Licht dorthin, wo die Gefühle noch echt und wahrhaftig sind. VOLUME hat eben jene Stimme zu Wort kommen lassen und mit Chris Cresswell das Licht am Ende des Tunnels analysiert.
‚Inviting Light‘ unterscheidet sich deutlich von seinen Vorgängern. Wie schwer ist es für euch, eure Wurzeln nicht aus den Augen zu verlieren und euch dennoch gleichzeitig weiterzuentwickeln?
Wenn Bands neue Alben herausbringen, haben sie sehr oft mit dem Vorwurf zu kämpfen, sie hätten ihre Wurzeln aus den Augen verloren oder gar verraten. Für mich hat es aber weniger mit der Musik, sondern mehr mit der Mentalität dem eigenen Schaffen gegenüber zu tun. Es waren immer wir vier – seit 15 Jahren. Auch wenn wir jetzt beispielsweise eine Metalplatte veröffentlichen würden, dann würden unsere Wurzeln immer noch bestehen, weil es eben immer noch Scott, Jon, Paul und ich sind. Außerdem werden wir auch älter. Wir zelebrieren diesen Wandel mit den neuen Songs und hatten einfach Lust, etwas Neues auszuprobieren. Man kann ja nicht immer und immer wieder die gleiche Platte machen.
Was antwortest du dann Leuten, die euren Ska zurückfordern? Stichwort: Make The Flatliners ska again!
Der Spruch kam ja von uns, aber der Schmäh beißt uns mittlerweile in den Arsch. Diese Platten werden immer ein Teil von uns sein, ebenso wie die Songs. Wir spielen auch immer noch einige Nummern davon live. Aber falls es da draußen tatsächlich Menschen gibt, die hoffen, dass unser nächstes Album wieder eine Ska-Platte wird, dann habe ich eine schlechte Nachricht für sie. Sorry! Aber wer weiß, jedes Album ist doch nur eine Momentaufnahme. Wir freuen uns immer noch über ‚Destroy to Create‘, aber wir waren damals noch so jung. Die Band wird in diesem Jahr 15 Jahre alt, wir werden 30 Jahre alt … da fängt man schon zu reflektieren an. Die Zwanziger sind zum Machen, die Dreißiger zum Nachdenken. Wir mögen Ska immer noch, aber mit jedem Album möchten wir etwas Neues ausprobieren. Wir spielen die Nummern schließlich hundertmale pro Jahr – und das für mehrere Jahre. Die sollten schon für uns interessant bleiben. Wenn sie den Leuten dann auch noch gefallen, dann ist das verdammt cool!
Wofür steht die Metapher ‚inviting light‘ eigentlich?
‚Inviting Light‘ hat gleich mehrere Bedeutungen. Einerseits waren unsere Texte immer eher düster – das ist einfach meine Art Songs zu schreiben. Auf dem neuen Album ist das zwar immer noch so, aber in meinem Leben hat sich im Vergleich zur letzten Platte enorm viel verändert. Ich habe ein sehr gutes Leben und habe endlich angefangen, die Dinge mehr positiv als negativ zu sehen. Auf ‚Dead Language‘ geht sehr um mich und um schwierige Phasen in meinem Leben. Persönlich und emotional ging es mir damals nicht gut. Diese Songs zu schreiben und auf der ganzen Welt mit meinen besten Freunden live zu spielen, hat mir aber extrem geholfen. Auf dem neuen Album herrscht natürlich immer noch ein dunkler, lyrischer Grundtenor vor, aber ich habe mich dem Licht am Ende des Tunnels noch nie näher gefühlt und das hört man auch.
Anderseits haben einige Songs ein gemeinsames Thema – nämlich den schleichenden Zusammenbruch der menschliche Interaktion. Technologie und Social Media wollen und sollen die Welt besser machen, gleichzeitig reißen sie die Menschen immer mehr auseinander. Es ist beängstigend! Das einladende Licht des Handys, des Computers, des iPads scheint mittlerweile viel verlockender zu sein als tatsächliche menschliche Interaktion. Wieso können sich Menschen nicht mehr miteinander unterhalten, ohne gleichzeitig ihr Handy in der Hand zu halten? Das sind Themen, die mich beschäftigen und die in die Songs eingeflossen sind. All das hat ‚Inviting Light‘ zu einem guten Titel gemacht, der das Album aus verschiedenen Perspektiven beschreibt.
Eines meiner Lieblingszitate lautet ‚to a decade lived dishonest, where at least the feeling’s real‘ … geht es dir in Zusammenhang mit neuen Technologien auch um den Verlust der echten Gefühle?
Absolut! Die Dekade, die wir sozusagen unehrlich gelebt haben, bezieht sich auf die letzten zehn Tourjahre. Wir sind sozusagen die verlorenen Söhne, die keiner ehrlichen Arbeit nachgehen. Wir haben keine Montag-bis-Freitag-Jobs, aber wir haben zumindest die echten, wahren Gefühle, die wir den Menschen durch unsere Musik geben können. Dafür leben wir gern unehrlich!
Apropos Tour … habt ihr denn mittlerweile die richtige Balance zwischen Touren und Privatleben gefunden?
Wir sind zumindest besser im Ausbalancieren geworden. Wir werden mit dem neuen Album in diesem Jahr aber wieder sehr viel unterwegs sein, somit wird die eben gefundene Balance auch wieder über Bord geworfen. Ich denke jedoch, dass die Suche nach der Balance zwischen Arbeit und Privatleben zum Grundproblem geworden ist – egal ob man nun als Musiker auf Tour ist oder einen normalen Job hat.
Mit diesem Album habt ihr auch euer Label gewechselt. Hat der neue Sound diese Veränderung beeinflusst oder umgekehrt?
Hinter dem Wechsel des Labels steckt eigentlich reine Neugier. Wir haben mehr als eine Dekade unehrlich bei Fat Wreck Chords verbracht und diese Zeit war unglaublich. Wir waren 18 Jahre alt, als wir Teil dieser großartigen Familie werden durften und das Schöne ist, dass wir auch immer ein Teil davon bleiben werden, auch wenn unsere Alben nicht mehr dort erscheinen. Wir waren diesmal einfach neugierig, was es da draußen sonst noch so gibt und was wir wo anders erreichen können. Die wunderbaren Menschen von Fat Wreck Chords wussten aber natürlich die ganze Zeit darüber Bescheid. Und jetzt sind wir bei Rise Records bzw. bei Dine Alone Records und es ist total aufregend. Wir werfen einfach neuen Scheiß an die Wand und sehen, was kleben bleibt.
Ihr fühlt euch auf Dauer in der Komfortzone nicht wohl, habe ich recht?
Du hast recht! Es ist schwer, das mit Worten auszudrücken, ohne kitschig zu klingen, aber das ist Kunst! Das bedeutet es, Künstler zu sein oder sollte es zumindest bedeuten: Sich selbst ständig aus der eigenen Komfortzone zu pushen. Immer! Mach es dir nie bequem! Niemals! Natürlich ist es vorteilhaft, gut zu sein, in dem was man macht, aber es sollte ein ständiges Lernen und Herausfordern sein – das ist es auch für Scott, Jon, Paul und mich. Es gab immer nur uns vier und wir pushen uns gegenseitig. Es ist ein ständiges Wachstum. Man kann ja auch nicht immer das Gleiche machen. Das wäre langweilig. Man sollte immer ausprobieren, was noch möglich ist – immer das nächste große Ding vor Augen. Dafür ist die Kunst da. Man kann es drauf ankommen lassen, denn es gibt weder richtig noch falsch.
Somit hast du auch das Geheimnis des speziellen Flatliners-Charmes gelüftet …
Hab ich das? Nun ja, das ist einfach der Grund, wieso unsere Platten alle unterschiedlich klingen. Das ist der Grund, wieso es immer noch dieselben vier Typen sind. Das ist der Grund, wieso wir das immer noch machen. Und das ist der Grund, wieso unsere Musik 2017 so klingt, wie sie klingt.
Apropos Veränderung … die ist vor allem in Nummern wie ‚Chameleon‘ hörbar.
Dieser Song ist seltsam! Er dreht sich um so viele verschiedene Sachen, hat aber kaum Text. Menschen kommen zu dem Punkt, an dem sie eine andere Rolle spielen wollen – in ihrem eigenen Leben oder im Leben anderer. Oder sie blicken auf ihr Leben zurück und ihnen gefällt nicht, was sie da sehen. Oder sie romantisieren die Vergangenheit und haben Angst vor der Zukunft. Zwischenmenschliche Beziehungen beginnen oft so wunderschön und enden grauenhaft. Um all das geht es in dieser Nummer. Es ist schwer, ‚Chameleon‘ sinnvoll zu beschreiben – und ich habe es immerhin geschrieben.
Der Song an sich ist also auch ein Chamäleon?
Genau! Was auch immer du fühlst oder wenn du ‚es‘ nicht fühlst, kannst du einfach etwas Anderes werden. Ich bin sehr glücklich, dass es dieser Track auf das Album geschafft hat. Es war sehr knapp, weil er so anders klingt. Wir wollten aber schlussendlich genau das den Leuten zeigen – diese komplett andere Seite von uns. Der Song ist ein Chamäleon und zeigt, dass auch wir Chamäleons sind.
Nach 15 Jahren Bandgeschichte darf man sich schon mal von einer anderen Seite präsentieren. Wie werdet ihr euer Jubiläum in diesem Jahr feiern?
Wir haben genaugenommen zwei Jahrestage. Das erste Jubiläum ist am 27. April. An diesem Tag standen wir zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne – zwar nicht als The Flatliners, aber immerhin. Wir hießen anders und waren grauenhaft, aber dieser Tag muss trotzdem gefeiert werden. Feier Nummer 2 findet am 14. September statt – und die wird groß werden, denn dieser Tag ist der offizielle 15. Geburtstag von The Flatliners. Wer weiß, wo auf der Welt wir sein werden, aber es wird definitiv eine große Party geben. Und Kuchen! Zumindest einen kleinen Cupcake, den wir uns zu viert teilen. Wir sind ja bescheiden!
Und wann dürfen wir mit euch in Österreich feiern?
Das ist noch ein Geheimnis, aber ich darf so viel schon verraten: Wir werden noch vor Endes des Jahres vorbeischauen. Noch vor November!
Diese Aussicht reicht uns vorerst vollkommen! Vielen Dank & happy Flatliners!